In der Corona-Krise hatten es Obdachlose besonders schwer. (Symbolbild) Foto: dpa/Jens Kalaene

Das Sozialunternehmen Erlacher Höhe kümmert sich um Wohnsitzlose, Suchtkranke und Arbeitslose im Südwesten. Der Lockdown setzte ihnen besonders schwer zu. Die Organisation fordert Konsequenzen.

Großerlach - „Not ist immer hierarchisch“, davon ist Wolfgang Sartorius überzeugt. Was der Vorstand des diakonischen Sozialunternehmens Erlacher Höhe damit meint? „Für eine alleinerziehende Frau mit drei Kindern, die in einem Wohnblock lebt, war der Lockdown eine ganz andere Situation als für eine Familie im Einfamilienhaus mit Gärtchen.“

Die Verantwortlichen bei der Erlacher Höhe haben am Montag eine – vorläufige – Bilanz darüber gezogen, welche Folgen das Virus und der Lockdown für das Klientel der Hilfsorganisation bislang hatten. „Es war ein Desaster für viele Wohnungslose und Einkommensschwache“, sagt Sartorius.

Quarantäne stellte eine große Herausforderung dar

Auch die Erlacher Höhe stand besonders am Anfang der Corona-Krise vor einer riesigen Herausforderung. Immerhin gab es auch hier positive Tests und Covid-19-Erkrankungen. Schutzausrüstung war anfangs Mangelware. Ende März gab es den ersten Covid-Fall. Ein Mitarbeiter erkrankte schwer, fiel zehn Wochen aus. „Inzwischen hat er das Virus gut überstanden.“ Doch es sollte nicht der einzige Fall bleiben.

Wer den Verantwortlichen der Erlacher Höhe zuhört, erfährt, welche Probleme und Herausforderungen es während der Pandemie gab – aber auch, wie der Alltag sich trotz der Vorkehrungen wieder einigermaßen normalisiert hat. Etwa, dass es Ende April ein Wikingerschach-Turnier gegeben hat. Bei dem Wurfspiel konnten die Klienten der Sozialtherapie gegeneinander antreten – Haus gegen Haus, aber unter Wahrung der Abstandsregeln.

Ein Bewohner beging während des Lockdowns Selbstmord

Nicht für jeden wendete sich in dieser Zeit alles zum Guten. Einer der Klienten der Erlacher Höhe etwa nahm sich auf einem Bahngleis im Neckartal das Leben. Ob die Umstände rund um die Corona-Krise diese Tat ausgelöst haben, sei unklar, sagt Karl-Michael Mayer, der die Soziale Heimstätte der Erlacher Höhe leitet. „Aber es geschah mitten in der Phase des Lockdowns und dieser enormen Anspannung.“ Die Isolation durch Quarantäne und andere Einschränkungen berge die Gefahr, dass die Sorgen und Nöte derer, die keine Familienangehörigen oder enge Freunde haben, niemandem auffielen.

„Viele unserer Klienten sind auf die sozialen Kontakte angewiesen, die sie hier haben“, sagt Mayer. Dass durch das Virus Freizeit- und Gruppenangebote ausgesetzt wurden, habe diesen Bewohnern auch zugesetzt. In einem anderen Fall in einer der Einrichtungen im Nordschwarzwald entwickelte ein junger Mann in Quarantäne eine akute Psychose. „Die zuständige Psychiatrie war nicht bereit, ihn aufzunehmen“, erinnert sich Wolfgang Sartorius.

Das fordert die Erlacher Höhe von der Politik:

Der Vorstand des Sozialunternehmens fordert nun von der Politik, Konsequenzen aus den Erkenntnissen der Krise zu ziehen. „Der Wohnungsbau muss weiter vorangetrieben werden, um den Schutz vor Wohnungslosigkeit zu verbessern.“ Wer eine Wohnung habe, verfüge über ein Bad und könne Hygienevorschriften einhalten. Meistens zumindest: In vielen der Wohnungen, die Kommunen für von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen bereithalten, „verfügen die Bewohner nicht einmal über eine Dusche“, so Sartorius. In Sammelunterkünften seien die hygienischen Zustände oft katastrophal.

Ein weiterer Punkt, der in der Corona-Krise offenbar geworden sei: Der Regelsatz der Grundsicherung sei um „mindestens 100 Euro“ zu niedrig angesetzt. „Dass im Lockdown die Tafelläden zugemacht haben, hat auch Rentner, vor allem Frauen, hart getroffen.“

Wolfgang Sartorius wünscht sich, dass die Erkenntnisse aus der Corona-Krise nicht in Vergessenheit geraten. „Die Pandemie hat uns den Spiegel vor Augen gehalten. Jetzt hoffe ich, dass die Aufmerksamkeit für diese Themen die Corona-Krise überdauert.“