Bernhard Pörksen Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Ganz im Sinne der Demokratie: Dem Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen wird in Stuttgart der Erich Fromm-Preis verliehen.

Man geht an diesem Samstagvormittag nicht unbefangen zur Verleihung des Erich Fromm-Preises in den Stuttgarter Hospitalhof. Mit den Bildern eines grausamen Terroranschlages in einem Moskauer Konzertsaal ist man am Abend zuvor schlafen gegangen; mit dem unmittelbar einsetzenden Deutungskampf in allen Netzwerken, wer daran Schuld sei – Islamisten, Ukrainer, der russische Geheimdienst selbst? –, wacht man morgens wieder auf. Was von alledem ist in diesem Gewitter der schnellen Deutungen wahr, was ist Täuschung? Für den weiteren Verlauf der Dinge könnte das egal sein: „Wenn Menschen einen Fake als real empfinden, dann sind die Folgen dieser Empfindung kein Fake mehr, sondern real.“

 

Stark gefragter Experte

Über die möglichen Folgen der Bilder vom Anschlag in Moskau hat der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen anlässlich der Preisverleihung an ihn nicht explizit gesprochen; der eben zitierte Satz stand in anderem Zusammenhang. Doch die Stärke der Arbeiten des 55-Jährigen ist ja gerade, dass seine sehr genaue Analyse unserer volldigitalisierten Mediengesellschaft Bilder und Begriffe liefert, die in der Betrachtung unseres Erlebens wirklich alltagstauglich sind, also erhellend. Sicher ein Grund, warum Pörksen nicht nur in Forschung und Lehre, sondern auch in vielen Debatten und Diskursen stark nachgefragt ist.

Dass er sich dabei nicht in eine Rolle des scheinbar objektiv betrachtenden Wissenschaftlers zurückzieht, sondern sich selbst versteht als Teil und Gesprächspartner einer um mediales Maß und um die vernünftige Mitte ringenden Gesellschaft, betonte die Laudatorin der Preisverleihung, die deutsch-türkische Publizistin und Bloggerin Kübra Gümüşay. Und diese Selbstsicht eines Wissenschaftlers in sozialer Verantwortung verbinde eben mit dem Reformer Fromm.

Pörksen gab wie so oft auch an diesem Vormittag wenig Pardon, wenn es um die Beschreibung unseres Medienalltags geht, der ja viel mehr ist als „Alltag“, er ist Lebenswirklichkeit: Immer häufiger gehe bei der Verbreitung von Neuigkeiten Geschwindigkeit vor Genauigkeit. Gerade in starken Krisenmomenten (Moskau?) sehnten sich die Menschen nach möglichst schneller sicherer Deutung. Das, was schnell viele Menschen interessiere, schlage auf allen Portalen das Relevante. Autokraten seien kaum kontrollierbar in ihren Möglichkeiten zur Manipulation. Und das weltweit verbreitete Smartphone sei eine Technologie der Indiskretion.

Kritische Recherche im Alltag

Was da helfen könne? Sein schon vor einigen Jahren entwickeltes Modell einer „redaktionellen Gesellschaft“ nennt Pörksen selbst eine „Utopie“ – letztlich geht es darum, in einer großen Bildungsoffensive Elemente des klassischen Journalismus wie die kritische Recherche und die Quellenkritik in den Alltag der Menschen einzuführen, um ihnen „mediale Mündigkeit“ zu verleihen. Entscheidend sei es, den Wert einer vor Desinformation geschützten „Öffentlichkeit als Lebensraum einer Demokratie“ zu erkennen.

Dies alles aber trägt Pörksen auch an diesem Mittag in Stuttgart nicht mit jenem Gruselpathos vor, das ja gerade in gewissen Kulturkreisen höchst populär ist, sondern mit der stillen Zusicherung, dass wir eigentlich alles selbst in der Hand haben. Mündigkeit wird bei ihm im Kern eben doch nicht verliehen, sondern errungen. Das macht Mut.