Ein neues Amt für Wolfgang Schäuble. Foto: dpa

Wolfgang Schäuble gibt sein geliebtes Finanzministerium auf. Die Union schlägt ihn als Bundestagspräsidenten vor. Für den leidenschaftlichen Politiker ist es auch ein Weg des Übergangs.

Berlin - Wolfgang Schäuble (CDU) versteht es, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Bis in diese Woche hinein ließ er Abgeordnetenkollegen und Journalisten im Glauben, er werde alles daransetzen, deutscher Finanzminister zu bleiben. Er selbst hat diesen Eindruck durch die Planungen seines Ministeriums untermauert: In zwei Wochen will der Finanzminister zur Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank nach Washington fliegen. Die Maschine der Bundeswehr-Flugbereitschaft ist seit Langem bestellt. Das Signal war klar: Schäuble machte deutlich, dass er Hausherr im Ministerium an der Berliner Wilhelmstraße bleiben will. Tatsächlich hat er aber seit längerer Zeit über Alternativen nachgedacht. Dazu zählt das Amt des Bundestagspräsidenten, das nach dem Protokoll das zweitwichtigste im Staate ist.

Die Überraschung ist Schäuble gelungen

Die Überraschung ist dem 75-Jährigen gelungen. Trotz seines Alters hat Schäuble nie einen Zweifel daran gelassen, dass er gern geblieben wäre, was er ist: der dienstälteste Finanzminister im Kreis der Industrieländer. Der Rat des 75-jährigen Badeners wird nicht nur in Berlin, Paris und Rom geschätzt. Sein Wort hat auch in der US-Administration oder bei seinem russischen Ministerkollegen Gewicht. Schäuble ist seit fast fünf Jahrzehnten Politiker: Er war Unions-Fraktionsvorsitzender, Kanzleramtsminister und mehrfach Bundesinnenminister. Im Krisenjahr 2009 wurde ihm von Kanzlerin Angela Merkel das Finanzministerium anvertraut. In diesem Amt ging Schäuble auf. Es bereitete ihm auch deshalb viel Freude, weil es sich nicht auf die Innenpolitik beschränkt. Die Weltfinanzpolitik ist Schäubles Bühne. Ob in der Finanz- und Eurokrise oder Gesprächen über einen Globalisierungsrahmen im Kreis der Industrie- und Schwellenländer: Schäuble war stets mittendrin. Die Aufgabe hat er mit Leidenschaft ausgefüllt.

Auch für die nächste Wahlperiode hatte er schon viele Pläne im Kopf. Zur Weiterentwicklung der Eurozone oder zur Umsetzung der Steuerreform hat er genaue Vorstellungen entwickelt. Schäuble war die meiste Zeit in seinem politischen Leben ein Mann der Exekutive. Dass ihm die Union nun das Amt des Bundestagspräsidenten anträgt, wirkt auf den ersten Blick wie ein Bruch. In Berlin wird die Frage aufgeworfen, ob Schäuble die eigenen Ambitionen zurückgestellt hat, um sich in die Pflicht nehmen zu lassen.

Doch alles spricht dafür, dass Wolfgang Schäuble dieses Amt auch gewollt hat. Der direkt gewählte Abgeordnete mit Wahlkreis Offenburg gehört seit 1972 dem Bundestag an. Er weiß, dass mit dem Einzug der rechtspopulistischen AfD der Bundestag vor Herausforderungen steht. Dass im Parlament bei allem Streit über die Sache Würde und Achtung vor den Andersdenkenden nicht verloren gehen, darauf wird Schäuble achten. Die Voraussetzungen bringt er mit: Der Jurist ist schlagfertig, belesen, beweist ein tiefes Verständnis für historische Zusammenhänge und ist durchsetzungsstark. Schon als Finanzminister bewies er, dass er große Reden halten kann – etwa über Globalisierung. Das neue Amt liefert dafür die Bühne.

Auch sein Alter spielt bei der Entscheidung eine Rolle

Manche werden sagen, Schäuble habe sich für einen sicheren Posten entschieden. Weil der Ausgang der Koalitionsverhandlungen offen ist, gibt es naturgemäß keine Jobgarantien. Die ausschlaggebende Rolle für die Entscheidung dürfte aber auch sein Alter gewesen sein. Schäuble hat viele Ämter bekleidet. Er hat mit der schwarzen Null die Wende in der Haushaltspolitik erreicht und unzählige Eurogruppen-Sitzungen absolviert. Die Politik ist Schäubles Leben. Doch das geht nicht ewig so.

Das Amt des Bundestagspräsidenten ist für ihn auch ein Weg des Übergangs – raus aus dem operativen Geschäft. Wolfgang Schäuble wird dieser Wechsel schwerfallen. Zur IWF-Tagung nach Washington will er noch ein letztes Mal reisen.