Der Moment: Mit vereinten Kräften enthüllt Bürgermeister Fabian Mayer das Schild, das auf den neuen Anton-Wilhelm-Amo Platz beim Arbeitsgericht hinweist Foto: jse

Im Stadtplan spiegelt sich für Stuttgarts Bürgermeister Fabian Mayer das „kollektive Gedächtnis der Stadt“. Darin kommen nun auch May Ayim und Anton Wilhelm Amo vor, zwei Schwarze Persönlichkeiten, denen jeweils ein Platz gewidmet wurde.

In Stuttgart gibt es jetzt Platz für zwei Schwarze Persönlichkeiten, die in ihrem Leben darunter gelitten haben, keinen Platz in der deutschen Gesellschaft zu haben: die in Deutschland geborene und gestorbene Dichterin und Aktivistin der afrodeutschen Bewegung May Ayim (1960 -1996) und der Philosoph Anton Wilhelm Amo, der im 18. Jahrhundert in Deutschland lebte, wohin er im Kindesalter als Sklave verschleppt worden war. Im Beisein vieler Bürgerinnen und Bürger und Vertretern der Stuttgarter Erinnerungskultur weihte Kulturbürgermeister Fabian Mayer am Freitag den Anton-Wilhelm-Amo-Platz an der Ecke Johannesstraße/Lerchenstraße vor dem Arbeitsgericht im Stuttgarter Westen ein; der Ort war bisher als Lerchenplätze bekannt. Im Rahmen der Feierstunde wurde auch ein Schild mit der Aufschrift May-Ayim-Platz enthüllt. Das ist der neue Name für das Gutenbergplätzle an der Kreuzung Gutenberg-/Vogelsang-/ Hasenbergstraße.

Die postkoloniale Erinnerungskultur weist große Lücken auf

Mayer sprach von einer „schweren Geburt“, nicht weil der Wille gefehlt habe, die beiden Persönlichkeiten zu würdigen, in dem man jeweils einen Platz nach ihnen benennt. Es sei vielmehr „die Bürokratie des Straßenrechts“, die verhinderte, dem Wunsch des Bezirksbeirats West schneller nachzukommen, denn es musste gewährleistet sein, dass die Anschrift des angrenzenden Arbeitsgerichts 86, erkennbar ist. Zusätzlich zu den neuen Schildern sollen jeweils Stelen platziert werden, die etwas über May Ayim und Anton Wilhelm Amo erzählen. Das scheint notwendig, denn im öffentlichen Gedächtnis spielen sie bisher kaum eine Rolle.

So sind es überwiegend Privatleute und -initiativen, die auf sie aufmerksam machen – etwa Eleonore Wiedenroth-Coulibaly, eine Wegbegleiterin der Dichterin. Bei der Platzeinweihung skizziert sie den Lebensweg der gebürtigen Hamburgerin, der geprägt gewesen sei von Zerrissenheit und dem Gefühl, aufgrund ihrer Hautfarbe nie angekommen zu sein in dem Land, in dem sie geboren wurde: „Sie war stolz, Schwarz zu sein trotz all der Schwierigkeiten in einem ihr feindlich gesinnten Umfeld.“

„May Aims Geist lebt auch hier“

Doch diese Selbstbehauptung raubte ihr offenbar zunehmend Kraft. 1996 schied May Ayim aus dem Leben. Die Platzbenennung soll auch ein Zeichen gegen Rassismus sein, betonte Kulturbürgermeister Mayer. Die Tatsache, dass sie nicht in Stuttgart wohnte, spielte bei der Platzbenennung keine Rolle. Auch Goethe war kein Stuttgarter, trotzdem ist eine Straße nach ihm benannt. „May Aims Geist lebt auch hier“, betonte Eleonore Wiedenroth-Coulibaly.

Apropos Goethe: Die Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin Yeama Bangali hat sich in ihrer Abschlussarbeit mit May Ayim beschäftigt und fragt sich, warum die deutsche Dichterin weder in der Schule noch an der Uni ein Thema ist. „Von Goethe kennt man jeden Zeilensprung“, May Ayim, die politische Gedichte, aber auch Liebesgedichte verfasst habe, sei dagegen fast unbekannt. Anlässlich der Platzeinweihung trägt sie Verse von ihr vor.

Als Kind versklavt und an den Herzog „verschenkt“

Ähnlich verhält es sich mit Anton Wilhelm Amo. Amo wer? Die Initiative „Amo Braunschweig Postkolonial“ übernimmt es bei der Platzeinweihung, diesen ersten afrodeutschen Philosophen vorzustellen. Ein Bild von ihm existiert nicht, und es ist auch nicht leicht, sich ein umfassendes Bild von ihm zu machen. Am ehesten vielleicht noch mit Hilfe der Stuttgarterin Monika Firla, die sich seit langem für eine Würdigung Amos einsetzt und über ihn geschrieben hat. Von ihr stammt auch der ursprüngliche Impuls, einen Platz in Stuttgart nach ihm zu benennen.

Geboren wurde er um 1700 in Ghana. Als Kind wurde er versklavt und kam über Rotterdam als „Geschenk“ an den Hof von Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel. Dieser „vererbte“ ihn 1714 seinem Nachfolger August Wilhelm. An den europäischen Fürstenhöfen sei es damals schick gewesen, Schwarze vorzuführen, berichtet Maik Bischoff von der Braunschweiger Initiative. Bei Hofe wollte man damals offenbar auch erproben, ob Schwarze zu Bildung fähig sind. Und wie er fähig war! Amo lernte mehrere Sprachen, studierte. 1730 machte er einen Magister in Philosophie und den Freien Künsten, 1734 promovierte er über das Leib-Seele-Problem, später habilitierte er sich.

In Ghana führte er später das Leben eines Eremiten

Doch bei aller Gebildetheit blieb da offenbar eine Wand zwischen ihm und seiner weißen Umgebung. Amo hatte keine Professur; er arbeitete als Privatdozent in Wittenberg und Halle, wo er offenbar Opfer einer Spottkampagne wurde, weil er einer Weißen einen Heiratsantrag gemacht hatte. Schließlich ging er zurück ins Land seiner Eltern, nach Ghana, deren Sprache er nicht kannte, und führte dort das Leben eines Eremiten. In Ghana ist er auch begraben. Sein genaues Todesdatum steht nicht fest. Für die Braunschweiger Initiative hat Amo einen herausgehobenen Platz in der Geschichte verdient, weil er rassistischen Vorurteilen entgegentrat und und die Werte der Aufklärung verbreitete. Stuttgart ist nach Berlin und Münster die dritte Stadt, die an Amo erinnert.

Alltagsrassismus – etwa im Medizinstudium

Mit einer Platzbenennung ist es aus Sicht der afrodeutschen Initiativen allerdings nicht getan. Die Einweihung sollte Auftakt sein, sich auf die Spuren der kolonialen Vergangenheit zu machen, betonte Cèline Bartholomaeus von der Braunschweiger Amo-Gruppe: „Vor uns liegt noch ein extrem langer Weg.“ Das zeigt auch der Hinweis ihres Mitstreiters Kofi Acheampong. Der afrodeutsche Medizinstudent berichtet von seinen Vorlesungen in Dermatologie. Dabei gehe es nur um weiße Haut. Begründung: Hautkrankheiten seien auf schwarzer Haut schwer zu erkennen. Für ihn ein Fall von Alltagsrassismus. Das Bewusstsein dafür müsse sich vielfach erst noch entwickeln.