Parthena Loenicker in ihrem Estia Foto: Jürgen Brand

Die Premiere der kulinarisch-kulturellen Führung durch den Stadtbezirk Stuttgart-Ost war ausgebucht, für die Teilnehmer zum Teil überraschend und vor allem sehr genussreich. In sieben Cafés und Restaurants gab es Leckeres aus aller Welt.

S-Ost - Rainer Kilian wäre beinahe am Stuttgarter Osten gescheitert. Das gesteht er selbst vor Publikum ein. Als er mit den Recherchen für eine kulinarisch-kulturelle Führung durch den Stadtbezirk Stuttgart-Ost begann, gab es in seinem Umfeld im Stuttgarter Westen ganz unterschiedliche Reaktionen. Sie reichten von „Was willste denn da, da ist ja nix!“ bis „Das ist ein verstecktes Juwel!“. Kilian, der Inhaber einer Eventagentur im Stuttgarter Westen ist und sich selbst erst einmal mit dem Osten anfreunden musste, ist nicht gescheitert, vor wenigen Tagen war die Premiere der dreistündigen Tour zu gastronomischen Betrieben, Bäckereien und Metzgereien in Stuttgart-Ost. Die Teilnehmer an der ausgebuchten Tour waren vom Osten und den Leckereien, die sie genießen durften, begeistert. Das bundesweit tätige Berliner Unternehmen eat-the-world bietet die Stuttgart-Ost-Tour jetzt jeden Samstag und manchmal auch freitags an.

Teilnehmer sogar aus Hamburg

Sabine Husmann ist am Premierentag mit ihrem Mann aus Aidlingen im Landkreis Böblingen zum Startpunkt am Ostendplatz gekommen, um den Stadtbezirk kennenzulernen. Mitgebracht haben sie ein befreundetes Paar aus Hamburg, das gerade zu Besuch ist und mit dem sie schon die eat-the-world-Tour durch das Hamburger Schanzenviertel gemacht haben. „Wir haben uns gedacht, wir machen hier einmal genau das, was wir nicht kennen“, sagt sie, die auch schon die schon seit Längerem angebotenen Touren durch Stuttgart-Süd und Stuttgart-West mitgemacht hat. Und sie ist an diesem sonnigen und warmen Samstag von Anfang an begeistert. „30 Grad, Sonne, das ist wie Klein-Italia hier, wie im Urlaub“, sagt sie am Ostendplatz, wo es zum Auftakt Butterbrezeln gibt.

Etwas später, beim Spaziergang durch Ostheim in Richtung Gaskessel, vergleicht die Aidlingerin das Stadtviertel mit Heidelberg und spätestens beim Bummel durch die pittoreske Kolonie Ostheim sind alle 15 Teilnehmer endgültig von dem den meisten bis dahin unbekannten Stadtbezirk überzeugt.

Für den ganzen Osten reicht die Zeit nicht

Rainer Kilian hat eine Tour zusammengestellt, die vom Ostendplatz über das Areal des ehemaligen Straßenbahndepots in Richtung Ostheimer Kolonie führt, dann weiter vorbei am Geburtshaus von Manfred Rommel an der Landhausstraße die Kurve nach Gablenberg bekommt und dort in der Nähe des Schmalzmarkts endet.

Die anderen Ost-Stadtteile wie etwa Gaisburg, Berg, die Uhlandshöhe oder die Gänsheide musste er außen vor lassen, erwähnt sie aber natürlich in seinen Erzählungen aus und über den Stuttgarter Osten. „Wir können dem Stadtbezirk nicht in zwei, drei Stunden gerecht werden“, sagt Kilian, „denn sonst müssten wir viel weiter und länger laufen.“

Vielfalt im Stadtbezirk und auf den Tellern

Den kulinarischen Teil der Führung hat er ganz nach einem prägenden Charakteristikum des Stadtbezirks zusammengestellt: dem multikulturellen Osten, in so viele Menschen unterschiedlichster Nationalitäten zusammen leben. Da gibt es die – auch immer rarer werdenden – urschwäbischen Bäcker und Metzger, die ihre Produkte fast alle in der eigenen Backstube oder Wurstküche herstellen, den persischen Künstler mit eigenem Kulturcafé, die griechische Restaurantbesitzerin, den ungarischen Konditor oder den Kosovaren, der sich den Traum vom eigenen Balkan-Grill verwirklicht hat.

Im Café Zuhause an der Landhausstraße in der Nähe des Ostendplatzes servieren Galina Vlaykova und Dobromio Gospodinov Spezialitäten aus ihrer Heimat Bulgarien. Banica ist ein Blätterteig-Gebäck mit Käse und Ei, die süße Variante enthält Apfel, Zimt und Rosengelee. Auf dem weiteren Weg folgen mit frischer Wurst belegte Weißbrote, grüner Tee mit Rosenblüten, gebratene Auberginen mit Erbsen, Safranreis und Joghurtsoße mit Minze, der Konditormeister lässt Petit Fours mit Erd- und Heidelbeeren probieren.

Balkan-Grill im Winzerhaus

Das Restaurant Estía an der Pflasteräckerstraße begeistert die Gruppe nicht nur durch die Tapas-Varianten, die Parthena Loenicker serviert, sondern auch durch die kunstvolle Einrichtung und die lauschigen Plätze draußen. Parthena erzählt von ihrer Familie, in der viele unterschiedliche Nationalitäten zueinander gefunden haben und die alle in der Estía-Küche und -Karte zu finden sind. Sie selbst wohnt seit fast 15 Jahren im Stadtbezirk, hat sich in der Anfangszeit gefragt, ob sie es hier wohl schafft und sagt heute: „Der Osten ist schön!“

Und auch Jakova Premium Fast Food an der Gablenberger Hauptstraße beim Schmalzmarkt ist so eine typische Ost-Geschichte: Eine Familie aus dem Kosovo kauft ein Winzerhaus und verwirklicht sich mit einem Balkan-Grill einen Traum. Heute wohnen dort sieben Familienmitglieder – und öffnen ihre idyllische Terrasse hinter dem Haus auch für die Gäste.

Führungen durch den Osten

Das Berliner Unternehmen eat-the-world wurde 2008 gegründet und bietet inzwischen in 34 deutschen Großstädten kulinarisch-kulturelle Touren an, zum Teil auch mehrere in einer Stadt, allein in Berlin beispielsweise sind es sieben. In Stuttgart werden Touren durch die Bezirke Süd, West und jetzt auch Ost angeboten. Die Führungen sind zum Teil Wochen im Voraus ausgebucht (www.eat-the-world.com).

Es gibt inzwischen zahlreiche Führungen durch Stuttgart-Ost. Angeboten werden sie beispielsweise regelmäßig vom Museumsverein Stuttgart-Ost (Muse-O) als Begleitprogramm zu den jeweils aktuellen Ausstellungen. Die nächste ist für 10. Juni zu besonderen Gebäuden des Historismus unter anderem an der Wagenburgstraße geplant (www.muse-o.de). Auch der Kulturtreff Stuttgart-Ost bietet in unregelmäßigen Abständen Führungen an, zum Beispiel am 9. September durch die Stadtteile Stöckach und Berg (www.kulturtreff-stuttgart-ost.de). Die Stuttgart Marketing GmbH lädt zu vielerlei Führungen und Rundfahrten durch die ganze Stadt ein, die zum Teil auch Station im Osten machen (www.stuttgart-marketing.de). Auf literarische und geschichtliche Führungen hat sich Bernd Möbs spezialisiert (www.bernd-moebs.de).