Dieser Tanz ist fast so lustig wie der „Gangnam Style“ und geht obendrein leichter: Tanz den Schlemmer! In der brechend vollen Staatsgalerie hat ihn Eric Gauthier in vier Durchgängen mit dem Publikum einstudiert. Man ballt die Fäuste, die Kugeln sein sollen. Die Ausstellung sorgt für einen Ansturm.
Stuttgart – Dieser Tanz ist fast so lustig wie der „Gangnam Style“ und geht obendrein leichter: Tanz den Schlemmer! In der brechend vollen Staatsgalerie hat ihn Eric Gauthier in vier Durchgängen mit dem Publikum einstudiert. Man ballt die Fäuste, die Kugeln sein sollen. Die Ausstellung sorgt für einen Ansturm. -
Woran lässt sich der Erfolg von Kunst messen? Am Bierumsatz? Schon eine Stunde nach der Rede von Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Start der umfassenden Werkschau „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“ sind alle Fässer leer.
Die Gäste, die zahlreicher und durstiger als erwartet gekommen sind, werden an den Theken abgewiesen. 2100 Besucher sind am Premierenabend gezählt worden, für den man eine Einladung der Staatsgalerie-Freunde gebraucht hat. Auch am Freitag, beim offiziellen Starttag für alle, drängen sich sehr viele in den Stirling-Bau.
Wo, bitte, geht’s zur Treppe? An der Kasse vorbei, links, dann einige Stufen runter – schon blickt man auf die weltberühmte, aus New York ausgeliehene „Bauhaustreppe“.
Die Fachwelt ist begeistert, aus allen Teilen Europas reisen Kunstexperten an. So viel Oskar Schlemmer war nie. Das Wort „sensationell“ fällt immer wieder. Zuletzt habe es 1993 bei Jeff Koons einen solchen Ansturm in der Staatsgalerie gegeben, ist zu hören, und der hat sich beim Sex mit seiner damaligen Frau Cicciolina ausgestellt.
Doch werden auch die Jüngeren zu Oskar Schlemmer kommen oder ihn gar tanzen? Kennen sie den 1943 mit 54 Jahren verstorbenen Bauhaus-Meister überhaupt?
Lange war von ihm nichts mehr zu sehen, weil sich die Erben einen Streit wie aus einem Thriller liefern. Bauhaus? Ist das nicht ein Handwerkermarkt mit dem Slogan „Wenn’s gut werden muss“?
Bauhaus – das war mal eine Schule in Weimar, die Kunst und Handwerk zusammenführte und von einer besseren Gesellschaft träumte. Damit die Studenten von heute auf eine Ikone der Avantgarde aufmerksam werden, geht die Staatsgalerie neue PR-Wege: Nicht nur die sozialen Netzwerke werden reichlich bedient. In den Mensen der Universitäten hängen nun Plakate mit Schlemmer-Motiven. Bauhaus – wenn die neue Welt gut werden soll!
In den Netzwerken werden immer wieder Tanzfotos aus der Galerie mit Eric Gauthier gepostet. Auch etliche TV-Teams sind da. Der Intendant der Theaterhaus-Kompagnie hat am Eröffnungsabend seine Hommage „Stil, Stahl, Schlemmer“ gleich viermal aufgeführt. Am Ende ist seine Stimme weg.
Sein Tänzer Rosario Guerra trägt einen silbermetallfarbenen Anzug. Über den Kopf ist eine glänzende Kugel gestülpt. Auch die Hände stecken in Kugeln, so dass der Tänzer wie eine Kunstfigur wirkt, nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. So ein Kostüm hat Oskar Schlemmer für seinen „Metalltanz“ gestaltet, den er 1929 entwickelte.
„Schneller, Schlemmer“ – mit diesem Ruf treibt Gauthier sein Publikum zum Mitmachen an, darunter sind Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Ex-Mercedes-Chef Jürgen Hubbert, Ballettstar Egon Madsen und die Schlemmer-Enkelin Janine Schlemmer. Am Anfang beteiligen sich die Promis nur zögerlich an der Kunstgymnastik. Charmant plaudert Eric über den Bauhaus-Meister, der selbst wenig sprach: „Oskar war so abstrakt – das Gegenteil von mir. Seine Tänzer hatten Metallköpfe, damit sie keinen Gesichtsausdruck hatten und keine Persönlichkeit. Ich finde es interessant, das anzufassen, weil ich das nie tun würde.“
Schlemmers „Triadisches Ballett“ gilt als „getanzte Mathematik“. Eric freut sich, dass sein Publikum langsam in Fahrt gerät. Fäuste über Kreuz, Hände hoch – so geht der Schlemmer-Style. Nur die Presse muss nicht mitmachen. „Die machen nie mit“, sagt er. In den späteren Vorstellungen ist die Mittanzquote viel größer als bei den Vips.
Kretschmann weiß, dass ihn viele Kameras beobachten. Seine Schritte sind rhythmisch, als wolle er Gauthiers Musterschüler werden. Leichtfüßig kommt der MP voran und hört viel Lob. Doch kurz danach sorgt er dafür, dass sich nichts mehr bewegt. Die anderen Zuschauer dürfen erst den Saal verlassen, nachdem der Regierungschef fertig mit einem Fernsehinterview ist – „aus Sicherheitsgründen“, wie es heißt.
Ebenfalls aus Sicherheitsgründen sind etliche Werke nur hinter einer dicken Glasscheibe zu sehen. Die vom New Yorker MoMA entliehene „Bauhaustreppe“ hängt übrigens ohne Scheibe. Fotografieren darf man sie nicht. Wer das Smartphone zückt, wird umgehend auf das Verbot hingewiesen. In einer maßgeschneiderten Klimakiste war das Bild auf dem Luftweg nach Deutschland gekommen, stets bewacht von Bodyguards und einem Kunstspediteur.
Das New Yorker Museum hatte das Bild viele Jahre nicht herausgerückt. Nach einer Ausleihe nach Berlin wäre es 2000 fast nicht zurückgekehrt. Schlemmers Erben erwirkten eine einstweilige Verfügung. Als das Werk beschlagnahmt werden sollte, war es schon auf dem Rückweg. Alles wie aus einem Krimi. Die Erben zweifelten die Rechtmäßigkeit des Verkaufs in den 1930ern an. 70 Jahre nach Schlemmers Tod ist nun das Urheberrecht erloschen.
Neid, Missgunst, Streit um Millionenbeträge, eine zerstrittene Familie – wenn das nicht die Zutaten für eine große Oper sind!
Tanz den Schlemmer! Etwas affig mag es aussehen. Das Gehüpfe nimmt ein bisschen Respekt vor dem großen Meister. Gauthier aber zeigt uns: Man kann jemanden verehren und trotzdem ganz locker bleiben.