Noch gibt es Kinder, die sich bewegen Foto: dpa

Wie steht es wirklich um den Sportunterricht in den Schulen? Ein erfahrener Sportlehrer an einem Gymnasium in Baden-Württemberg hat uns seine Beobachtungen geschildert. „Kletterten früher in einer fünften Klasse noch acht bis zehn Kinder die Taue hoch, schaffen dies heute gerade noch zwei – ein Offenbarungseid.“

Stuttgart - Schüler machen Überschläge über einen Kasten, springen aus Minitrampolins unter die Decke, ziehen sich Kletterstangen hoch, spielen sich im Laufschritt Bälle zu. So habe ich den Sportunterricht in den 80er Jahren am Anfang meiner Sportlehrer-Tätigkeit erlebt.

Die Zeit, die gesellschaftlichen Veränderungen und die Bildungspolitik haben am Schulsport genagt und ihre Spuren hinterlassen. Die Probleme sind teilweise schon alt, und obwohl wir uns in den Sport- und Schwimmhallen vor Ort abgestrampelt haben, sind die Defizite nicht kleiner, sondern eher größer geworden. Durchschnittlich alle zehn Jahre schicken Bildungspolitiker einen neuen Lehrplan in die Schulen. Gerade haben wir einen neuen bekommen. „Bewegen im Wasser“ ist da gefordert. Die seitherigen Stilarten Brust und Kraul tauchen nur noch untergeordnet auf. Für mich heißt das: Da ist der Sport zur Beliebigkeit freigegeben, das Schwimmbecken wird zum Erlebnisbad, obwohl es heutzutage in Klasse fünf noch Nichtschwimmer gibt.

Mit Schulsportfesten, Bundesjugendspielen oder Teilnahmen bei Jugend trainiert für Olympia haben wir die Atmosphäre insgesamt an den Schulen immer positiv mitgestalten können. Diese außerunterrichtlichen Ereignisse erfordern von allen Beteiligten hohen Einsatz, Engagement und Identifikation über den Zeittakt des Sportunterrichts hinaus. Ich habe da immer sehr viel Herzblut hineingegeben.

Im Laufe der letzten Jahre jedoch hat der Anteil der Lehrerinnen und Lehrer in Teilzeit drastisch zugenommen. Wenn aber, wie ich es heute häufig erlebe, der Zeittakt mit dem Unterrichtsschluss endet, bleibt keine Zeit mehr für die Wettkampfbetreuung. Damit einher geht die Tatsache, dass der Leistungs- und Wettkampfgedanke – wesentliche Merkmale des Sports – in der Schule immer mehr verschwinden.

Offensichtlich sind die kontinuierlichen Verschlechterungen im motorischen Bereich. Kletterten früher in einer fünften Klasse noch acht bis zehn Kinder die Taue hoch, schaffen dies heute gerade noch zwei – ein Offenbarungseid. Und Turnen ist zu einer richtig gefährlichen Angelegenheit geworden. Beispiele? Die Rolle rückwärts haben nicht wenige Sportlehrkräfte aus ihrem Programm genommen – zu gefährlich. Dasselbe beim Handstand: die Angst vor Nackenverletzungen bestimmt das Programm. Beim Stützen am Barren fallen die Schüler durch die Holme.

Schon längst ist die Spaß- und Kommunikationsgesellschaft auch im Sportunterricht angekommen. Die Folgen von zu wenig Bewegung sind fatal. Ich erlebe Kinder, die keine Rolle mehr beherrschen, dafür das Handy perfekt. Wir Lehrer spüren: Spaßsport statt Ausdauer ist im Trend. Gefälligkeitsatteste von Ärzten kratzen zudem am Stellenwert des Schulsports.

Am Beginn meiner Tätigkeit als Sportlehrer stand die allseits akzeptierte Forderung nach der täglichen Sportstunde. Was davon übrig geblieben ist? Die schrittweise Reduktion der dritten Sportstunde in Klasse elf, zehn und neun auf zwei Stunden. Dies ist doch die Rolle rückwärts in der Bildungspolitik schlechthin.

Bei aller Kritik erlebt man immer noch eine kleine sportliche Elite auch im Schulsport – nämlich dort, wo sich Eltern die Idee der Bewegung zur Lebensaufgabe machen. Grundsätzlich aber ist die Forderung nach der täglichen Bewegungszeit mit fortschreitendem Bewegungsmangel aus meiner Sicht als langjährigem Sportlehrer berechtigter und aktueller denn je.

Der Autor: Im Dezember haben wir uns an dieser Stelle Gedanken zum Zustand des Sport in Deutschland gemacht und dabei auch den Schulsport kurz gestreift. Als Reaktion hat uns ein erfahrener Sportlehrer an einem Gymnasium in Baden-Württemberg von seinen Erfahrungen berichtet. Nach Rücksprache drucken wir sie ab, auf seinen Wunsch ohne Nennung des Namens.