Tastet sich ohne Vorbehalte an die Heimat anderer heran Foto: dpa

Wladimir Kaminer ist eine Art russischer Seismograf deutscher Befindlichkeiten. Immer montags reist der Schriftsteller für 3 Sat durch die „Kulturlandschaften“ unserer Provinz – und entdeckt darin Dinge, die den Eingeborenen sonst verborgen geblieben wären.

Herr Kaminer, Sie wenden sich in „Kulturlandschaften“ dauernd an eine imaginäre Olga. Wer ist das – eine Brieffreundin?
Olga ist weder imaginär noch eine Brieffreundin, sondern meine Frau. Es ist eine Macke von mir, dass ich mehrmals am Tag mit ihr reden muss, selbst wenn ich weit weg bin. Weil wir beim Drehen also sowieso ständig kommuniziert haben, kam die Idee auf, dass ich meine Gedanken auch im Film in einer Art vorgelesenen Briefen an sie weiterreiche. Zuerst war ich misstrauisch, aber das Lesen symbolisiert wunderbar die Distanz, die auch ich gegenüber dem habe, worüber ich hier berichte.
Distanz zu dem Land, dass Sie mittlerweile Ihr halbes Leben bewohnen?
Wir leben in einer Völkerwanderung, gegen die die vor 2000 Jahren purer Stillstand war. Jeder sucht nach einem besseren Ort; wir sind alle Touristen. Man hat zwar eine Postadresse, aber selten Bezug zum Wohnort. Ich bin fast das ganze Jahr unterwegs und weiß, wie schwer es ist, eine Gegend in kurzer Zeit kennenzulernen; dafür brauchst du Insider. Das Erfolgsrezept ist also weniger Distanz als die Mischung aus Eingeweihten und einem Ahnungslosen, der ohne Vorbehalte an die Heimat anderer Leute herantritt.
Was ist Ihre eigene Heimat?
Am Ende, wo ich geboren bin. Ich kann und will den sozialistischen Background meiner Vergangenheit, den ich durchaus schätze, weder verdrängen noch eins zu eins in die Gegenwart übertragen. In der Sintflut neuer Technologien und Werte muss jeder seine Heimat immer wieder aufs Neue entdecken. Ich sehe mich da nicht als Deutscher oder Russe, sondern als Europäer. Denn in Europa hat die Vielfalt der Kultur den Menschen eine Form der Freiheit verschafft, wie es sie sonst nirgends gibt. Hier kann man sein Leben selber basteln – ohne dass ein Staat, ein Führer, die Kirche sagen kann, wo es langgeht. Davon bin ich großer Fan.
Ist das schon Patriotismus?
Nein. Ich habe vor allem negative Erfahrungen mit Patrioten gemacht, weil die meisten von ihnen Liebe zu ihrem Land als Hass auf andere missverstehen. Während mir der gemeine Patriotismus zu aggressiv ist, verwenden wahre Patrioten die Liebe zum Ort ihres Herzens dafür, es allen darin besser gehen zu lassen. Das kann ein Dorf sein, eine Insel oder die größte Stadt.
Wie ist als Berliner Ihr Verhältnis zur Provinz?
Gespalten. In einer Großstadt kann sich jeder unbeobachtet ausleben, in der Provinz sind diese Möglichkeiten begrenzt, und jeder sieht zu. Aber nehmen Sie die beiden Musiker der Serie aus dem Schwarzwald; ich denke nicht, dass deren Nachbarn wissen, welche Art Black Metal die zwei machen. Provinz hat mehr Keller, in denen ein Doppelleben möglich ist.
Keller? Spannend . . .
Absolut. Großstadt ist dagegen ein bodenloser Eimer, in dem alles verschwindet. Deshalb fahre ich gern in die Provinz, um in einige Keller hineinzuklettern.
Nur auf Besuch oder mit Bleibe-Option?
Ach, ich habe zwar meine Wohnung am Mauerpark, wo täglich Tausende von Menschen vorbeiziehen, aber auch mein Häuschen mit Garten in einem nordbrandenburgischen Dorf, das offiziell 160 Einwohner hat, gefühlt aber höchstens drei. Wenn ich da spätabends die Sterne zählen gehe, wissen es am nächsten Morgen alle.
Ist das ein Rückzugsort?
Es ist vor allem eine Bereicherung, weil ich das Großstadtleben nicht missen möchte, aber ab und zu Luft holen muss.
Könnten Sie sich vorstellen, jemals wieder in Russland zu leben?
Lieber würde ich in Berlin bleiben. Russland ist ein sehr interessantes Land, aber durch bestimmte Ereignisse der Geschichte hat es sehr viel Zeit verloren, die für seine Entwicklung wichtig gewesen wären. Ich helfe denjenigen, die versuchen, das Land auf Weltniveau zu bringen, wie und wo ich kann, aber lieber aus der Ferne.
Zumal die Menschen hier Sie mehr schätzen und lesen. Liegt das am Spiegel, den Sie Ihrer Wahlheimat aus der Perspektive eines Zugereisten vorhalten?
Ich bilde mir ein, dass meine Nationalität in der Liebesbeziehung dieses Landes zu mir und umgekehrt eine untergeordnete Rolle spielt. Ich und meine Leser haben einfach sehr ähnliche Interessen. Weil Literatur eine Einladung zum Gespräch ist, finde ich hier mehr Gesprächspartner als in Russland, wo die Probleme ganz andere sind als die, die ich anspreche. Russland hat trotz der schwierigen deutschen Geschichte noch viel mehr mit seiner Vergangenheit zu kämpfen.
Sind Sie dennoch bekannt in Ihrer alten Heimat?
Anders als hier. Als Russland noch ein europäisches Land sein wollte, haben sich die Medien für mich als jemanden interessiert, der es im restlichen Europa zu etwas gebracht hat. Das hatte Beispielcharakter. Jetzt, da das Land sich beleidigt von Europa entfernt und wie eine wütende Ziege in den Wald rennt, werde ich zur fünften Kolonne erklärt, die zum Feind übergelaufen ist.
 
Montags, 19.30 Uhr, 3Sat