Gut gemeint – aber auch gut gemacht? Um die Kosten der erneuerbaren Energien zu senken, steigt Deutschland vom Gas auf die Bremse. Doch es gibt Zweifel dass dies funktionieren wird.
Stuttgart - Für Menschen, die umweltfreundlichen Strom produzieren und ins Netz einspeisen, war Deutschland jahrelang ein Paradies. Ob die Fotovoltaikanlage auf dem Dach oder das Windrad, das von einer Bürgergenossenschaft betrieben wird – der Staat garantiert auf 20 Jahre die Vergütungen für den eingespeisten Strom. Ein sicheres Geschäft – der Stromverbraucher zahlt über die Umlage für erneuerbare Energien (EEG-Umlage) sogar den Strom, den er gar nicht benötigt. Und auch wenn die Netze den vielen Strom gar nicht aufnehmen können, der bei starkem Wind und Sonnenschein produziert wird, ist das bisher nicht das Problem der Menschen, die ihn einspeisen. Sie bekommen dann das Geld dafür, dass sie nicht liefern – in Summe Hunderte Millionen Euro im Jahr.
Für die Verbraucher bedeutet dies, dass sie eine höhere Umlage für Ökostrom bezahlen müssen. 6,354 Cent pro Kilowattstunde- das klingt zwar nach wenig, aber für eine vierköpfige Familie kommen dadurch immerhin rund 220 Euro im Jahr zusammen.
Mit einer großen Reform, die das Bundeskabinett vor einigen Tagen verabschiedete, sollen die Kosten jetzt deutlich gesenkt werden. Bereits in den vergangenen Jahren waren die Fördersätze für neue Anlagen gesunken – mit der jetzigen Reform wird das gesamte System komplett auf neue Beine gestellt. Künftig legt der Staat nicht mehr die Förderung fest, sondern nur noch die Menge. Die neu hinzukommenden Kapazitäten, für die es Geld gibt, werden begrenzt. Wie teuer das für den Verbraucher wird, darüber entscheidet künftig eine Auktion: Wer als Anbieter für die Einspeisung die geringsten Fördermittel beansprucht, bekommt den Zuschlag und kann Anlagen bauen, für deren Strom es die Einspeisevergütung gibt. Mit der Reform will Berlin auch das Tempo des Ausbaus erneuerbarer Energien bremsen. „Die Energiekosten sind insbesondere für Familien mit Kindern etwas, was nicht aus dem Blick geraten darf“, sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Lediglich Haushalte mit kleineren Fotovoltaikanlagen bis 750 Kilowatt erhalten weiterhin feste Fördersätze.
Je kleiner der Markt, desto weniger Geld für moderne Technologien
Was auf den ersten Blick wie eine sinnvolle Umstellung hin zu mehr Effizienz aussieht, hat aus Sicht des Karlsruher Energieversorgers EnBW aber erhebliche Schwachpunkte. Der Plan der Bundesregierung, alternative Energien nicht mehr mit fester Vergütung zu fordern, sondern die Mittel jeweils dem kostengünstigsten Anbieter zu geben, sei zwar im Grundsatz richtig, sagt Dirk Güsewell, Leiter der Geschäftseinheit „Erzeugung Portfolioentwicklung“ und verantwortlich für Planung, Entwicklung und Bau der Neubauprojekte im EnBW-Erzeugungsbereich, unserer Zeitung. Allerdings werde der verstärkte Kostendruck bei denen, die den Strom einspeisen, sich auch auf die Hersteller der Windkraft- und Solaranlagen auswirken. Das aber sei nur sinnvoll, soweit darunter nicht deren Innovationskraft leidet. „Ein ruinöser Wettbewerb, der nur über die Kosten ausgetragen wird, bringt eine kurzfristige Ersparnis, macht es aber langfristig schwerer, die Effizienz der Stromproduktion zu steigern“, so der Energiemanager. Voraussetzung für sinkende Kosten pro Kilowattstunde seien verbesserte Technologien, in die Lieferanten investieren müssten.
Die Aussicht auf einen deutlich schrumpfenden Markt sowie auf einen stark steigenden Kostendruck könnten die Innovationsfreude aber spürbar dämpfen. „Ein Unternehmen, das viel Geld in die Entwicklung einer neuen Anlage investiert, wird sich schon die Frage stellen, wie groß der Markt für solche Anlagen künftig noch sein wird“, so Güsewell. Mit dem Ziel, bis zum Jahr 2025 zwischen 40 und 45 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, verlangsame sich der bisherige Ausbau um über die Hälfte. Wenn der Markt für Hersteller nicht mehr attraktiv sei, drohe eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung: Wegen der hohen Kosten wird der Ausbau gebremst, und wegen des gebremsten Ausbaus sinken die Produktionskosten nicht.“
Auch in anderen EU-Ländern werde der Ausbau „eher konsolidiert als vorangetrieben“. Das vergrößere die Herausforderungen für die Hersteller eher noch. Damit steige das Risiko, dass die politisch beeinflusste Marktentwicklung dazu führt, dass Anbieter aus dem Markt ausscheiden und es eher weniger Wettbewerb gebe als mehr. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, sei Deutschland gut beraten, eine „energiepolitische Vorbildrolle einzunehmen und nicht auf halbem Wege stehenzubleiben“.
„Die hohen Kosten sind lediglich die Symptome“
Um die Kosten für erneuerbare Energien zu senken, müsste Güsewells Ansicht nach an den Wurzeln angesetzt werden – der mangelnden Kapazität des Stromnetzes, die verhindert, dass Strom aus erneuerbaren Quellen dorthin gebracht wird, wo er gebraucht wird. Da er vom Verbraucher auch dann bezahlt werden muss, wenn er gar nicht transportiert werden kann, seien allein im ersten Halbjahr 2015 Kosten von 192 Millionen Euro entstanden. Wichtig sei auch, neue Anlagen vor allem dort aufzubauen, wo das Netz noch Kapazitäten habe. Hier enthielten die Reformpläne die sinnvolle Regelung, dass in Gebieten, in denen solche Netzengpässe auftreten, der Ausbau zusätzlich beschränkt wird. Doch insgesamt kuriere man mit der Begrenzung des Ausbaus „lediglich an den Symptomen herum“.
Um Vorzieheffekte zu vermeiden, will die Politik die Fördersätze im kommenden Jahr um fünf Prozent kürzen, was Güsewell aber für höchst problematisch hält. Dies treffe viele Projekte, bei denen alle Entwicklungskosten bereits angefallen und die Verträge mit Herstellern bereits abgeschlossen seien. Weil es kaum noch möglich sei, die Kosten zu senken, schlage diese nachträgliche Kürzung voll auf die Kalkulationen durch. Das habe „nichts mit nachhaltiger Kostensenkung zu tun, sondern dient allein der Abschreckung“. Es drohe ein erheblicher Vertrauensverlust.
Deutliche Auswirkungen wird die geplante Änderung, die unter den Parteien bisher sehr umstritten ist und noch durch den Bundestag muss, auch für Bürgergenossenschaften haben, die zum Beispiel gemeinsam Windräder betreiben. Trotz der Erleichterungen im Ausschreibungsverfahren dürften an deren Kapitalkraft und an die Fähigkeit, Risiken zu kalkulieren, höhere Anforderungen als bisher gestellt werden, so Güsewell. Auch könnten sich für sie Schwierigkeiten ergeben, Lieferanten zu finden, weil sie sich angesichts des Kostendrucks in Ausschreibungsverfahren genauer überlegen müssten, für welche Projekte sie überhaupt ein – aufwendig zu erstellendes – Angebot einreichen. Hier böten sich Kooperationen mit großen Energieversorgern wie der EnBW an, bei denen die Bürgergenossenschaften ihre lokale Vernetzung und die Versorger ihre Kompetenz beim Risiko- und Projektmanagement einbringen. Der schärfere Wettbewerb um Fördermittel müsse daher nicht zur Verdrängung von Bürgergenossenschaften führen.