In der Großen Mosche von Diyarbakir fanden Erdbebenopfer Zuflucht, doch längst nicht alle Gotteshäuser blieben unversehrt. Foto: AFP/ILYAS AKENGIN

Das Beben in der Türkei zerstörte Zeugnisse der Zivilisationsgeschichte. Die Schäden reichen vom Euphrat bis zum Tigris und betreffen Museen, historische Gebäude wie Kirchen, Moscheen und Synagogen.

Steinbrocken liegen vor den Stadtmauern von Diyarbakir, sie sind beim Erdbeben aus den Festungstürmen herausgebrochen und herabgestürzt. Unter dem römischen Kaiser Constantius II. im vierten Jahrhundert nach Christus errichtet, sind die Festung und die Stadtmauern von Diyarbakir älter als die Hagia Sophia von Istanbul und werden von der Unesco seit 2015 als Weltkulturerbe geschützt. Doch darauf nahm das Beben keine Rücksicht. Die Erdstöße in Südostanatolien verwüsteten eine Region, die zu den ältesten Kulturlandschaften menschlicher Zivilisationsgeschichte gehört - den nördlichen Bogen des Fruchtbaren Halbmonds in Mesopotamien, wo die neolithische Revolution begann: der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht. Zeugnisse menschlicher Zivilisation und Kultur aus zwölftausend Jahren birgt diese Landschaft. Nach den Bergungsarbeiten beginnt im Katastrophengebiet nun die Bestandsaufnahme der Schäden an den Kulturgütern.

Verwüstung vom Euphrat bis zum Tigris

Von westlich des Euphrat bis zum Tigris im Osten reicht die Zerstörung: Antiochien am Orontes, Edessa und Germanicea hießen die verwüsteten Städte hier in der Antike, heute sind es Antakya, Sanliurfa und Kahramanmaras. Wohnhäuser und öffentliche Gebäude, die erst in den letzten Jahren und Jahrzehnten errichtet wurden, stürzten ein, doch daran gemessen erwiesen sich Jahrhunderte und Jahrtausende alte Bauten als relativ stabil.

Den Schaden an den Stadtmauern von Diyarbakir etwa halten Experten von der Tigris-Universität für begrenzt und beherrschbar; der Steinschlag betraf nur Teile der Anlage, zu denen das Restaurationsprojekt noch nicht vorgedrungen war – und wo schon vor dem Beben so oft Mauerteile herabfielen, dass die Kommune sie abgeriegelt hatte und mit Schildern vor Steinschlag warnte. Alle Gebäude innerhalb der Festung, wo das archäologische Museum mit seinen Schätzen aus den Grabungen am Tigris untergebracht ist, stehen noch – entgegen einer missverständlichen Meldung der Unesco aus den ersten Tagen nach dem Beben. Das Museum bleibt allerdings bis auf Weiteres geschlossen, weil die Behörden obdachlose Erdbebenopfer darin untergebracht haben. Schlechte Nachrichten haben die Kulturbehörden von der Sankt-Georgs-Kirche hinter der Festung, die im dritten Jahrhundert errichtet wurde und damit zu den ältesten Kirchen der Welt zählt. Zwar überstand das Gebäude den Erdstoß, doch im Vorhof wurden Schäden festgestellt, wie das Kulturministerium mitteilte.

Gazianteps Kulturgüter wurden schwer getroffen

Den dramatischsten Schaden an seinen Kulturgütern hat Gaziantep erlitten, wo die Zitadelle über der Stadt beim Beben einstürzte. Vermutlich schon von den Hethitern gegründet, wurde die Festung von den Byzantinern ausgebaut und von den Osmanen neu errichtet – sie brach vergangene Woche weitgehend in sich zusammen. Unversehrt blieb in Gaziantep dagegen das Zeugma-Museum, in dem die berühmten Mosaiken aus der römischen Stadt Zeugma ausgestellt sind, die beim Bau eines Staudamms in der Region geflutet wurde. Das „Mädchen mit Ohrringen“ aus Zeugma zählt dank der türkischen Tourismuswerbung wohl zu den bekanntesten antiken Mosaiken der Welt.

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Weniger Glück hatte das Museum von Antakya, das ebenfalls byzantinische Mosaiken von Weltklasse zeigt und älter ist als das Museum von Gaziantep. Wie das Kulturministerium mitteilte, wurde das Gebäude beschädigt; offenbar stürzten auch Exponate in dem Museum um. Unversehrt blieben nach Regierungsangaben die Grabung der neolithischen Kultstätte von Göbekli Tepe nahe Sanliurfa und die Monumente des vorchristlichen Heiligtums auf dem Berg Nemrut über Adiyaman, das ebenfalls zum Weltkulturerbe zählt.

Rabbis retten 500 Jahre alten Torah-Rollen

In der Grabungsstätte von Arslantepe, einer Siedlung aus dem dritten Jahrtausend vor Christus, die 2021 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wurde, verrutschten laut Kulturminister Mehmet Nuri Ersoy einige Mauern; eine Expertenkommission solle dort baldmöglichst die Arbeiten aufnehmen.

Im gesamten Katastrophengebiet wurden historische Kirchen, Moscheen und Synagogen beschädigt oder stürzten ganz ein. Unversehrt blieb aber die Felsenkirche in Antakya, in der die Apostel Lukas, Paul und Petrus die erste christliche Gemeinde um sich geschart haben sollen. Aus der zerstörten Synagoge von Antakya retteten Rabbis aus Istanbul die 500 Jahre alten Torah-Rollen. Mit dem Einsturz der Synagoge und dem Tod des Gemeindevorstehers bei dem Beben endeten 2500 Jahre jüdischer Geschichte in Antakya, erklärten sie.