Fethullah Gülen lebt in den USA. Erdogan hat seine Auslieferung beantragt – allerdings angeblich ohne jeglichen Beweis dafür, dass Gülen mit dem Putschversuch in der Türkei etwas zu tun hat Foto: dpa

Die Jagd auf Gülen-Anhänger hält unser Kommentator Rainer Wehaus für besonders bitter. Denn die Gülen-Anhänger seien in Deutschland meist jene, die am besten integriert seien.

Stuttgart - Gülen oder Erdogan? Sind doch beide gleich schlimm, haben ja auch lange zusammen gearbeitet. So ist der Grundtenor in der deutschen Öffentlichkeit. Aber das stimmt nicht – zumindest nicht, wenn man das zum Maßstab nimmt, was beide tatsächlich tun oder getan haben. Und da wäre nach deutschem Polit-Sprech eher die Devise: Mehr Gülen, weniger Erdogan. Der inzwischen in Amerika lebende Prediger Fethullah Gülen hat sich erfolgreich darum bemüht, Schulen zu gründen. Und zwar Schulen, die wirklich Bildung vermitteln. Denn Bildung, so sein Credo, ist der Schlüssel zum Erfolg. Präsident Recep Tayyip Erdogan hingegen setzt auf Nationalstolz und den Islam. Spätestens seit dem Putschversuch agiert er nur noch destruktiv und spaltend. Vor gebildeten Menschen muss ein Erdogan Angst haben.

Das Gegenteil von Integration

Das macht die Boykottaufrufe und Hetze gegen Gülen-Anhänger so bitter: Es geht meist gegen die Gebildeten und beruflich Erfolgreichen. Gegen jene Türken also, die sich am besten integriert haben. Die Jagd auf Gülen-Anhänger – im übrigen ohne jegliche Beweise für eine Beteiligung von Gülen an dem Putsch – ist das Gegenteil von Integration. Umso wichtiger ist, dass der deutsche Staat diese Menschen bestmöglich schützt.

Hoffen auf die Justiz

Die Ermittlungen wegen Volksverhetzung sind ein Anfang. Nun muss sich die Justiz aber auch trauen und keinen Aufwand scheuen, die Hintermänner zu ermitteln. Die Arbeit der Ermittler hat nämlich hohen symbolischen Wert. Sie zeigt Erdogan und seinen fanatisierten Anhängern die Grenzen auf. Säuberungsaktionen wie in der Türkei darf es in Deutschland nicht geben. Es ist schon schlimm genug, dass die offizielle deutsche Politik gegenüber Erdogan gerade eher untertänig ist, weil man ihn ja angeblich zur Bewältigung der Flüchtlingskrise braucht. Die deutsche Justiz sollte dieses böse Spiel nicht mitmachen.

rainer.wehaus@stuttgarter-nachrichten.de