Blick in die neuen Ausstellungsräume: Die Fotos zeigen Opfer des Naziregimes. Foto: dpa

Die Initiative Hotel Silber hat gut zehn Jahre lang für den Erhalt der ehemaligen Gestapo-Zentrale in Stuttgart gekämpft. Wenn der Erinnerungsort an diesem Montag eröffnet wird, ist eines sicher: Die Bürger werden auch künftig mitreden.

Stuttgart - Harald Stingele hatte vorher ja schon manches erlebt. Er hatte Stolpersteine zur Erinnerung an Opfer der Nazi-Herrschaft ins Stuttgarter Pflaster versenkt. Oder mit anderen zusammen ein „Täterbuch“ über Nationalsozialisten aus Stuttgart vorgelegt, was schon etwas konfliktträchtiger gewesen sei. „Aber das hier war am heftigsten“, sagt der 74-jährige Vorsitzende der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber.

Gemeint ist der Kraftakt, der nötig war, damit der ehemalige Standort der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) für Württemberg und Hohenzollern sowie die originalen Baureste weiter sichtbar mahnen dürfen. Ohne die Initiative wäre das Gebäude Dorotheenstraße 10 nicht mehr da, hat OB Fritz Kuhn (Grüne) schon im Februar 2015 gesagt. Anlässlich der Eröffnung des Lern- und Gedenkorts an diesem Montag hört man den Satz nun wieder. Doch solche lobenden Hinweise verraten nicht, welch komplexes Lehrstück sich dahinter verbirgt. Es handelt davon, wie schwer sich eine Stadt mit Zeugnissen aus der Nazi-Zeit tut. Auch davon, dass Bürgerbeteiligung der Politik weh tun kann, ebenso dem Träger der Einrichtung: dem vom Land dazu eingesetzten Haus der Geschichte.

Auch die Ratsfraktion der Grünen war für den Abriss

2007 kündigte Breuninger-Chef Willem van Agtmael den Bau eines neuen Stadtquartiers an. Der Ort, von dem von 1937 an für acht Jahre die Verfolgung und Tötung von Andersdenkenden, Juden und Angehörigen anderer Minderheiten ausgegangen war, stand im Weg. Trägervereine der „Erinnerungsarbeit“ forderten rasch die Erhaltung. Die Riege von SÖS/Linke-plus im Rathaus musste nicht bearbeitet werden. SPD-Stadträte verlangten auch schon im Mai 2007 immerhin ein Mahnmal oder eine Gedenkstätte in einem der Neubauten, und die SPD forcierte das später. Das konservativ-bürgerliche Lager im Rat und die Grünen aber standen bereit, den Abriss möglich zu machen. OB Wolfgang Schuster (CDU) räumte zwar im Oktober 2008 ein, mit einer Gedenktafel an einem Neubau wäre der Erinnerung nicht Genüge getan. Dem Abrissplan widersprach er aber nicht.

Das Bündnis blieb hart und pochte weiter aufs Altgebäude. Heute sagt Stingele: „Wir haben es dann clever gemacht. Wir haben auf allen verfügbaren Klavieren gespielt.“ Man zog Aufmerksamkeit auf Stuttgart. Auch überregionale Medien berichteten. Experten von deutschen NS-Dokumentationsstätten kamen zu Hilfe, ebenso im Ausland lebende Gestapo-Opfer, die überlebt hatten, oder deren Kinder. Man ging auch auf die Straße, wo wegen des Projektes Stuttgart 21 schon ein rauer Wind herrschte. Die CDU unter Ministerpräsident Mappus wollte den Abbruch des Hotels Silber, das dem Land gehörte. Basta.

Eine Wechselwirkung im Widerstand: S 21 und Hotel Silber

War diese Causa die kleine Schwester des Konfliktes um S 21? „Es gab eine Wechselwirkung“, sagt Stingele nicht nur, weil er bei einer der Montagsdemos gegen S 21 redete. Die SPD trat für den Tiefbahnhof ein. Möglicherweise habe sie beim Hotel Silber aus Kalkül anders gehandelt, vermutet Stingele. Die Grünen waren noch klar gegen S 21, mit dem Abriss des Hotels Silber hätte sich die Ratsfraktion aber wohl arrangiert. Zumal van Agtmael im Mai 2010 mächtig Druck machte.

Dennoch bekamen die Abrissgegner Oberwasser. Sehr wichtig, sagt Stingele, sei der Nachweis durch den Mitstreiter Roland Ostertag gewesen, dass die Fliegerbomben nicht das ganze Gebäude vernichtet hatten. Dass der nach dem Krieg ergänzte Rest teilweise authentisch war. Der Standort selbst war es allemal. Schließlich zwang die grüne Kreispartei ihre Ratsfraktion zum Schwenk. Die Wende brachte die Landtagswahl 2011. Mappus und die CDU/FDP-Regierung wurden abserviert. Der designierte SPD-Vizeministerpräsident Nils Schmid veranlasste, dass das Haus in den grün-roten Koalitionsabsprachen eine Bestandsgarantie erhielt – und diese Causa für den Protest anders endete als S 21. Es dauerte aber noch lange, bis die innere Verfassung, die Finanzierung und das Konzept der Einrichtung modelliert waren. Ein Ergebnis: Die Initiative hat einen Raum und dauerhafte Mitsprache. So dürften auch inhaltliche Differenzen zwischen Haus der Geschichte und Initiative um die Tragweite der Aufklärung fortbestehen. „Es ist ein Spannungsverhältnis eingebaut“, sagt Stingele nach zehn Jahren Kampf, „aber das kann man auch positiv sehen.“