Urteil zur Erbschaftsteuer: Die Stiftung Familienunternehmen appelliert an Merkel und Gabriel, die Firmen nicht im Stich zu lassen Foto: dpa-Zentralbild

Exklusiv - Brun-Hagen Hennerkes, Anwalt aus Stuttgart und Chef der Stiftung Familienunternehmen, analysiert im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten das Erbschaftsteuerurteil aus Karlsruhe.

Stuttgart – Herr Hennerkes, ist der 17. Dezember 2014 ein guter oder schlechter Tag für die Familienunternehmer in Deutschland?
Ich bedauere dieses Urteil, das ist ein schlechter Tag für den Standort Deutschland. Das Urteil ist für kleine und mittlere Unternehmen, wenn der Gesetzgeber etwas Vernünftiges daraus macht, noch halbwegs tragbar. Für große Unternehmen ist es aber höchst problematisch.
Woran machen Sie das fest?
Erstens entfällt jeglicher Vertrauensvorschuss für die Unternehmer. Zweitens halte ich es für sehr problematisch, dass Großunternehmer eine Verschonungsregelung von der Erbschafsteuer nur dann erhalten sollen, wenn es nachgewiesen ist, dass die Firma ansonsten in Schwierigkeiten kommt. Das wird nun Wirtschaftsanwälte und Steuerberater ohne Ende in Gang setzen. Und drittens halte ich es für völlig unverständlich, dass drei Richter ein Sondervotum zum Urteil abgegeben haben und darauf Wert legen, dass größere Vermögen nicht in einer Hand gebildet werden dürfen. Das ist eine sozialpolitische Kampfansage, die es aus meiner Sicht noch nie in Deutschland gegeben hat.
Sie haben in den vergangenen Monaten in Sachen Lobbyarbeit alles dafür getan, dass es nicht zu einem solchen Urteil kommt. Warum ist es nun anders gekommen?
Ich werde keine Kritik am Bundesverfassungsgericht üben, zumal ich selbst Jurist bin und dort die besten Richter unseres Landes sitzen. Ich kann mir das Urteil nur so erklären, dass in der Justiz die internen Abläufe in Familienunternehmen nicht genügend bekannt sind. So etwas kennt man nur, wenn man mal selbst in einem Unternehmen gearbeitet hat. Wahrscheinlich hat es das Gericht falsch eingeschätzt, wie wenig privates Vermögen hinter den Firmen steckt und was der Abzug von Liquidität durch die Erbschaftsteuer bedeutet.
Welche Konsequenzen hat das Urteil?
Das Urteil aus Karlsruhe wird zur Verminderung der Eigenkapitalquote führen, die Liquidität beeinträchtigen und die Nachfolgeregelung erschweren. Da herrschen jetzt in vielen Firmen zu Recht helle Aufregung und Unverständnis. Dass die Interessen der Familienunternehmer so wenig berücksichtigt werden, wird viele verbittern und etliche Chefs veranlassen, über eine Verlagerung des Firmensitzes ins Ausland nachzudenken. Damit kann das Urteil zu einer Gefahr für den Standort Deutschland und für den Erhalt von Arbeitsplätzen werden. Das ist das eigentlich schlechte Signal dieses Tages.
Jetzt können Sie nur noch darauf hoffen, dass die Politik bei der Ausgestaltung des neuen Gesetzes bis 2016 Ihnen entgegenkommt.
Das ist in der Tat unsere große Hoffnung. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Vizekanzler Sigmar Gabriel hatten ja wiederholt erklärt, dass sie sich die Unternehmensnachfolge weiterhin steuerfrei vorstellen können. Auf diese Aussagen müssen wir jetzt setzen. Das Grundproblem ist aber, dass wir in Deutschland in allen Parteien derzeit einen generellen Zug nach links haben. Viele Menschen erkennen nicht, wie wichtig die Familienunternehmen als Leistungsträger für unseren Wohlstand sind.
Die klassische Neiddiskussion?
Das kann gut sein.
Viele Menschen verstehen nicht, dass zum Beispiel die BMW-Eigentümerfamilie Quandt bei der Erbschaftsteuer bevorzugt wird, obwohl sie dafür nur einen Teil ihrer Aktien verkaufen müsste.
Ich will nicht in Abrede stellen, dass einzelne Großfälle unterschiedlich gelagert sind, von denen es in Deutschland aber nicht mehr als 20 oder 30 gibt. Die werden sich von dem Urteil aber gar nicht so getroffen fühlen, sondern Wege suchen, wie sie es für sich passend umsetzen. Wir als Stiftung Familienunternehmen werden uns auch weiterhin für die vielen regionalen Unternehmen und deren Interessen einsetzen.
Welche Folgen wird das Urteil denn für kleinere Unternehmen haben?
Wir haben derzeit in Deutschland rund 3,2 Millionen Unternehmen, davon sind etwa 90 Prozent Familienunternehmen, von denen wiederum haben etwa 90 Prozent weniger als 20 Mitarbeiter. Sie gilt es besonders zu schützen. Ich erwarte deshalb, dass sich die Politik bei der Ausgestaltung des neuen Gesetzes an das hält, was sie versprochen hat.
Wie könnte das aussehen?
Am besten ganz auf die Erbschaftsteuer verzichten. Aber so weit wird es natürlich nicht kommen. Insofern brauchen wir einen Kompromiss, zum Beispiel in der Form, dass der Verschonungsabschlag gesenkt wird und damit Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Das wären Maßnahmen, über die man diskutieren könnte. Aber jede Regelung, die erheblich die versprochene Freistellung des Nachlasses von der Besteuerung beseitigt, wird mit einem Schlag das gesamte Vertrauen der Familienunternehmer in die Politik aufs Schwerste beeinträchtigen.
Haben Sie schon mit der Kanzlerin telefoniert?
Wie gesagt, sie stand bisher auf unserer Seite, und ich nehme an, dass dies noch gilt. Die Politik muss jetzt nach einem Weg suchen, dabei werden wir sie aktiv unterstützen. Alle Beteiligten sollten nicht vergessen, dass wir in Deutschland wirtschaftlich derzeit zwar glänzend dastehen, gerade hier in Baden-Württemberg in den Bereichen Automobilwirtschaft und Maschinenbau. Aber es kann im Zusammenhang mit der Weltwirtschaft und der Euro-Entwicklung jederzeit wieder eine Krise geben. Und deshalb sollte man die Bedeutung der Familienunternehmer nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Im Fall eines Abschwungs könnten womöglich viele Unternehmen die Lohnsumme nicht mehr halten, und müssten dann auch noch die Erbschaftsteuer stemmen.
Genau das ist das Problem. Die Unternehmen kennen ihre Märkte sehr gut und haben die letzte Krise bestens gemeistert. Wenn es einem Unternehmen schlechtgeht, ist das ja meist ein schleichender Prozess und keine Krise von heute auf morgen. Im Zweifelsfall kommt es dann zum Einstieg einer Heuschrecke. Wenn dann auch noch die Erbschaftsteuer hinzukommt, wird es brenzlig. Und genau das sollte vermieden werden.
Das klingt wenig zuversichtlich.
Man sollte gerade in der Politik die Diskussion rund um das Thema Erbschaftsteuer jetzt in Ruhe, aber bitte mit der notwendigen Sachkenntnis führen. Wir als Stiftung stehen dafür zur Verfügung und wissen auch vom Kanzleramt, dass wir beteiligt werden. Das sind interessante Zeiten, die nächsten Wochen werden spannend. Es muss unser aller Ziel sein, dass dieser 17. Dezember 2014 am Ende doch noch ein guter Tag für die Familienunternehmen in Deutschland wird.