Eloquent und schlagfertig: FDP-Chef Christian Lindner. Foto: dpa

Die Liberalen erleben ihre Wiedergeburt. Zu verdanken ist das dem Parteichef Christian Lindner, auf den sich der Wahlkampf konzentriert hat.

Berlin - Sie jubeln, sie klatschen, sie liegen sich in den Armen. Und als Christian Lindner um 18.39 Uhr in der Parteizentrale der Liberalen vor seine Anhänger tritt, wird der Beifall ohrenbetäubend laut. Jetzt tönen „Christian, Christian“-Rufe durch die Aula der Parteizentrale, wo neben dem Vorsitzenden auch Bundesgeschäftsführer Marco Buschmann und die stellvertretenden Vorsitzenden Wolfgang Kubicki, Marie-Luise Strack-Zimmermann und Generalsekretärin Nicola Beer strahlend in die Menge winken.

So hat Deutschland gewählt

In der vergangenen Wahlperiode des Bundestages, so Lindner, habe es keine liberale Stimme im Parlament gegeben: „Es soll zugleich die letzte gewesen sein.“ Was die kommende Legislaturperiode anbelangt, stimmt Lindners Satz auf jeden Fall. Die FDP konnte am Sonntag ihr Ergebnis von 2013 mehr als verdoppeln und zur viertstärksten politischen Kraft in Deutschland aufsteigen. Ein solches Comeback hat es nach 1949 in der Geschichte der Bundesrepublik nie gegeben. Der 24. September 2017, keine Frage, ist auch in dieser Hinsicht ein zeitgeschichtlich bedeutsamer Tag.

Neuauflage der großen Koaltition ausgeschlossen

Denn nicht nur kehren die Liberalen mit einem der besten Wahlergebnisse ihrer Geschichte in den Bundestag zurück. Sie werden wohl auch von der außerparlamentarischen Opposition direkt in die Regierung einziehen. Da die Sozialdemokraten am Sonntag eine Neuauflage der großen Koalition ausgeschlossen haben, bleibt für die Regierungsbildung nur eins: das Jamaika-bündnis aus CDU/CSU, Grünen und FDP.

Zwar mahnte Lindner am Sonntag die SPD, sich nicht rasch festzulegen und sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst zu sein – ein Appell, den auch führende Politiker von CDU/CSU vorbrachten. Doch wird die arg gebeutelte SPD sich ganz sicher nicht von der FDP oder der Union zu einer Fortsetzung von Schwarz-Rot bewegen lassen. Nein, das Schiff in Richtung Jamaika hat abgelegt.

In Kiel haben Schwarze, Grüne und Gelbe schon zu einer gemeinsamen Regierung zusammengefunden, was auch daran liegt, dass Robert Habeck und Wolfgang Kubicki – die Führungsleute der Nord-Grünen und der Nord-FDP – gut miteinander können. Im Bund lässt sich das auch von Lindner und Grünen-Chef Cem Özdemir sagen.

Ansonsten verbindet die beiden kleineren Parteien wenig. Vielmehr pflegen sie seit jeher ihre wechselseitige Abneigung. Als die FDP bei der Wahl am 22. September 2013 aus dem Bundestag fiel, feierte die Grünen-Wahlparty dieses Debakel mit Jubel und Häme. Vier Jahre später schneiden die Liberalen besser ab als die Grünen. „Man sieht sich eben immer zweimal im Leben“, meint am Sonntag schmunzelnd die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Auf der Wahlparty im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ist auch Gerhart Rudolf Baum, das Urgestein des bürgerrechtlichen Flügels der FDP, in bester Stimmung anzutreffen. Er habe 2013 zu Lindner gesagt, dass er ihm die Renaissance der FDP zutraue: „Und genau das hat Lindner geschafft.“

Verhandlungen mit den Grünen? Nur wenn es sein muss.

Doch zurück zu Jamaika. Nicht ohne Grund weist der Kieler Agrarminister Habeck darauf hin, wie schwer im Bund der Weg nach Jamaika sein wird: „Es gibt keine Garantie, dass es klappen wird.“ Genauso sehen es die Liberalen. Nur gut, fügt einer aus der Führungsmannschaft der FDP an, dass sowohl Grüne als auch Liberale am Sonntag Stimmen gewannen. Dass beide Gewinner seien, mache die Lage einfacher, weil niemand Wunden lecken müsse. Es komme jetzt darauf an, dass jede Seite in den Koalitionsverhandlungen ein, zwei Herzensanliegen durchsetzen könne: „Am Ende ist es eine Frage der politischen Preise. Die müssen für beide stimmen.“

Stimmen muss am Ende von wohl langen und mühsamen Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen von Union, FDP und Grünen auch das Personaltableau. Über viele Jahre hinweg profilierte sich die FDP in der Außenpolitik. Und weil sie im Jamaikabündnis die zweite Kraft wäre, könnte sie auch Anspruch auf den Chefsessel im Auswärtigen Amt erheben. Allerdings stellte sie im Wahlkampf stark Themen rund um die Bildung, die Digitalisierung und die Wirtschaft in den Mittelpunkt. Daraus erwächst ein Fingerzeig, was ihre Ambitionen für das künftige Kabinett anbelangt. Mehr als ein Fingerzeig ist heute nicht absehbar, zumal offen ist, ob Lindner auf Dauer den Vorsitz der FDP-Fraktion innehat oder ein Ministeramt anstrebt. Auf ihrer konstituierenden Sitzung will die neue Fraktion an diesem Montag Lindner zum neuen Vorsitzenden küren, wie Kubicki mitteilte. Das heißt aber nicht, dass diese Lösung für die ganzen vier Jahre der neuen Legislaturperiode gilt.