Das Gerber will mit schickem Design überzeugen - wir haben die ersten Einblicke in unserer Bildergalerie! Foto: Leif Piechowski

Mit Pauken und Trompeten eröffnet heute das neue Einkaufszentrum Gerber an der Paulinenbrücke. Und mit Misstönen. OB Fritz Kuhn sagte bei einer Feier für geladene Gäste, mit ihm hätte es das so nicht gegeben. Sein Vorgänger Wolfgang Schuster sieht das anders.

Mit Pauken und Trompeten eröffnet heute das neue Einkaufszentrum Gerber an der Paulinenbrücke. Und mit Misstönen. OB Fritz Kuhn sagte bei einer Feier für geladene Gäste, mit ihm hätte es das so nicht gegeben. Sein Vorgänger Wolfgang Schuster sieht das anders.

Stuttgart - Das Symbol des Tages war ein schlichtes Damenfahrrad. Der Chef der Wüstenrot & Württembergische-Gruppe und Hausherr des Gerber, Alexander Erdland, schenkte es am Montag Oberbürgermeister Fritz Kuhn samt einem Dauerparkplatz im Gerber-Parkhaus. Ein Geschenk vor 500 geladenen Gästen am Vorabend der offiziellen Eröffnung als Charmeoffensive. Denn der Vorstandsvorsitzende weiß „um die kritischen Stimmen zu unserem Projekt, die man nicht nur aus dem Rathaus vernehmen konnte“. Daher will der Investor nun „noch die letzte notwendige Überzeugungsarbeit leisten“.

Das Rad also als Lastenesel, das folgende Botschaften transportiert: Das Gerber und Umweltfreundlichkeit widersprechen sich nicht. Das Gerber ist in die Stadt und das Viertel eingebettet. 200 Fahrradstellplätze sollen Verkehrslärm vermeiden. Und bei der Vorpremiere feiern nicht nur Ehrengäste aus Politik und Wirtschaft mit, sondern auch die direkten Anwohner. Vom Gerber sollen alle profitieren.

Fritz Kuhn sieht die Sache jedoch ein wenig anders. „Hätte ich entscheiden müssen, wäre nicht so viel Verkaufsfläche entstanden“, sagte Kuhn und schwenkte dann um. Statt eines Lamentos gab sich der OB als Pragmatiker: „Jetzt ist es wichtig, dass das Einkaufscenter ökonomisch gut läuft. Jetzt müssen wir das Beste daraus machen.“

Gemeint ist mit der Kritik nicht nur das Gerber, sondern auch das Milaneo neben der Stadtbibliothek. Es wird am 9. Oktober eröffnet und mit 200 Geschäften und 43 000 Quadratmeter Fläche deutlich größer als der Konkurrent auf der anderen Seite der Innenstadt. Die Ablehnung ist auf vielen Seiten groß, weil ein Abwandern von Kaufkraft aus der Innenstadt befürchtet wird.

Auch das Gerber erhöht den Druck auf die Händler in der Innenstadt weiter. Trotzdem haben weite Teile des City-Handels den neuen Konkurrenten als Abrundung des Angebots von Anfang an begrüßt. Das gilt für das Milaneo nicht. Zu weit von der Innenstadt entfernt, übermächtige Konkurrenz, fürchten viele. Die City-Initiative will dennoch versuchen, beide neue Einkaufscenter möglichst gut in ihre Aktivitäten einzubinden. Am Montag hat sie verkündet, dass sowohl Gerber als auch Milaneo jetzt neue Mitglieder sind. „Es bringt nichts, wenn wir der Vergangenheit nachtrauern, wir müssen jetzt nach vorne schauen und die Menschen für die Innenstadt begeistern“, sagt City-Managerin Bettina Fuchs. Der erhebliche Flächenzuwachs sei eine „große Herausforderung“, die man jetzt gemeinsam bewältigen müsse.

Kuhns kritische Töne wollte sein Vorgänger Wolfgang Schuster am Montag nicht teilen. Bei der Feier vor geladenen Gästen kam recht überraschend auch er zu Wort. Er war maßgeblich an der Entscheidung für beide neuen Konsumtempel beteiligt und sieht deren mögliche Auswirkungen naturgemäß anders. Er hat keine Sorge, dass die neuen Einkaufscenter den innerstädtischen Händlern existenziell schaden könnten.

Schuster glaubt, dass genügend Kaufkraft vorhanden sei. Mit einem Schlag sind das 70 000 Quadratmeter zusätzliche Verkaufsfläche. Konkret 280 neue Läden. In Kaufkraft umgerechnet wären das laut Handelsexperte Michael Bräutigam, Geschäftsführer des Maklers Colliers International Stuttgart, eine Summe zwischen 300 und 350 Millionen Euro jährlich.

„Ich bin sehr zufrieden“, sagte Schuster, „Stuttgart hat eine hohe Zentralität in den Bereichen Kultur, Sport oder bei den Krankenhäusern für etwa drei Millionen Menschen. Im Einzelhandel haben wir diese Zentralität nicht. Deshalb wollten wir sie stärken.“Sprich: Neue Kunden von außerhalb der Stadt nach Stuttgart holen.

Wie die neuen Center sich auf den Handel in der Stadt auswirken, lässt sich wohl erst im Laufe eines Jahres klarer sagen. Doch erste Vorboten gibt es bereits. Kleine Händler und Dienstleister in der Tübinger Straße klagen bereits. Nicht über das Gerber. Es wird allen im Viertel mehr Kunden zuführen. Sie klagen vielmehr über die mittelbaren Folgen. Ihre Vermieter haben mit der Eröffnung des Gerbers die Mieten erhöht. Für den einen oder anderen Einzelhändler oder Inhaber geführten Laden könnte diese Entwicklung zum Aus führen.

In solche Negativtöne wollten am Montagabend die meisten der über 500 geladenen Gäste bei Häppchen, Trommelvorführungen und Akrobatik nicht einstimmen. Das Fazit der Redner auf der Bühne, aber auch von vielen Architekten und Einzelhandelsexperten: Das Gerber sei kein Modell von der Stange, sondern eine „individuelle Frischzellenkur“ für das gesamte Quartier.

Von diesem Dienstag an entscheiden die Kunden darüber, ob sie das genauso sehen. Die Württembergische Lebensversicherung als Bauherrin rechnet zum Auftakt mit mehreren Zehntausend Besuchern, die das neue Einkaufszentrum beschnuppern und einkaufen gehen. Die meisten dürften nicht m it dem Damenfahrrad anreisen.