Stundenlang durch Schneewehen gekämpft: Militärfahrzeuge in Campotosto Foto:  

Nach einer schweren Erdbebenserie verschüttet auch noch eine Lawine ein Hotel in den Abruzzen. Dicke Schneemassen erschweren Rettung und Räumung der betroffenen Ortschaften.

Rom/Pescara - „Wir rufen – aber niemand antwortet.“ Das sind die ersten Meldungen der Rettungskräfte, kurz nachdem sie am späten Donnerstagmorgen endlich in das verschüttete Hotel Rigopiano vordringen konnten: Mit einer Helmkamera senden sie 24 Stunden nach den schweren Erdstößen vom Mittwochmorgen erste Bilder direkt zu den Nachrichtenstationen in Italien. Das Hotel liegt in den Abruzzen, in Farindola in der Provinz Pescara am Fuß des Gran-Sasso-Massivs. Eigentlich misst es vier Stockwerke, aus den Schneemassen ragt jedoch nur noch das oberste mit dem Dach heraus.

Auch im Inneren: Schneeberge. Die weiße Masse ist durch jede Öffnung in das Gebäude eingedrungen. Die eigentlich schützenden Bäume hat die Lawine einfach mitgerissen. Die Angst: Die etwa 30 Menschen, die in dem Hotel vermutet werden, darunter auch zwei Kinder, wurden darunter begraben. Die Rettungskräfte sprechen bereits am frühen Donnerstagmorgen von vielen Toten. Bis zum Einbruch der Dunkelheit konnten bereits mehrere Opfer tot aus dem Hotel geborgen werden.

Zwei Menschen konnten sich selbst retten

In der Nacht auf Donnerstag hatte sich eine Gruppe der Bergrettung auf den Weg gemacht. „Helft uns! Wir sterben vor Kälte“ – diesen Hilferuf hatte ein Paar aus dem verschütteten Hotel per SMS abgesetzt. Die Straßen waren jedoch nicht passierbar. Für die Rettungskräfte sind Skier die einzige Möglichkeit, sich fortzubewegen. Im Dunkeln, gegen einen Schneesturm ankämpfend. Stirnlampen weisen ihnen den kilometerlangen Weg. Zwei Menschen konnten sich selbst retten, heißt es. Sie sollen sich im Freien aufgehalten haben, als das Hotel unter der Lawine begraben wurde. Die Agentur Ansa berichtet von einem 38-Jährigen, der genau zu dem Moment etwas aus dem Auto habe holen wollen. Seine Familie sei noch in dem Hotel.

Der Schnee liegt Meterhoch, die Straßen sind komplett blockiert, ein Weiterkommen scheint unmöglich. Feuerwehrleute werden per Helikopter zu dem Hotel in etwa 1200 Metern Höhe geflogen. Sie sehen eine riesige Lawine aus Geröll und Schnee.

Die Katastrophe ist nicht das neue Erdbeben, sondern der Schnee

Die ganze Region befindet sich im Ausnahmezustand. So viel Schnee hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Tausende sind ohne Strom, Rettungskräfte kommen auch in vielen Orten nicht durch. „Wir sind komplett eingeschlossen, der Schnee liegt so hoch, ich komme nicht mehr aus dem Haus“, erzählt eine Frau aus einem Ort nahe Teramo via Telefon dem Nachrichtensender SkyTG24.

Die Äußerungen der Bürgermeister der eingeschlossenen Orte zeigen die Verzweiflung. „Wir können nicht rausgehen. Wir sind in den Häusern gefangen wie Mäuse“, sagt Gaetana D’Alessio, die Bürgermeisterin von Campotosto. „Wir brauchen Hilfe, ich alleine schaffe das nicht. Hunderte sind isoliert und ohne Strom“, sagt sein Amtskollege von Ascoli Piceno, Guido Castelli. Sergio Pirozzi, der Bürgermeister von Amatrice, hat nach dem Beben vom vergangenen Sommer erneut gegen die Kräfte der Natur zu kämpfen. „Ich frage mich, was wir falsch gemacht haben“, sagt er. „Die Katastrophe ist nicht das neue Erdbeben, sondern der Schnee.“

Die Gefahr weiterer Lawinen wächst

Auch Tiere kämpfen in den Abruzzen ums Überleben. Bauern können ihr Vieh wegen des Wetters seit Tagen nicht mehr aufsuchen. Laut Coldiretti, dem Verband selbstständiger Landwirte, sollen 5000 Schafe und 600 Kühe in der Kälte und im Schnee auf sich gestellt sein.

Am Donnerstag schneite es weiter, von einem Meter Neuschnee war die Rede. Am Freitag soll sich das Wetter in der Region etwas bessern. Allerdings könnte das die Gefahr weiterer Lawinen erhöhen.

Die erneuten Erdbeben vom Mittwoch und Donnerstag gehören laut Experten in die Reihe der Beben, die bereits im August und Oktober vergangenen Jahres viele Orte zerstört und fast 300 Menschen das Leben gekostet hatten. Rund 46 000 leichte und teilweise auch stärkere Erdstöße wurden in Mittelitalien seit dem 24. August 2016 bis zu diesem Mittwoch gemessen. Und die Erde bebte auch am Donnerstag weiter.