Das Buch zeichnet das Bild eines intellektuell vollkommen überforderten US-Präsidenten. Foto: AFP

Ein neues Enthüllungsbuch zeichnet ein erschreckendes Bild aus dem Inneren von Donald Trumps US-Regierung. Der Präsident persönlich hat mit seiner heftigen Reaktion das Werk zum Bestseller gemacht.

Washington - Das Schlafzimmer im zweiten Stock des Weißen Hauses ist sein Rückzugsort. An der Tür hat Donald Trump gegen den Protest seiner Personenschützer angeblich ein Schloss anbringen lassen. Für das Personal gelten strenge Regeln: Niemand darf seine privaten Sachen anfassen – vor allem nicht seine Zahnbürste.

Der Präsident der Vereinigten Staaten hat eine phobische Angst vor Keimen. Wenn sein Bettzeug gewechselt werden soll, zieht er die Laken selber ab. Zusätzlich zu dem vorhandenen Fernsehen hat Trump angeblich zwei weitere TV-Monitore aufhängen lassen. Als erster Präsident seit John F. Kennedy schläft er getrennt von seiner Frau. Wenn er keine Abendtermine hat, macht er es sich gemütlich: Dann legt er sich öfter um 18.30 Uhr ins Bett, isst Cheeseburger, schaut fern und telefoniert mit alten Freunden. „Das Telefon ist sein eigentlicher Bezugspunkt zur Welt“, berichtet ein Insider.

Nächtliche Schlangen vor den Buchläden

Es sind saftige Schilderungen wie diese, die im winterlichen Washington ein politisches Erdbeben bedeuten. Mitten in einer Januarnacht treiben sie bei minus neun Grad Celsius die Menschen zu Kramerbooks am Dupont Circle. Normalerweise schauen bei dem gutsortierten Buchladen spätabends nur noch wenige Kneipenheimkehrer vorbei.

Die Unterführung der Connecticut Avenue vor der Tür kennt jeder, der einmal die Politsatire „House of Cards“ gesehen hat. Mit rasendem Tempo fliegt im Vorspann die Kamera über das Straßengewirr. In der Nacht zum Freitag hat sich in dem Buchladen kurz vor Mitternacht eine lange Schlange gebildet. Um Punkt Null Uhr startet der Verkauf von Michael Wolffs „Fire and Fury“. Eine Viertelstunde später ist das Buch ausverkauft. So etwas hat es seit Harry Potter nicht gegeben.

Die Wut des Präsidenten als Werbefaktor

Doch selten hat ein politisches Enthüllungsbuch auch eine derartige Vorab-Werbung erlebt wie dieses 330-seitige Panoptikum der Trump-Welt. Kein Geringerer als der Präsident persönlich hat unfreiwillig das Werk vorab schon auf den ersten Platz der Amazon-Bestsellerliste katapultiert. Als wolle er den Titel (zu deutsch: Feuer und Zorn) bildlich illustrieren, belegte Trump erst seinen in dem Wälzer zitierten Ex-Chefstrategen Stephen Bannon mit dem Bannstrahl.

Dann überschlug sich seine Sprecherin mit abfälligen Äußerungen über das „komplett erfundene“ Werk. Schließlich hetzte Trump dem New Yorker Verlag Henry Holt die Anwälte auf den Hals und versuchte, die Veröffentlichung zu unterbinden. Doch die Manager des Unternehmens, das zur Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe gehört, blieben cool und zogen den Verkaufsstart um vier Tage vor.

Das Werk wird zum Statement für die Pressefreiheit

Nun ist es also auch ein politisches Statement für die Pressefreiheit, wenn man sich mit dem Wolff-Wälzer bewaffnet, der sich wie ein Roman liest. Weltbewegend Neues wird man kaum erfahren. Aber zwischen viel Spott und Häme finden sich zahlreiche Beobachtungen, Szenen und Zitate, die den erschreckenden Eindruck einer chaotischen Regierungszentrale und eines dem Amt in keiner Weise gewachsenen Präsidenten bestätigen.

So soll ein Mitarbeiter während des Wahlkampfes versucht haben, Trump die amerikanische Verfassung zu erklären. Nach wenigen Minuten – beim vierten Verfassungszusatz – fielen dem Milliardär bereits die Augen zu. Eigentlich, so berichtet Autor Wolff, wollte Trump gar nicht wirklich US-Präsident werden. Der Hotel- und Golfplatzbesitzer hatte vielmehr darauf gesetzt, durch die Kampagne seinen Marktwert als Unternehmer und Fernsehstar zu steigern. Ehefrau Melania weinte am Wahlabend – nicht aus Glück. „Wie ein Gespenst“ sehe sein Vater aus, berichtete Sohn Donald junior gegen 20 Uhr angeblich einem Freund. Entsprechend chaotisch startete die Regierung.

Trump liest nicht

„Trump las nicht. Er war postliterarisch – total aufs Fernsehen fixiert. Aber nicht nur das. Er hörte auch nicht zu“, heißt es in dem Buch. Also habe der „ich-fixierte Schauspieler“ die Regierungsposten erst einmal mit Freunden und Familienangehörigen besetzen wollen und ernsthaft erwogen, Schwiegersohn Jared Kushner zum Stabschef des Weißen Hauses zu machen.

Die Akteure des Trump-Imperiums kommen in dem Buch denkbar schlecht weg. Der Präsident färbt sich seine Haare (bevor er sie mit Haarspray fixiert) angeblich mit dem Billigprodukt „Just for Men“, ist aber so ungeduldig, dass die Farbe oft orange-blond gerät. Tochter Ivanka ist eine eiskalte Karrieristin, die davon träumt, ihrem Vater nachzufolgen, aber laut Bannon „dumm wie Brot“ ist.

Bannon selber gilt als illoyal – „ganz zu schweigen davon, dass er immer wie Scheiße aussah“, wie Trump einmal am Telefon bemerkt haben soll. Das alles liest sich unglaublich süffig. Aber ist es auch wahr?

Der Autor gilt als knallharter Reporter

Anderthalb Jahre hat der Autor Wolff für das Buch recherchiert und nach eigenen Angaben mit 200 Augenzeugen gesprochen. Nach Schilderungen anderer Korrespondenten ging er im Weißen Haus ein und aus. Offenbar unterschätzte Trumps Presseteam die Brisanz der Recherche vollkommen.

Der 64-Jährige mietete sich im teuren Hay Adams Hotel praktisch gegenüber vom Weißen Haus ein und veranstaltete selbst Partys, zu denen er Regierungsmitarbeiter einlud. Auch wurde er offenbar von Bannon gezielt mit Informationen versorgt. Das alles passt zu dem Bild eines Magazin-Reporters, der nicht immer mit sauberen Methoden arbeitet. Angeblich hat Wolff viele Gespräche – auch die vertraulichen – auf Band aufgenommen. Das wäre unethisch, spräche aber dafür, dass die Zitate korrekt sind. „Meine Glaubwürdigkeit wird von einem Mann in Zweifel gezogen, der weniger Glaubwürdigkeit hat als irgendjemand auf der Welt“, setzte sich Wolff am Freitag gegen Trumps Attacken zur Wehr.

Der Gesamteindruck gilt als glaubwürdig

Auch langjährige White-House-Korrespondenten bestätigen: Selbst wenn Details überzeichnet seien, stimme der Gesamteindruck, den das Enthüllungsbuch vermittelt. Und der lässt Trump auf alarmierende Weise ungeeignet für das Amt erscheinen. Angeblich nennen ihn die Mitarbeiter hinter seinem Rücken einen „Trottel“ und „Idioten“.

Noch schlimmer: Viele Gesprächspartner, berichtet Wolff, hätten die zunehmenden Schleifen in Trumps Ausführungen bemerkt: „Früher wiederholte er innerhalb von 30 Minuten Wort für Wort dieselben drei Geschichten. Inzwischen dauert es nur noch zehn Minuten.“

Auch soll der Präsident in seinem Feriendomizil Mar-a-Lago mehrere Freunde nicht wiedererkannt haben. Das befeuert Spekulationen über die gesundheitlichen Befähigung Trumps. Offen ventiliert Ex-Stratege Bannon in dem Buch, das Kabinett könnte die Amtsunfähigkeit Trumps feststellen. Soweit ist es noch nicht. Doch möglich wäre es. Das Verfahren regelt der 25. Verfassungszusatz. Aber den kennt Trump ja nicht.