Auf diesen Sammelbildern sieht keine Fußballspieler, es sind Slam-Poeten,die am Sonntag im Gazistadion mit Worten dribbeln. Foto: Geyer

Dichter-Wettkampf auf dem Fußballrasen, Sprachspieler auf Sammelbildchen: Am Sonntag steigt der erste Poetry-Slam im Gazistadion. Der gesprochene Reim boomt und tut als „Weckworte“ auch demenzkranken Menschen gut.

Stuttgart - Dichter-Wettkampf auf dem Fußballrasen, Sprachspieler auf Sammelbildchen: Am Sonntag steigt der erste Poetry-Slam im Gazistadion. Der gesprochene Reim boomt und tut als „Weckworte“ auch demenzkranken Menschen gut.

Wenn Worte Bälle wären, man könnte sie flachhalten oder ins Netz köpfen. „Aus“ könnte man rufen, wenn ein Wort zu weit gegangen wäre, oder „Tor“, wenn der Elfer säße. Wenn Worte Bälle wären, man könnte sie mit Schmiergeldern verschieben, sie aufpumpen und Männern ohne Lendenglück vom Feeling ein gutes Gefühl geben.

Doch Worte sind Worte. Und Bälle sind Bälle. Manchmal aber ist es noch besser, wenn alles durcheinander kommt. Deshalb hat die Schöpfung die Slammer erschaffen. An diesem Sonntag, 20 Uhr, werden junge Poeten nacheinander den Rasen des Gazistadions betreten und vor 2200 Zuschauern, die Veranstalter Thomas Geyer zu Fangesängen auf der Haupttribüne animieren will, mit Worten dribbeln und mindestens so happy sein wie die Kickers, wenn sie Wolfsburg, den Titelverteidiger, in der ersten DFB-Pokalrunde besiegen.

Weil Worte am Ende doch keine Bälle sind, geht es beim Poetry-Slam, dem Wettstreit der Dichter, vor allem um Spaß, weniger um Siege. „Unsere Meistertitel sind nur ein Ansporn, damit die Stimmung steigt“, sagt Philipp Scharri, der zur Elf von Degerloch gehört, die zum ersten Mal im Stadion ihre Sprachkunst zelebriert, „eigentlich ist es egal, wer gewinnt – Hauptsache, das Publikum ist gut unterhalten.“

Ist ein Stadion für Scharri, den Sprachakrobaten und Stand-up-Comedian, ein besonderer Ort? „Fußball“, antwortet er, „interessiert mich nur alle vier Jahre bei der WM – dann ist wieder gut.“ Wir befinden uns in der Phase, in der für ihn gut ist.

Scharri lässt sich nicht in die Karten schauen, mit welcher Nummer er beim Fernsehturm punkten will. Eine besondere Vorbereitung sei nicht nötig. „Man muss sich ja keine Taktik zurechtlegen und die Aufstellung noch mal durchgehen.“ Jeder der Slammer ist als Solist unterwegs, Stürmer und Verteidiger also in einem.

Jeder hat eine Spielzeit von sechs Minuten. Los geht’s mit Marius Loy, der als das ran muss, was die Szene „Opferlamm“ nennt. Er opfert sich – ohne in die Publikumsabstimmung zu kommen –, um die Zuschauerränge heiß zu machen.

Dass der Club der lauten Dichter nun im Gazistadion landet, ist ein Zufall, wenn man davon absieht, dass diese Kunstform seit Jahren boomt. Thomas Geyer wollte mit dem Stuttgarter Open-Air-Slam eigentlich in den Biergarten, den seine Freunde von der Schräglage direkt hinterm Stadion betreiben. Doch dann entwickelte sich die Sache – und man hatte den verwegenen Plan, einen Stadion-Sommer-Slam zu veranstalten.

Kann man nur mit Worten die Haupttribüne füllen? Um das gesamte Stadionrund geht es nicht. 2200 Plätze müssen erst mal verkauft werden. Und das dürfte gelingen. An der Abendkasse wird es am Sonntag nicht mehr viele Eintrittskarten geben.

Zu einem Fußballstadion gehören weitere Karten – Sammelkarten. Auch beim Open Air im Gazistadion gibt’s die Akteure auf Abziehbildchen, die dem Panini-Vorbild nachempfunden sind. Aufreißen, abziehen, einkleben – nun kommen Scharri und seine Kollegen zu dieser Ehre. Vielleicht haben die Alben mit Slammern eines Tages auch mal Kultstatus und sind dann so lustig, wie wenn man heute beim Blättern in einem Panini-Album der 1970er in ein Gruselkabinett skurriler Haarmoden eintaucht.

Verdient haben es die jungen Poeten auf jeden Fall. Sie zeigen, was Worte vermögen, die mitunter wie Musik klingen, wie ein Sprachkonzert also, und die Fantasien so schön wachküssen, dass man zum Selberschreiben und Weiterlesen animiert wird.

Ein Star der Szene wird in Degerloch dabei sein. Lars Ruppel ist mit „Alter Schwede“ ein You-Tube-Klick-Gigant – mit seiner Sage, warum ein Fluch über den Möbelbauern von Ikea liegt, so dass sie nie Perfektes produzieren können. Der Mann hat nicht nur eine lustige, sondern auch eine soziale Seite: Mit seiner Aktion „Weckworte“ zeigt Ruppel, was Gedichte bei alten, demenzkranken Menschen auslösen.

Früher mussten die Schüler öfter Gedichte auswendig lernen, was in vielen Köpfen noch festsitzt. „Fest gemauert in der Erden / Steht die Form aus Lehm gebrannt. / Heute muss die Glocke werden! / Frisch, Gesellen, seid zur Hand!“ Wenn der 29-Jährige in Pflegeheimen Schillers Verse spricht und den Zuhörern über die Handfläche streichelt, strahlen die Alten und sprechen mit.

Die Gedichte von heute gehen natürlich anders. Holla, die Waldfee – bei Lars Ruppel geht das so: „Der Herr, der sich so echauffiert, / ist großflächig und unrasiert, / und doch des Waldes treuster Geist: / Es ist die Fee, die Holger heißt.“

Toooor, Tooor, Tooor für Ruppel! Aber eigentlich ist’s egal, welche Fee gewinnt.