Schlecht fürs Klima: ein Braunkohlekraftwerk in Nordrhein-Westfalen Foto: dpa

Ein Bericht des Weltklimarats stellt klar: Das 1,5-Grad-Ziel wäre machbar – und dringend notwendig.

Stuttgart - Kleiner Unterschied, maximale Wirkung – nur ein halbes Grad mehr könnte bei der globalen Erwärmung viel ausmachen. In einem nun veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarats IPCC argumentieren Wissenschaftler: Gelingt es nicht, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, würde das die Situation in vielen Erdteilen stark verschärfen – mit Folgen vor allem in Entwicklungsländern. Der Bericht wurde an diesem Wochenende im südkoreanischen Incheon veröffentlicht. 91 Wissenschaftler aus 40 Ländern haben dafür 6000 einzelne Studien ausgewertet und zusammengefasst – und damit eine wissenschaftliche Grundlage für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens geschaffen.

Was steht in dem neuen Bericht?

Es sei noch machbar, die globale Erderwärmung auf anderthalb Grad zu begrenzen – das ist die Kernbotschaft des Sonderberichts. Notwendig dazu seien „schnelle, weitreichende und nie da gewesene Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft“, folgern die Wissenschaftler – vor allem in der Landnutzung, beim Energieverbrauch und dem Verkehr. Die weltweiten Kohlendioxidemissionen müssten demnach um mindestens 35 Prozent gegenüber dem Stand von 2010 gesenkt werden und bis 2050 unterm Strich bei null liegen. Dabei gehen die Wissenschaftler davon aus, dass verbleibendes Kohlenstoffdioxid der Luft entzogen wird. Technisch möglich wäre dies – und dringend notwendig. Denn sollte das Ziel einer Erwärmung um maximal 1,5 Grad verfehlt werden, hätte das gravierende Folgen, warnen die Forscher. Anders als bislang angenommen gehen sie davon aus, dass die negativen Folgen und Risiken des Klimawandels zwischen 1,5 und zwei Grad Celsius Temperaturanstieg exponentiell ansteigen würden.

Wie ist der aktuelle Stand?

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich die Erde schon jetzt um etwa ein Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau erwärmt hat. Extremeres Wetter, steigende Meeresspiegel und eine Abnahme des Meereises in der Arktis seien sichtbare Folgen davon, so die Experten. „Jede geringste zusätzliche Erwärmung erhöht das Risiko von lang anhaltenden oder unwiderruflichen Auswirkungen“, sagt Hans-Otto Pörtner, Meereswissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und Mitautor des Berichts. Dazu gehören zum Beispiel das Verschwinden des grönländischen Eisschildes oder der Korallenriffe. Steigt die Temperatur weltweit so schnell wie derzeit, würde die besagte 1,5-Grad-Grenze vielleicht schon 2030, spätestens aber 2052 erreicht werden. In jedem Jahrzehnt erwärmt sich die Erde durchschnittlich um 0,2 Grad. Diese Erwärmung ist allerdings nicht überall gleich schnell und gleich stark spürbar: Die Arktis erwärme sich fast dreimal so schnell wie andere Regionen auf der Erde, heißt es vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

In der Vergangenheit war oft von einer Begrenzung auf zwei Grad die Rede. Was steckt dahinter?

Auf der letzten Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen haben sich 196 Länder auf das Paris-Protokoll geeinigt – und darin das Ziel vereinbart, die globale Erwärmung auf „deutlich unter“ zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Dabei wurde der Wunsch geäußert, die Erwärmung schon bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen – und zu prüfen, ob und unter welchen Umständen dies überhaupt realisierbar wäre. Mit dem Sonderbericht ist dafür nun die wissenschaftliche Grundlage geschaffen.

Was würde es bringen, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen?

Die Autoren stellen in dem Sonderbericht heraus, welche Auswirkungen des Klimawandels vermieden werden könnten, sollte die Erwärmung nur noch um ein halbes und nicht um ein ganzes Grad zunehmen. Zum Beispiel: Nur halb so viele Menschen würden weltweit unter Wassermangel leiden. Tödliche Hitzewellen, Starkregen und Dürren wären halb so häufig wie bei einer Annäherung an die Zwei-Grad-Grenze – dann kämen sie wohl jedes Jahr vor. Es würden Millionen Menschen weniger an Hitze, Smog und Infektionskrankheiten sterben. Insgesamt, so heißt es in dem Bericht, würden sich viele Effekte noch abmildern lassen, die sich bei der Erderwärmung abzeichnen. Vor allem Entwicklungsländer würden weniger Risiken ausgesetzt – und andersherum deutlich stärker leiden, wenn die Begrenzung nicht gelänge.

Wovor würde die Umwelt bewahrt?

Bei einer Erwärmung von 1,5 Grad im Verhältnis zum vorindustriellen Niveau würden die Meeresspiegel um fast zehn Zentimeter weniger ansteigen als bei zwei Grad. Es könnte verhindert werden, dass die Eisdecke in der westlichen Antarktis unaufhaltsam schmilzt. Nur halb so viele Wirbeltiere und Pflanzen würden den Großteil ihres Lebensraums einbüßen. Und während bei zwei Grad Erwärmung praktisch alle Korallenriffe verloren gingen, könnte bei 1,5 Grad vielleicht immerhin ein Drittel überleben.

Was konkret müsste passieren, um das Ziel zu erreichen?

Konkrete Maßnahmen wären, den Energieverbrauch drastisch zu senken, sich vom Verbrennungsmotor zu verabschieden und das Verhalten so erheblich zu verändern, dass der Fleischkonsum sich enorm verringere, mahnen die Experten. Bis zur Mitte des Jahrhunderts müsste der Anteil erneuerbarer Energieträger von momentan rund 20 Prozent auf mindestens 70 Prozent ansteigen. Der Anteil von Kohle müsste auf null, jener von Gas auf acht Prozent gesenkt werden. „Die in Paris vereinbarten Klimaziele würden nicht ausreichen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen“, sagt die Mitautorin und Klimawissenschaftlerin Sabine Fuss. Es müsse mehr getan werden, und Investitionen müssten jetzt in den Klimaschutz umgelenkt werdn. Entscheidend seien dafür die nächsten paar Jahre. Für unverzichtbar hält Fuss auch sogenannte negative Emissionen – also Verfahren, bei denen der Luft Kohlendioxid entzogen wird. Das könne sowohl mit technischen Methoden wie der Speicherung von Kohlendioxid passieren als auch durch Aufforstung.