Zerstört ist das Appartement von Yilmaz Dastans Nichte Yasemin. Foto: privat

Dem Fellbacher Yilmaz Dastan (49) geht das Schicksal seiner Verwandtschaft im syrisch-türkischen Grenzgebiet extrem nahe. Seine Nichte Yasemin übernachtet mit zwei kleinen Kindern seit Tagen im Auto. Auch Firmen und Organisationen bringen sich ein.

Wenn Yilmaz Dastan die Bilder seiner Nichte sieht, blutet ihm das Herz. Seit dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist für die Verwandtschaft des 49-jährigen Fellbachers nichts mehr, wie es einmal war. Seit Tagen übernachten Yasemin und die beiden Kinder bei eisiger Kälte im Auto, ihr Appartement in Iskenderun ist nur noch ein Haufen Schutt. „Die Lage ist schlimm, mir geht das sehr, sehr nahe“, sagt Yilman Dastan über das Schicksal der in der Heimat lebenden Angehörigen. Etwa Efe, drei Jahre alt, und ihre Schwester Ece, die vor gerade mal drei Wochen auf die Welt kam. Dem Erdbeben ist die Familie mit knapper Not entronnen, mehr als das nackte Leben haben sie aber nicht mehr. „Es gibt kein Wasser und keinen Strom. Und das Benzin für das Auto geht ihnen jetzt auch aus“, beschreibt der bei der Stadt Fellbach beschäftigte Deutsch-Türke die dramatische Situation.

Die Nichte und ihre beiden Kinder sind beileibe nicht die einzigen Angehörigen, um die der in Erzincan aufgewachsene Yilmaz Dastan und seine aus Gaziantep stammende Frau in diesen Tagen bangen.

Nichten und Neffen, Schwager und Onkel leben im Erdbebengebiet, die Gedanken sind auch beim fünfjährigen Erdal und seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Ömer. Todesopfer unter den Angehörigen hat die Familie zwar nicht zu beklagen. Doch der in Fellbach als Feldhüter tätige Familienvater denkt auch an die vielen Landsleute, die von der Katastrophe direkt betroffen sind. „Das Erdbeben hat zehn Städte mit mehr als 13 Millionen Einwohnern erwischt, das ist Wahnsinn“, sagt Yilmaz Dastan.

Mit den Vorwürfen gegen die Politik tut sich der 49-Jährige schwer „Ich bin den Deutschen unendlich dankbar, dass sie Hilfe leisten“, sagt Yilmaz Dastan. Die auch in der Türkei aufkeimende Kritik, dass die Politik zu wenig tue, um die Menschen vor den Erdbeben und ihren Folgen zu schützen, kann der Fellbacher nicht wirklich nachvollziehen. Auch mit dem Vorwurf, dass es bei der staatlichen Bauaufsicht hapere, tut sich der 49-Jährige schwer. „Natürlich gibt es Pfusch am Bau. Aber wenn ein sechs Monate altes Hochhaus einfach so in sich zusammenstürzt, liegt das nicht nur am Material“, ist er sich sicher.

Vorbereiten, so glaubt Dastan, könne sich ein Land auf eine Katastrophe dieser Größenordnung nicht. „Wenn das in Deutschland passieren würde, läge hier auch alles in Schutt und Asche“, sagt er.

Der Fellbacher jubelt mit, wenn Menschen gerettet werden Als Kind ist der Fellbacher nach Deutschland gekommen, die Türkei ist nach wie vor die zweite Heimat. Er hat am eigenen Leib erlebt, wie im Jahr 1992 die Erde wackelte, das katastrophale Beben im Jahr 1939 ist den Menschen aus der Region im kollektiven Gedächtnis geblieben. Deshalb saugt er gierig die Whats-App-Nachrichten aus der Türkei auf, spricht über die auf den Straßen liegenden Leichen und jubelt mit, wenn verschüttete Menschen auch nach Tagen noch lebend aus den Trümmern gerettet werden.

Am schlimmsten ist es für den Deutsch-Türken, dass ihm die Hände gebunden sind. „Am liebsten würde ich runterfahren und selbst helfen“, sagt Yilmaz Dastan. Doch einen Kleintransporter mit Hilfsgütern vollzupacken und sich auf den Weg zu machen, habe wenig Sinn. Die noch befahrbaren Routen werden für den Transport der schweren Baumaschinen freigehalten, die im Erdbebengebiet jetzt am wichtigsten sind. Zivile Fahrzeuge lassen die Ordnungshüter zurzeit nicht mehr durch.

Aufruf, Hilfsorganisationen zu spenden: Jeder Euro helfe Der Fellbacher appelliert deshalb, an Hilfsorganisationen zu spenden. „Jeder Euro hilft. Und bei Afad und dem roten Halbmond kann man sich auch sicher sein, dass das Geld auch ankommt“, sagt Dastan. Das ähnlich wie das Technische Hilfswerk in Deutschland arbeitende Afad ist für Spender unter der Iban-Nummer DE50 5122 0700 2000 4524 54 zu erreichen. Für die türkische Variante des Roten Kreuzes gilt die Iban-Nummer DE26 5122 0700 1080 0000 01. Spenden für die Türkei und das von dem Erdbeben ebenfalls schwer getroffene Nachbarland Syrien nehmen auch türkische Vereine und Moscheen im Rems-Murr-Kreis an.

Das Rote Kreuz bittet vor allem um Geldspenden Auch andernorts im Rems-Murr-Kreis sind Einzelkämpfer oder Organisationen am Start. Der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) stehe bereit, den Erdbebenopfern in der Türkei und Syrien zu helfen, wenn er beispielsweise über die Schwestergesellschaft des Roten Halbmonds und den eigenen Bundesverband angefragt werde, sagte Pressesprecher Christian Siekmann.

Wer über das DRK für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien spenden will, kann dies online über drk.de/spenden/privatperson-spenden/jetzt-spenden/ tun. Über das Internet verfügbar sind auch Spendenkonten, auf denen unter dem Stichwort „Nothilfe Erdbeben Türkei und Syrien“ ein Obolus beigetragen werden kann. Von Sachspenden bittet das DRK derzeit abzusehen: Da gebe es noch keinen Überblick über den Bedarf.

Erschütterung herrscht auch bei Firmen mit vielen Mitarbeitern, die aus den vom Erdbeben betroffenen Gebieten stammen. Das sind etwa Kärcher in Winnenden oder Stihl in Waiblingen. „Mit Entsetzen verfolgen wir die schrecklichen Nachrichten, die wir aus der Türkei und Syrien erhalten“, sagt eine Kärcher-Sprecherin. Glücklicherweise seien die türkischen Kolleginnen in Sicherheit. Die Firma stende auch in ständigem Austausch mit Kollegen vor Ort, die momentan die dringendsten Bedarfe in den betroffenen Gebieten eruierten, um Hilfsmaßnahmen auf den Weg zu bringen.

Auch bei Stihl sei man „bestürzt über das schreckliche Erdbeben in der Türkei und in Syrien“, sagt die Unternehmenssprecherin Sabrina Haufler. Stihl ist in der Türkei durch einen Importeur vertreten. Gemeinsam mit ihm unterstütze Stihl den lokalen Katastrophenschutz mit notwendigen Geräten wie zum Beispiel Trennschleifer.

Private Transporte sind bereits ins Katastrophengebiet unterwegs Eine Sammelstelle für Sachspenden ist von privater Seite spontan beim Imbiss Stern Kebab in Weinstadt-Endersbach eingerichtet worden. Hilfsgüter, vor allem Kleider und Decken, die dort bis Mittwochabend abgegeben wurden, befinden sich bereits auf dem Weg ins Erdbebengebiet. Die Familie Fehimli hat im Heimatdorf in der türkischen Provinz Kahramanmaras beim Erdbeben Bekannte verloren. Gesammelt wurde bis Dienstagnachmittag auch am Parkplatz vor der Rundsporthalle in Waiblingen. Auch dort waren angesichts der Kälte in den betroffenen Gebieten vor allem Decken, Jacken, Stiefel, Schuhe und Pullover gefragt.