Marlene Blumenstock schaut in der Untertürkheimer Bücherzelle – eine ihrer erfolgreichen Aktionen – regelmäßig nach dem rechten. Foto: Elke Hauptmann

Die Untertürkheimerin Marlene Blumenstock hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Stadtbezirk mit verschiedenen Aktionen lebenswerter zu machen. Unter anderem hat die 65-Jährige vor drei Jahren die Bücherzelle initiiert.

Untertürkheim - Über N acht war er verschwunden. Dabei hatte Marlene Blumenstock den auffälligen Stuhl, den sie an der Bushaltestelle am Kelterplatz platzierte, extra mit einer Kette gesichert. Geholfen hat das nichts – bis zum heutigen Tag ist der „Mitfahrstuhl“ verschwunden. „Die Leute haben die Idee offenbar nicht verstanden“, bedauert die 65-Jährige. Dabei hat sie Charme: Wer von Untertürkheim nach Rotenberg fahren möchte, sollte sich auf den eigens mit dem Tramper-Daumen gekennzeichneten Stuhl setzen, Autofahrer mit gleichem Ziel hätten den Wartenden dann mitnehmen können. Solche spontanen Fahrgemeinschaften könnten laut Blumenstock mehr Mobilität für Menschen ohne Auto schaffen. Jene, die zu Fuß unterwegs sind, kommen mit Autofahrern zusammen, die einen freien Platz in ihrem Wagen zu bieten haben – ganz nebenbei könnte so auch das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden.

Doch was zum Beispiel im nahe gelegenen Weinstadt funktioniert, ist in Untertürkheim kläglich gescheitert. Nicht mal eine Woche stand der „Mitfahrstuhl“ im vergangenen Herbst an seinem Standort. Nicht anders ist es dem „Wanderbesen“ ergangen, der schon am zweiten Tag entwendet wurde. Die Aktionskünstlerin hatte das Arbeitsgerät auf die Straße gestellt – versehen mit einem Schild, auf dem ein Goethe-Zitat stand: „Ein jeder kehre vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier.“ Statt aber von einem Freiwilligen zum nächsten weitergereicht zu werden, damit die Dreckecken im Ort verschwinden, hat der Besen offenbar einen anonymen Besitzer gefunden. Die umhäkelten Masten und Geländer auf dem Karl-Benz-Platz hatten ebenfalls nicht lange Bestand. Und auch die Aktion „Bunte Stühle für eine bunte Gesellschaft“ war nicht vom erhofften Erfolg gekrönt: Mit 30 aussortierten Stühlen der evangelischen Kirchengemeinde wollte Marlene Blumenstock Passanten in der Widdersteinstraße zum Verweilen einladen – die Geschäftsleute zeigten jedoch wenig Interesse, die Sitzmöbel vor ihren Läden aufzustellen.

2014 ist die Initiative „Bunt statt Grau“ ins Leben gerufen worden

Entmutigen lässt sich die lebensfrohe Frau von solchen Rückschlägen dennoch nicht. „Natürlich ärgert mich so etwas. Ich habe mich auch schon öfter gefragt, warum ich das eigentlich mache.“ Doch dann, erzählt die gelernte Schauwerbegestalterin mit einem strahlenden Lächeln, „habe ich auch schon wieder eine neue Idee“. Die Bücherzelle in der Widdersteinstraße, die bunt bemalte Bahnhofstreppe, der Reifengarten auf dem Karl-Benz-Platz, die mit frechen Sprüchen beklebten Mülleimer im Ort, die Läden auf Zeit, in denen Produkte von ortansässigen Kreativen verkauft wurden – all das sind Aktionen, die auf Marlene Blumenstock zurückgehen.

Zusammen mit Sabine Reichert und Andrea Nicht-Roth hat die kleine Frau mit dem großen Tatendrang Anfang 2014 die Initiative „Bunt statt Grau“ ins Leben gerufen, um dem sichtbaren Niedergang Untertürkheims etwas entgegenzusetzen. „Auf städtische Unterstützung zu warten ist sinnlos“, sagt Marlene Blumenstock nicht verbittert, sondern kämpferisch. „Die Bürgerschaft muss aktiv werden.“ Der Name der Bewegung ist Programm: „Untertürkheim selber machen“.

Leider sei es sehr schwierig, über einzelne Aktionen hinaus auch langfristig Mitstreiter zu gewinnen, wundert sie sich über die Lethargie ihrer Mitmenschen. Seit gut 30 Jahren wohnt die aus dem Westerwald stammende Frau mit ihrem Mann Klaus-Ulrich – wie sie ein „Neigschmeckter“ – in Untertürkheim. „Ich lebe gern in meinem Stadtteil. Und ich möchte, dass er lebenswert bleibt.“ Diese Liebe zu ihrem Heimatort sei Motivation, allen Widrigkeiten zum Trotz weiterzumachen. Man darf gespannt sein auf neue originelle Aktionen gegen die Tristesse.