Mit „Pangolin“ setzten Huguette Tolinga und die Podium-Combo beim Eröffnungskonzert des Esslinger Podium Festivals einen besonderen klanglichen Farbtupfer. Foto: Rainer Kellmayer

Das Eröffnungskonzert des Podium Festivals in der Esslinger Stadtkirche bringt eine Neuinterpretation der „Ode an die Freude“. Folkloristische Töne waren ebenfalls zu hören.

Kaum ein anderes Werk der klassischen Musikliteratur hat eine ähnliche Popularität erlangt wie Ludwig van Beethovens neunte Sinfonie mit dem Schlusschor „Ode an die Freude“. Beim fulminanten Eröffnungskonzert der 17. Auflage des Podium Festivals Esslingen stellte das sinfonisch besetzte Ensemble Reflektor in der evangelischen Stadtkirche dieses Werk ins programmatische Zentrum. Es war sicher kein Zufall, dass gerade am 8. Mai, dem 80. Jahrestag des Kriegsendes, dieses zu Frieden und Versöhnung aufrufende Werk erklang.

 

Das Podium würde jedoch seinem eigenen Anspruch nicht genügen, wenn es lediglich Beethovens Musik partiturgerecht umsetzte. Es gab ein Novum: Während die ersten drei Teile der Sinfonie in Reinkultur gespielt wurden, hörte man den vierten Satz in einer neuen, zeitgenössischen Perspektive der chinesisch-deutschen Komponistin Ying Wang. Damit setzte man einen Gegenpol zur Vereinnahmung von Beethovens Opus als politisches Werk.

Stadtkirche gespenstisch erleuchtet

Doch zunächst gab es, nach der eröffnenden Geräuschkomposition „Everything else“ von Sarah Hennies, spannende wagnerische Töne. Der Wohlklang hielt jedoch nicht lange an. Zunehmend wurden die vom Band eingespielten Aktionen von Verfremdungen und Verzerrungen überlagert: Durch den dissonanten atonalen Klangteppich mit seinen mannigfachen Überlagerungen entstand in der von wandernden Lichtkegeln gespenstisch erleuchteten Stadtkirche eine geheimnisvolle Atmosphäre.

Dann Beethoven. Die aus Israel stammende Dirigentin Bar Avni führte das Ensemble Reflektor mit motivierendem Dirigat durch die ersten drei Sätze der „Neunten“. Sie leuchtete die Partitur bis in die Feinheiten hinein aus und sorgte für eine profilierte Wiedergabe: beeindruckend im dynamischen Gestus und mit sensibler Klangsinnlichkeit im langsamen Satz.

Nach jedem Satz gibt es heftigen Applaus

Das bestens disponierte Orchester setzte die dirigentischen Impulse aufmerksam und klangschön um. Man hörte einen Beethoven voller Elan, mit herrlichen Bläsersoli, präzisen Streicheraktionen und vehementen Paukenschlägen. Vom zupackenden Spiel des Ensemble Reflektor war das Publikum derart begeistert, dass nach jedem Satz heftig applaudiert wurde.

Die als Ersatz des vierten Satzes gedachte Komposition „Frequenz Ludwig“ von Ying Wang brachte zwar einige Zitate aus Beethovens „Ode an die Freude“, bewegte sich ansonsten aber in der von freien Intervallkombinationen geprägten Welt der Atonalität. In dem vom Podium Esslingen beauftragten Werk schuf die Komponistin eine zeitgenössische künstlerische Perspektive zum Thema Gerechtigkeit. Die weiten Sequenzen waren bestimmt von stürmischem Impetus, flirrenden Streicherattacken und turbulenten Klangballungen, die vom Drumset rhythmisch befeuert wurden.

Mit entspannteren Tönen endete das Podium-Eröffnungskonzert. In „Pangolin“, einer Reminiszenz an das vom Aussterben bedrohte Schuppentier, entführte die aus dem Kongo stammende Perkussionistin und Sängerin Huguette Tolinga in die Klangwelt ihrer afrikanischen Heimat.

Kraftvolle, ostinat durchlaufende Rhythmen gaben der Komposition den stabilen Grund, auf dem sich Tolingas ausdrucksstarke Stimme frei entfaltete. Das leichtfüßige Spiel der begleitenden Combo war bestimmt von gekonnten Soli von Saxofon und E-Gitarre: Es entwickelte sich ein angenehmer, folkloristisch gestützter und unterhaltender Sound, von dem das begeistert applaudierende Publikum gerne mehr gehört hätte.