Das Flugfeld – hier ein Foto von 2015 – war ein Glücksfall für die Ansiedelung von Unternehmen. Foto: Werner Kuhnle

Dem Kreis Böblingen wird erneut die beste Innovationskraft im ganzen Land ausgestellt. Vieles liegt an der Großindustrie, etwa der Autokonzerne. Aber die Wirtschaftsförderer des Kreises und der beiden großen Städte Böblingen und Sindelfingen kennen noch mehr Gründe.

Böblingen - Zum wiederholten Mal liegt der Kreis Böblingen im sogenannten Innovationsindex in Baden-Württemberg ganz vorne. Aber was steckt dahinter, warum wird dem Kreis südwestlich von Stuttgart so viel zugetraut? Denn nichts anderes ist dieser Index – ein Versprechen für die Zukunft.

Alle zwei Jahre veröffentlicht das Statistische Landesamt den Innovationsindex aller 44 Land- und Stadtkreise sowie der zwölf Regionen im Land. Wie in den Vorjahren landete Böblingen auf Platz eins, diesmal aber mit einem Abstand von mehr als 15 Punkten auf den Nächstbesten – die Stadt Heidelberg.

Automobilindustrie als Innovationstreiber

Sechs Faktoren fließen in den Index ein: darunter etwa die Investitionen in Forschung und Entwicklung und in das Personal in diesem Bereich. Und da haben die Automobilkonzerne im Jahr 2017, das dem aktuellen Index als Berechnungsjahr zugrunde liegt, rund 27,9 Milliarden Euro investiert, 23 Prozent mehr als 2015 (dem vorherigen Berechnungsjahr) – natürlich nicht nur im Kreis Böblingen, aber eben da besonders. Das sei der wichtigste Grund für den extremen Sprung des Kreises, sagt Ruth Einwiller, die Analystin im Statistischen Landesamt.

Die ganz großen Unternehmen sind die Innovationstreiber, das ist auch im Kreis Böblingen so. Trotzdem ziehen die Großen auch viele Kleinere an, eine Gründerszene entwickelt sich, und das zieht wiederum andere an. Den Rahmen geben die Kommunen und der Kreis.

Erfolgsidee Gründerlotsen

Auch da versucht Böblingen Kräfte zu bündeln. Unter anderem mit dem Zentrum für Digitalisierung, das Gründern, Kleinbetrieben und Mittelständlern auf dem Weg in die Digitalisierung hilft. Etwa mit Sprechstunden oder Workshops. Hörbar stolz ist der Kreiswirtschaftsförderer, Sascha Meßmer, auf zwei Erfolgsgeschichten: das Unternehmerfrühstück, bei dem sich erfolgreiche Firmen vorstellen – „das war jedes Mal ausgebucht“ –, und die Gründerlotsen, die erste Ansprechpartner seien für jeden im Kreis, der sich selbstständig machen will. „Die helfen durch den Dschungel, das wird nicht nur gut angenommen, da haben wir aus der Wirtschaft viele überzeugte Mitwirkende.“

Diese Ideen entstammen der Strategie „wirtschaftsstarker Landkreis“ aus dem Jahr 2018. Sie sind jünger, wirkten also noch nicht in den jüngsten Index, aber tragen schon Früchte: Der Kreis landete am Donnerstag im Finale auf Platz drei des Landeswettbewerbs „Start-up BW Local“. Sascha Meßmer: „Natürlich wäre Platz eins noch schöner gewesen, aber wir nehmen unheimlich viel mit.“

Es sind immer dieselben Stichworte für den Erfolg, die alle Beteiligen im Landkreis nennen: kommunizieren, vernetzen, ansprechbar sein. Und vielleicht auch eine gesunde Konkurrenz? Die herrscht zum Beispiel zwischen den zwei Platzhirschen Böblingen und Sindelfingen. Beispielsweise bietet das Software-Zentrum in Böblingen mittlerweile fast 100 Firmen einen Standort. Der Wirtschaftsförderer der Stadt, Dominic Schaudt, sagt: „Dort haben wir nicht nur Start-ups mit sehr jungen Gründern, sondern auch 40- oder 50-Jährige, die in die Selbstständigkeit gehen.“ Ein Pfund, mit dem man wuchern wolle, sagt Schaudt. Er sieht sich wie die Kollegen aus den anderen Städten als Berater und Vernetzer: Wenn Bauanträge schon gleich vollständig seien, gehe es nachher umso schneller. Das klingt trivial, ist aber oft der Sand im Getriebe auf dem Weg zum roten Punkt für den Neubau.

„Spezialisiert aufs Netzwerken“

Auch die Nachbarstadt wartet auf: In Sindelfingen fanden etwa im Start-up Planet in der Altstadt junge Gründer den ersten Firmensitz. Sascha Dorday, Wirtschaftsförderer in Sindelfingen, wirbt damit, dass sich die Stadt besonders gut aufs Netzwerken verstehe: Immobiliendialog, Unternehmertreff und Wirtschaft im Gespräch – „dort findet so viel Austausch statt“, sagt Dorday. Allein im Jahr 2019 habe es in Sindelfingen rund 570 Gewerbeanmeldungen gegeben, und bislang in diesem Jahr 550.

Auch in Herrenberg tut sich was. Der neue Stadtkaffee, der dort gern und viel getrunken wird, lockt andere Unternehmen und bringt Leben und Wirtschaftskraft in den Süden des Kreises. Nicht zu vergessen Leonberg mit seinem Leuchtturm, dem Technologie-Campus. Auf einem Gelände in der Stadt baut Bosch sein Zentrum für assistiertes, automatisiertes und vernetztes Fahren weitweit.

Alle Anstrengungen zusammen tragen offenbar dazu bei, dass der Kreis derart prosperiert. Ruth Einwiller vom Statistischen Landesamt sagt über die Entwicklung: „Es ist trotz Corona nicht sehr wahrscheinlich, dass in diesem Bereich zurückgefahren wird. Da wird nicht wirklich gespart.“ Zumindest bei den großen Konzernen sei das nicht absehbar. Investiert wird eben doch auch in die eigene Selbstständigkeit, in Krisenzeiten umso mehr: 2019 habe es im Kreis 2300 Gewerbeanmeldungen gegeben und im Pandemiejahr 2020 bis zum dritten Quartal 2000.

Großes Problem Flächenverbrauch

Ein anderes Problem wird auch wachsen: Wo investiert wird, wird gebaut. In einer Wirtschaftsflächenstrategie hat allein Sindelfingen festgestellt, dass man zum Jahr 2035 zwischen 48 und 66 Hektar Fläche braucht.