CDU-Innenexperte Armin Schuster: „Wer sollte angegriffen werden? Sicher kein Bundesland, sondern die Bundesrepublik Deutschland!“ Foto: dpa

Das Bundesinnenministerium will Netzwerke des türkischen Staatspräsidenten Erdogan mit kriminellen Gruppen in Deutschland kritisch ausleuchten. Aber warum erst jetzt?

Stuttgart - Der 12. April war dieses Jahr in Köln ein echter Frühlingstag, sonnig und warm. Einer wie gemalt für eine Dienstreise in die Domstadt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte eingeladen – und viele kamen: Agenten des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes, Experten aus dem Bundeskriminalamt, Verfassungsschützer aus Stuttgart und Düsseldorf, Referenten aus den Unterabteilungen des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums (GETZ), Kriminale aus Düsseldorf, Saarbrücken, Wiesbaden und Stuttgart. Gerade die Schwaben hatten auf das geheime Treffen am Rhein gedrängt.

Denn in Stuttgart war im Spätherbst 2016 unter der Führung des Landeskriminalamtes (LKA) die Ermittlungsgruppe Meteor gebildet worden. In ihr arbeiteten Bundespolizisten, Ermittler des Polizeipräsidiums Stuttgart und LKAler an einem kniffligen Komplex: Vordergründig ermittelten sie zur rockerähnlichen Gruppe „Osmanen Germania Boxclub“, den die Polizisten verdächtigten, Drogen zu handeln, Frauen zur Prostitution zu zwingen und aufeinander und andere Menschen einzudreschen.

Schnell aber wurde den Kriminalen klar, dass ihre Ermittlungen auch auf vermintes Terrain führten: An allen Ecken und Kanten stießen sie auf einen Jugendfreund und engen Vertrauten des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, den AKP-Abgeordneten Metin Külünk. In dessen Fahrwasser schwamm der in Mannheim lebende Vorsitzende des Erdogan-nahen Lobbyvereins Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD) Rhein-Neckar, Yilmaz Ilkay Arin.

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Verbindungen zur Regierung in Ankara

Zu diesem Duo fragten die Ermittler aus Hessen und Baden-Württemberg mehrfach bei Bundesbehörden nach. Vergeblich! Sie bettelten förmlich um Informationen mit nachrichtendienstlichem Hintergrund, um die Bezüge der Osmanen zur türkischen Regierung besser einschätzen zu können. Gemeinsam an einem Tisch, so die Vorstellung, könnten die Behörden Erkenntnisse miteinander vergleichen und das weitere Vorgehen abstimmen. Daher das Treffen in Köln.

Das erfüllte aber die Erwartungen gerade derjenigen offensichtlich nicht, die besonders auf diese Zusammenkunft gedrängt hatten. Enttäuscht fuhren die Kriminalen am Ende des Sitzungstages zurück Düsseldorf, Saarbrücken, Stuttgart und Wiesbaden: „Von den Bundesbehörden kam nichts, was wir nicht schon selbst wussten. Das war wie im Fall von Anis Amri: Richtig redet keiner mit keinem. Informationen werden gerade von den Bundesbehörden abgeschöpft und gehortet!“, sagt ein Teilnehmer darüber.

Gegenstand der Besprechung war auch ein Artikel, der vier Tage vor dem Treffen in unserer Zeitung erschienen war. In ihm wurden die Verflechtungen zwischen Erdogan, seinen engen Getreuen, dem türkischen Geheimdienst, regierungsnahen türkischen Lobbyvereinen und der Organisierten Kriminalität beleuchtet. Die Vertreter der Bundesbehörden schwiegen auch dazu.

Landeskriminaldirektor reagiert sofort

Unserer Zeitung und dem ZDF-Magazin Frontal 21 vorliegende Abhörprotokolle und Observationsberichte belegen inzwischen zusätzlich, wie intensiv dieses Netzwerk in Deutschland bis heute agiert. Bemerkenswert: Die Ermittler in Baden-Württemberg erfuhren von diesen brisanten Dokumenten erst durch diese Berichterstattung. Landeskriminaldirektor Klaus Ziwey reagierte sofort. Er integrierte die für Nachforschungen im politischen Bereich zuständigen Staatsschützer in die Ermittlungen gegen die rockerähnliche Gruppierung Osmanen Germania.

Gegen acht Anführer erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart am Donnerstag Anklage. Es geht um Gewaltdelikte, Zuhälterei und Verstöße gegen das Waffen- und das Betäubungsmittelgesetz – nicht aber um mögliche politische Straftaten. Das steht in auffälligem Widerspruch zu dem, was ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin am Donnerstag versicherte: Soweit bei einzelnen Mitgliedern der Osmanen „Hinweise auf mögliche Verbindungen zu extremistischen Organisationen oder eine Einbindung in nachrichtendienstliche Aktivitäten beziehungsweise Einflussoperationen staatlicher türkischer Stellen vorliegen, gehen die Sicherheitsbehörden diesen mit Nachdruck nach“. Ein Widerspruch deshalb, weil das Innenministerium spätestens seit dem Kölner Treffen am 12. April im Bilde war.

Das macht Armin Schuster, Innenexperte der CDU im Bundestag und selbst Polizist, nachdenklich: „Wenn es eine ausländische staatliche Einflussnahme gegeben hat, dann gibt es eine einfache Erwägung: Richtet sich die Einflussnahme gegen Baden-Württemberg, Hessen oder NRW? Wer sollte angegriffen werden? Sicher kein Bundesland, sondern die Bundesrepublik Deutschland.“ Zuständig wäre in diesem Fall der Generalbundesanwalt, um die Ermittlungen zu dem Netzwerk von Erdogan-Vertrauten, dem türkischen Geheimdienst, regierungstreuen Lobbyvereinen und kriminellen Schlägertrupps in Deutschland zu führen.