Karl Jäger (Foto) war in Waldkirch beliebt.Viele wollten nach dem Krieg nicht glauben, dass dieser Mann in Litauen zum kalten Sachwalter, Kommandeur und Vollstrecker des Todes geworden sein sollte. Foto: Fischer-Verlag

Waldkirch ehrt die ermordeten litauischen Juden – und weist damit zugleich auf den Täter Karl Jäger hin.

Waldkirch - In der Stadt Waldkirch im Kreis Emmendingen wird am Sonntag, dem 29. Januar, ein Mahnmal enthüllt: Fünf Stelen erinnern an die mehr als 138 000 litauischen Juden, die in den Jahren 1941 und 1942 von den Nazis ermordet wurden. Warum aber in Waldkirch, dem 21 000 Einwohner zählenden Städtchen 17 Kilometer nördlich von Freiburg? In der Stadt, die für ihre Orgelbau-Tradition bekannt ist, wurden zwar keine litauischen Juden umgebracht. Aber in Waldkirch ist Karl Jäger aufgewachsen. Und aus dem 1888 geborenen Sohn eines Musiklehrers wurde zum einen ein Orchestrionbauer und Mitinhaber einer Fabrik, die diese mechanischen Musikboxen herstellte. Zum anderen, in den 1920er Jahren, wurde er „der Hitler von Waldkirch“ – und ein Massenmörder.

Dass der SS-Standartenführer Karl Jäger am 1. Dezember 1941 detailliert Bericht über die Morde seines „Einsatzkommandos 3“ (EK 3) an 137 346 Menschen in Litauen – meist Juden – erstattete, ist erst lange nach Kriegsende bekannt geworden. Im Jahr 1963 gelangte das Dokument vom sowjetischen Außenministerium an die Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. In Waldkirch wollte ein großer Teil der Stadt nicht wissen, dass einer aus der „besseren Gesellschaft“ des Ortes ein Massenmörder war. Erst ein Artikel des Historikers und Gemeinderats Wolfram Wette 1989 und im Jahr 2011 endgültig dessen Buch mit dem Titel „Karl Jäger. Mörder der litauischen Juden“ machten dem Schweigen ein Ende.

„Ich habe damals viele böse Briefe bekommen“, erinnert sich Wolfram Wette, einer der prominentesten Militärhistoriker Deutschlands. In Waldkirch wohnen Nachkommen von Jäger und 100 Männern des „Jäger“-Sturms der SS. „Das waren keine dummen Rabauken, es waren Kerle aus den sogenannten besten Familien dabei“, sagt Wette. Karl Jäger hätten die Waldkircher als einen beliebten, „feinsinnigen, musikalisch begabten“ jungen Mann erlebt. Viele wollten nach dem Krieg nicht glauben, dass dieser Mann in Litauen zum kalten Sachwalter, Kommandeur und Vollstrecker des Todes geworden sein sollte, den fanatischer Judenhass getragen hatte.

Karl Jäger führt akribisch Buch über die Morde

Doch dank seiner buchhalterischen Zuverlässigkeit ist Jägers Rolle gut dokumentiert. Er brüstete sich damit, „das Judenproblem für Litauen“ gelöst zu haben, und beklagte sich, dass er die „Arbeitsjuden“ nicht auch noch hatte „umlegen“ dürfen. Bereut hat Jäger seine Taten nie. Er kehrte 1945 hochdekoriert – Totenkopfring und Heldendegen der SS, Kriegsverdienstkreuz Erster Klasse mit Schwertern – nach Waldkirch zurück. Jäger wurde 1959 in der Nähe von Neckargemünd verhaftet, wo er als Landarbeiter auf einem Bauernhof arbeitete. Zum Prozess gegen ihn kam es nicht, Jäger erklärte sich für „nicht schuldig“ und erhängte sich am 22. Juni 1959 in seiner Zelle im Gefängnis Hohenasperg.

„Mit der Ehrung der Opfer wird auch indirekt die Rolle der Täter in Erinnerung gerufen“, erklärt der Historiker Wette. Er hat seit Jahrzehnten in unterschiedlicher Funktion, zuletzt zusammen mit der „Ideenwerkstatt Waldkirch in der NS-Zeit“, für einen angemessenen Umgang mit dem willigen Helfer bei der Judenvernichtung gearbeitet, ist auch mit Studenten nach Litauen gereist. Die katholische und die evangelische Kirche, das Kunstforum, das Geschwister-Scholl-Gymnasium und die Gemeinde Waldkirch unterstützten die Bemühungen. Eine wichtige Rolle spielte die Dokumentation „Karl Jäger und wir“ des Filmemachers Jürgen Dettling aus dem vergangenen Jahr, in der sich mit Jägers Enkel, einem bekannten Orgelbauer, erstmals ein Familienmitglied zum Umgang mit dem Vorfahren äußerte.

Zu Enthüllung kommt Besuch aus Litauen

Ursprünglich hatte die Waldkircher Ideenwerkstatt vorgeschlagen, 138 Bäume für das Gedenken an die 138 000 Opfer in Litauen zu pflanzen. Der Gemeinderat hatte beschlossen, Geld bereitzustellen. Doch es wurde kein geeigneter Platz gefunden, und auch der Plan, 138 Stelen auf dem Alten Friedhof aufzustellen, konnte nicht verwirklicht werden. Das Mahnmal mit fünf Stelen aus Basalt am Kirchplatz ist deutlich kleiner ausgefallen, aber nach Wettes Worten ein „dauerhaftes Symbol“ dafür, dass sich Waldkirch der Erinnerung an die NS-Zeit verantwortungsvoll stellt.

Das Mahnmal wird am Sonntag, 29. Januar, um 18 Uhr von Waldkirchs OB, dem Historiker Wolfram Wette und dem Bundestagsabgeordneten Gernot Erler (SPD), der Osteuropa-Beauftragter der Bundesregierung ist, enthüllt. Litauens Botschafter und die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Litauens werden anwesend sein.