Peter Glaser beobachtet mit einigem Erstaunen die Ernährungsgepflogenheiten der digitalen Elite. Foto: Dan Leveille/Wikimedia Commons

Essen ist Zeit- und Geldverschwendung, sagt ein Jungunternehmer aus dem Silicon Valley – und verkauft eine Art Essenssimulation.

San Francisco - Etwa 62 Prozent aller Amerikaner essen zu Mittag an ihrem Arbeitsplatz aus Styroporschalen, Pappkartons oder Tupper-Dosen. Eine einflussreiche Untermenge der Arbeitsplatzesser sind die Nerds, vor allem das Silicon Valley wimmelt nur so von ihnen. Während das bürgerlich-professionelle IT-Individuum die Dienste einer Kantine in Anspruch nimmt und Blogs wie „Cooking For Engineers“ liest, ist es den Nerds schlicht um die Zeit leid, die für die Nahrungsaufnahme draufgeht. Sie überlegen, wie man diese biologische Altlast loswerden könnte.

Wie wird man 100 Jahre alt? Man lässt die Lebensmittel weg und isst nur noch die Konservierungsstoffe. Robert Rhinehart, der sich als „Ingenieur und Unternehmer“ aus San Francisco vorstellt, versucht es mit einer Variation dieses kühnen Ansatzes. Aus pulverisierten Kohlehydraten – der Stärke aus Hafermehl –, einem Schwung künstlicher Vitamine, Mineralien, Fettsäuren und Proteinen produziert er unter der Bezeichnung „Soylent“ ein Pulver, das in Wasser aufgelöst eine beige, cremige Flüssigkeit ergibt, die nach feuchter Pappe schmeckt.

Im Film wird Soylent Green aus Menschenfleisch hergestellt

Der Markenname ist eine Anspielung auf den Film „Soylent Green“ aus dem Jahr 1973 – der passenderweise unter der Regie eines Mannes mit dem Namen Richard Fleischer entstand. In der Ökodystopie wird eine übervölkerte, denaturierte Welt um die Jahrtausendwende gezeigt, die von einem Lebensmittelkonzern beherrscht wird (Soylent ist ein Kunstwort aus den englischen Bezeichnungen für Soja – soy und Linse – lent). Am Ende stellt sich heraus, dass eine neue, extrem beliebte Sorte, eben Soylent Green, aus Menschenfleisch hergestellt wird.

Essen ist für Rhinehart Geld- und Zeitverschwendung, und mancher Gamer folgt ihm da auf dem Fuße. „Mir gefällt diese Soylent-Idee für lange Spiel- oder Programmiersessions“, schreibt Nutzer „rdargar“, schränkt dann allerdings ein: „Ich würde mir aber auch gern ab und zu ein Butter-Chicken reintun.“

Die Mischung ist billiger als richtiges Essen

Rhinehart hat sich auch schon mal einen Monat lang ausschließlich von Soylent ernährt und zählt die Vorteile des beigen Breis auf, dessen Mischung er ausgetüftelt hat. Man könne seine Kreativität ganz auf die Arbeit konzentrieren, ohne sich um die lästige Beschaffung und zeitraubende Zubereitung von Essen kümmern zu müssen. Spart also Zeit, kennt man ja auch von den innovativen Gemüsereiben aus dem Teleshopping. Und es ist billiger als richtiges, also althergebrachtes Essen. Rhinehart ist sich sicher, dass sein Sättigungspulver ein Segen für die Dritte Welt wäre. Er sieht Bill und Melinda Gates, die sich dafür einsetzen, dass mehr Menschen in Entwicklungsländern Zugang zu sauberem Wasser bekommen, gewissermaßen als Vorhut. Denn wo Wasser ist, kann man auch Pulver reinrühren.

Bis heute isst Rhinehart nur ein, zwei normale Mahlzeiten die Woche und ernährt sich im Übrigen von seinem Cocktail. „Sich nicht den Kopf über das Essen zerbrechen zu müssen ist fantastisch“, sagt er. Der Ernährungspsychologe Christoph Klotter von der Hochschule Fulda findet die Idee absurd. „Das Belohnungszentrum im Gehirn wird im Wesentlichen über das Essen gesteuert. Dieser Mann muss vollkommen geschmacks- und genussfrei sein – oder er holt sich seine Belohnung irgendwie anders.“

Marvin Minsky, einer der Väter der künstlichen Intelligenz, weiß, dass die Geisteskräfte nicht von der Nahrung allein herausgefordert werden. Das Essen muss ein Geheimnis haben. Als Beispiel führt er an, weshalb Hacker so gern chinesisch essen: „Weil das Essen durchnummeriert ist und sich so schön kryptisch anhört.”