Herkömmliche Solarzelle beim Qualitätscheck – eine neue Technologie mischt die Forschung auf. Foto: dpa

Weltweit boomen die Verkäufe von Solarzellen. In Deutschland dagegen darbt die Branche seit Jahren. Jetzt könnte eine neue Generation von leistungsfähigen Einfach-Solarzellen für neuen Schwung im einstigen Sonnenstrom-Vorzeigeland sorgen.

Stuttgart - Wenn Michael Powalla das Wort Perowskit in den Mund nimmt, ist es mit der gewöhnlichen Zurückhaltung des Wissenschaftlers vorbei. Er sagt dann Worte wie „fantastisches Konzept“ oder „rasante, nie da gewesene Entwicklungsgeschwindigkeit“.

Was den Fotovoltaik-Chef des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) so fasziniert, liegt in einem blass-schwarzen Mineral verborgen, das auf den ersten Blick an erstarrtes Bitumen erinnert und in ziemlich großen Mengen im Erdmantel schlummert. 1839 von einem deutschen Handlungsreisenden entdeckt und nach einem Russen benannt, fristete Perowskit mit seiner eigentümlichen Kristallstruktur jahrzehntelang ein kümmerliches Dasein. Der Grund: Keiner wusste so recht, was mit ihm anzufangen ist. Erst als man begann, Leuchtdioden oder Supraleiter mit Perowskit-Kristallen aufzumöbeln, dämmerte es den Materialwissenschaftlern: Was in ihren Schublabenschränken verstaubte, bildete eigentlich die Grundlage für technologische Fortschritte in einer ganzen Reihe von High-Tech-Bereichen.

Seit kurzem deutet sich nun an, dass Materialien mit Perowskit-Kristallstruktur auch die Leistung von Solarzellen – diese werden für die Energieversorgung der Zukunft unverzichtbar sein – stark nach oben schrauben könnten. Mittelfristig könnten so auch Häuslebauer und Solarfarmer billiger und besser eigene Sonnenenergie erzeugen.

Perowskit gilt als Wunderstoff

Bis dahin wird es allerdings noch einige Zeit dauern, denn Perowskit ist unter der Vielzahl erprobter Solarzellen-Materialien der Neuling.

Erst Mitte des vergangenen Jahrzehnts begann  eine Forschergruppe in Japan, Perowskit-Solarzellen zur Sonnenstromerzeugung zu nutzen. Wenig später klinkten sich andere Labore, etwa in Korea oder im englischen Oxford, ein. Innerhalb nicht einmal eines halben Jahrzehnts gelang es den Wissenschaftlern, die Wirkungsgrade der neuartigen Perowskit-Zellen um rund 12 Prozentpunkte auf 15 Prozent anzuheben. Ende 2015 gelang es dann einer Forschergruppe um den deutschen Chemiker Michael Grätzel, die Energieausbeute der Perowskit-Zelle noch einmal erheblich nach oben zu schrauben – auf einen Wirkungsgrad von 21 Prozent. Ein Durchbruch, wie viele Experten meinen.

Alles in allem zeigt sich eine Entwicklungsgeschwindigkeit, die für dieses Feld enorm ist – und einen Grund darstellt, warum Forscher wie ZSW-Bereichsleiter Powalla so große Stücke auf Perowskit halten. Nicht zuletzt nähert sich die Perowskit-Technologie nun der Leistungsfähigkeit herkömmlicher Solarzellen merklich an. An Letzteren wird allerdings schon seit vielen Jahrzehnten geforscht.

In der Forschung ist das Ausland vorne

Für die von wegbrechenden Endkundenmärkten gezeichnete deutsche Solarbranche ist Perowskit tatsächlich ein Hoffnungsschimmer. Bei herkömmlichen Halbleitermaterialien wie Silizium oder Germanium tut man sich immer schwerer, Erfolge zu vermelden. Die Wirkungsgrade substanziell zu steigern ist schwer geworden. Forschergruppen der großen Institute, darunter etwa das Freiburger Fraunhofer ISE oder das Stuttgarter ZSW, liefern sich bei gewöhnlichen Silizium- oder Dünnschichtzellen ein Kopf-an-Kopf- Rennen, übertreffen die Werte der Konkurrenten aber meist nur um wenige zehntel Prozentpunkte.

Dass die Innovationsgeschwindigkeit abnimmt, hat einen Grund: Solarzellen können aus physikalischen Gründen nicht mehr als knapp ein Drittel der durch das Sonnenlicht einfallenden Energie in Strom umwandeln. Mit Wirkungsgraden von etwa 25 Prozent bei herkömmlichen Silizium-Solarzellen ist man dieser magischen Schwelle schon recht nahe gekommen. Nur wenn Tricks angewandt werden – indem man beispielsweise Linsen auf die Halbleiter aufbringt, die das Sonnenlicht bündeln, oder mehrere Materialschichten übereinanderlegt, also Stapel bildet –, lassen sich Wirkungsgrade jenseits der 40 Prozent erreichen. Dies bedeutet aber einen erheblichen technologischen Aufwand und damit rasant steigende Produktionskosten im Fabrikbetrieb. Alles Eigenschaften, die den neuen Perowskit-Materialien auf wundersame Weise abgehen. Perowskit sei so einfach zu verarbeiten, dass man das „im Prinzip auch daheim in der Küche machen könnte“, sagt Powalla. Kostengünstig wird das Verfahren, weil der Materialeinsatz auf ein Minimum beschränkt werden kann. Die aktive Schicht ist nur wenige Mikrometer dünn und lässt sich zudem auch auf flexible Materialien wie Folien auftragen. Theoretisch sind mit Perowskit sogar durchsichtige Solarzellen möglich.

Damit taugt das Material auch als eine Art Turbo für herkömmliche Silizium-Zellen. Indem man sie mit Perowskit-Materialien beschichtet, könne man die Leistung der Mini-Sonnenkraftwerke recht einfach „boosten“, sagt Powalla.

Noch ist an eine Industrie-Produktion von Perowskit-Solarzellen nicht zu denken

Die Einfach-Bauweise macht die neuartigen Zellen auch wirtschaftlich. Eine aktuelle US-Studie schätzt die Kosten auf zwei Drittel des sonst Üblichen. „Sollte das tatsächlich der Fall sein, wäre das ein sehr gewichtiges Argument für den Markt“, sagt Powalla.

Bei aller Euphorie gibt der Fachmann allerdings auch zu bedenken, dass Perowskit trotz allem eine Technologie mit Unbekannten ist. Ein bislang ungelöstes Problem sei die Stabilität der Mini-Sonnenkraftwerke. Noch verlieren sie ihre Leistung viel schneller als Konkurrenzprodukte, die Jahre und Jahrzehnte ohne viel Leistungsverlust Sonnenstrahlen einfangen. Auch dass bei Perowskit-Zellen Blei zum Einsatz kommt, halten viele Experten für kritisch. Immerhin schaut die Umweltgesetzgebung heute ziemlich genau hin, welche Giftstoffe im Umfeld von Menschen verwendet werden.

Zu guter Letzt handle es sich bei Perowskit immer noch um eine Technologie im Labormaßstab, an der Forscher bestenfalls in kleinen Manufakturen werkeln. Eine kommerzielle Fertigung ist aktuell nicht in Sicht. Powalla sagt aber: „Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden wir das schnell sehen.“