Die Schlichtungsgespräche im Stuttgarter Rathaus sind ein völlig neuartiges Experiment.

Stuttgart - Um kurz nach 10 Uhr morgens spricht Heiner Geißler im vierten Stock des Rathauses von einer "Form, die es so noch nie gegeben hat". Das Fernsehen ist bei den Gesprächen live mit dabei, und der Schlichter vergisst auch nicht den Hinweis auf "das Public Viewing hier im Hause". Alle Kameras sind dabei auf ihn gerichtet.

Einen Stock tiefer sieht das Bild ganz ähnlich aus. Auch dort hält ein Dutzend Kameras das Geschehen fest. Etwa hundert der 400 Plätze im großen Sitzungssaal, wo die Schlichtungsgespräche auf einer Leinwand übertragen werden, sind besetzt. Der große Ansturm ist ausgeblieben. Vielleicht 50 interessierte Bürger sind gekommen - die andere Hälfte sind Kamerateams. Immer mehr Reporter drängen in den Saal. Jeder sucht nach Gesprächspartnern, nach echten Exemplaren der derzeit so bekannten Stuttgarter. Das ist gar nicht so einfach und verursacht Lärm. Immer wieder wehren sich die Besucher dagegen. "Wir wollen hier zuhören", ruft einer.

Auch einige Rathausmitarbeiter sind für eine Weile da. Wie viel Publikum wohl kommen würde, hat vorher niemand gewusst. Angesichts des kleinen Häufleins am Morgen, zumeist mit Buttons kenntliche Projektgegner, sagt eine Frau: "Sonst stören sie die Sitzungen und jetzt sind sie nicht zu sehen. So viel zum Thema Interesse."

Während eine Etage höher die Beteiligten vorgestellt werden wie bei der Mannschaftsaufstellung vor einem Fußballspiel, rührt sich im Saal kaum eine Regung. Es ist zu früh für heftige Emotionen. "Ich bin heute ins Rathaus gekommen, weil ich am Ort des Geschehens sein will", sagt ein älterer Herr. Er sei für die Vernunft, das bedeute für ihn eine modifizierte Version des K 21-Konzepts plus Neubaustrecke nach Ulm.

Währenddessen brandet erstmals Gelächter auf, weil Geißler bei der Vorstellung ausgerechnet Ministerpräsident Stefan Mappus vergisst. Schmunzeln folgt, weil Grünen-Vertreter Werner Wölfle in jeder Einstellung Butterbrezel mampfend zu sehen ist. Die Vertreter beider Seiten ernten verhaltenen Applaus, wobei die Gegnerschaft sich der größeren Unterstützung im Saal sicher sein kann.

An der Tür steht Matthias von Herrmann. Der Sprecher der Parkschützer ist heute nur Zuschauer. Seine Organisation ist aus den Schlichtungsgesprächen ausgestiegen. Bereut habe man das nicht, betont er: "Als in den Sondierungsgesprächen klar war, dass die Bahn zweigleisig fahren und gleichzeitig verhandeln und bauen will, gab es für uns keine Basis mehr." Jetzt gehe es darum, dass die Fakten auf den Tisch kämen. Nach ein paar Interviews macht sich von Herrmann auf in eine nahe gelegene Kneipe. Dort schauen sich etwa 20 Parkschützer die Übertragung an. Auch hier sind die Fernsehkameras Stammgäste. Immer wieder brandet Gelächter auf. "Die Gegner sind die klaren Punktsieger heute", urteilt einer.

Im Rathaus ist man sich da nicht so einig. Nach der Mittagspause sitzen immerhin schon hundert Bürger im Saal, mit dem weiteren Verlauf füllt es sich immer mehr. Viele schauen für einen Augenblick herein, verfolgen das Geschehen im Stehen und gehen wieder. Die Zahl der zur Schau gestellten Buttons nimmt zu und es sind auch immer mehr Befürworter zu sehen. Fernsehteams sammeln die Gruppen und lassen sie kameragerecht den Saal verlassen. Gespräche produzieren keine spektakulären Bilder.

Derweil entwickelt sich Vermittler Geißler zum Star des Tages. Immer wieder verbucht der kleine Mann mit der verschrobenen Art Lacher auf seinem Konto. Er geht mit keiner Seite zimperlich um und mahnt zu verständlichen Worten, das gefällt den Zuschauern im Saal. "Eine gute Wahl ist der", sagt einer.

Der Tag zieht sich hin. Lange Debatten, das zeigt sich, sind nicht für jeden Zuhörer etwas. Müdigkeit macht sich breit, andere diskutieren vor der Tür. Wer an diesem Tag der Punktsieger ist, lässt sich nicht leicht feststellen. Eher bekommt man den Eindruck, die meisten fühlen sich in dem bestätigt, was sie vorher schon geglaubt haben. "Immerhin ist die ganze Geschichte doch recht sachlich abgelaufen", zieht eine Zuhörerin ein Fazit.

Die Kamerateams bauen ab. Wer weiß, wie viele in einer Woche wiederkommen.