Griechische Feuerwehrleute sind auf dem Weg, um bei den Rettungsmaßnahmen im Erdbebengebiet zu helfen. Foto: dpa/Thanassis Stavrakis

Griechische Rettungsteams helfen im türkischen Erdbebengebiet. Das weckt Erinnerungen an das Jahr 1999, als Beben die beiden Länder politisch näherbrachten.

Schon einmal brachte eine Erdbebenkatastrophe die beiden „Erbfeinde“ Griechenland und Türkei einander näher. Jetzt retten wieder griechische Helfer in der Südosttürkei Menschenleben. Aber die Hoffnung auf eine politische Annäherung bleibt ungewiss.

63 Stunden hatte Aylin unter den Trümmern ausgeharrt, eingeklemmt zwischen Betondecken und eingestürzten Wänden. Dann streckte sich der 20-Jährigen eine Hand entgegen. Sie gehörte einem griechischen Feuerwehrmann. Stundenlang hielt Aylin die Hand des Mannes, während dessen Kollegen vom griechischen EMAK-Rettungsteam die junge Frau zu befreien versuchten. Als Aylin endlich gerettet war, sagte sie das einzige griechische Wort, das sie kennt: „Efcharisto“, Danke. Die Bilder von der Rettung der Frau in der vom Erdbeben zerstörten Stadt Hatay gingen durch viele türkische Medien. „Liebe Griechen“, schrieb Selcuk Demir am Mittwoch auf Twitter, „Ich werde dieses Foto nie vergessen. Ihr habt einen türkischen Freund in Anatolien!“

1999 halfen sich die Rettungsteams in beiden Ländern gegenseitig

Als eines der ersten Länder schickte Griechenland schon wenige Stunden nach dem verheerenden Beben vom Montagfrüh eine Hercules-Transportmaschine von Athen in die Südosttürkei. An Bord waren Feuerwehrleute der Katastrophen-Spezialeinheit EMAK, Ärzte und Sanitäter. Bisher haben die griechischen Helfer fünf Menschen lebend aus den Trümmern bergen können, darunter zwei Mädchen im Alter von neun und sieben Jahren.

Erinnerungen an den August 1999 werden wach. Damals erschütterten nacheinander schwere Erdbeben die Nordwesttürkei und Athen. Erst halfen griechische Rettungsteams in der Türkei, dann kamen türkische Retter nach Griechenland. Die Katastrophen brachten beide Länder einander näher.

Der damalige griechische Außenminister Giorgos Papandreou und sein damaliger türkischer Kollege Ismail Cem vereinbarten vertrauensbildende Maßnahmen. Das Wort „Erdbebendiplomatie“ wurde geboren. Die Ära der Entspannung hielt an, bis der heutige türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan seit 2016 immer feindseligere Töne gegenüber Griechenland anschlug.

Die Fronten sind extrem verhärtet

Öffnet sich jetzt ein Fenster für eine Wiederannäherung? Die Hoffnung darauf gibt es in beiden Völkern. Aber greifbare Anzeichen dafür sind bisher nicht zu erkennen. Noch nie in den vergangenen 50 Jahren waren die Fronten zwischen beiden Ländern so verhärtet wie jetzt.

Auch das politische Personal in Ankara ist ein anderes als 1999. Während Cem eine echte Freundschaft mit dem Griechen Papandreou verband, gehört Mevlüt Çavuşoğlu zu den Scharfmachern in Ankara.

Die Situation ist heute auch deshalb eine andere, weil Staatschef Erdogan das Feindbild Griechenland im beginnenden Wahlkampf braucht, um die nationalistische Wählerschaft für sich zu mobilisieren – zumal er jetzt wegen seiner Versäumnisse beim Katastrophenschutz unter Druck gerät. Überdies wird eine Annäherung erschwert, weil die Liste der Konfliktthemen heute viel länger ist als 1999.

Erdogan spricht Griechenland die Souveränität über Ägäisinseln wie Rhodos, Kos und Lesbos ab. Er droht den Nachbarn mit einer Invasion („Wir können plötzlich über Nacht kommen“) und mit einem Raketenangriff auf die Viermillionenstadt Athen. Zumindest bis zu den Wahlen in der Türkei ist schwer vorstellbar, dass Erdogan von seiner Kriegsrhetorik abrückt.

Im vergangenen Mai brach er alle Kontakte zum griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis ab. „Mitsotakis existiert für mich nicht mehr“, sagte Erdogan damals. Immerhin: Als Mitsotakis am Montag in Ankara anrief, um das Beileid Griechenlands auszusprechen, nahm Erdogan das Gespräch wenigstens entgegen.