Im Sommer kommt der Strom vor allem vom Dach, im Winter aus dem Blockheizkraftwerk. Foto: dpa

Weil die Einspeisung von Ökostrom ins öffentliche Netz weniger attraktiv wird, steuern Versorger um.

Stuttgart - Sonja Kurfis musste nicht lange überlegen. Als die Rentnerin im März die Schlüssel zu ihrer neuen Mietwohnung in Konstanz erhielt, überreichte ihr der Mitarbeiter der Wohnungsbaugesellschaft Wobak auch einen Flyer für ein Stromangebot: Unter der Überschrift „Der beste Strom ist hausgemacht“ boten ihr die Stadtwerke Konstanz an, den Strom, der in und auf dem Haus produziert wird, direkt zu beziehen. „Die Idee gefiel mir gut“, erzählt Kurfis und unterschrieb kurze Zeit später. Kurfis bezieht seither wie zwei Drittel der 27 anderen Mieter in dem Neubau am Konstanzer Drechslerweg Strom aus Fotovoltaikanlagen auf dem Dach und aus dem Blockheizkraftwerk im Keller. Das gasbetriebene Blockheizkraftwerk liefert die Wärme im Haus – im Nebeneffekt fällt Strom für die Mieter an. Im Sommer, wenn die Sonne scheint, produzieren vor allem die Solarzellen Energie, im Winter die Heizungsanlage.

Etwa 70 Prozent ihres Verbrauchs können die Kunden mit dem hausgemachten Strom decken. Den Rest liefern die Stadtwerke aus dem öffentlichen Netz zu. Der Kunde merkt dies nur an seiner Rechnung, denn der zugekaufte Strom ist pro Kilowattstunde zwei Cent teurer als der eigene. Gemessen an einem Durchschnittshaushalt mit 3500 Kilowattstunden Stromverbrauch im Jahr lassen sich 50 Euro jährlich gegenüber dem günstigsten Alternativtarif der Stadtwerke sparen, rechnet der Leiter Produktmanagement bei dem Versorger, Gordon Appel, vor. Das Besondere am Mieterstrommodell der Stadtwerke ist zudem der Einsatz intelligenter Messsysteme. Dadurch wird es möglich, zeitlich genau zu erfassen, wann tatsächlich Strom erzeugt und verbraucht wird. Das ist die Basis für unterschiedliche Tarife und bietet den Mietern die Möglichkeit, bei Anpassung des Verbrauchsverhaltens an die Stromproduktion, finanziell zu profitieren – vor allem, wenn es eines Tages Haushaltsgeräte auf dem Markt gibt, die sich über intelligente Stromzähler steuern lassen.

Der Direktverbrauch ist für alle Beteiligten attraktiv

Das ganze Modell firmiert unter dem Namen Mieterstrom. Was Eigenheimbesitzern schon länger möglich ist – den selbst produzierten Strom auch selbst zu nutzen und nicht ins öffentliche Netz einzuspeisen –, können auch zunehmend mehr Mieter. Nicht nur die Stadtwerke Konstanz bieten dies an. Auch die EnBW beispielsweise hat entsprechende Angebote für Wohnanlagen unter anderem in Sindelfingen, Stuttgart und Backnang, die Stadtwerke Stuttgart betreiben einzelne Pilotprojekte und wollen im kommenden Jahr mit dem Modell groß rauskommen.

Hinzu kommen Stromhändler wie Polarstern oder Lichtblick oder auch Dienstleister wie die Berliner Energieagentur, die im Auftrag von Immobilienbaugesellschaften Fotovoltaikanlagen oder Blockheizkraftwerke errichten, betreiben und den Mietern entsprechende Tarifangebote machen.

Der Direktverbrauch des Stroms vom Dach und aus dem Keller ist für alle Beteiligten attraktiv. So fallen dadurch, dass der Strom nicht ins öffentliche Netz fließt, deutlich weniger Steuern, Abgaben und Umlagen an: insbesondere keine Stromsteuer, keine Netznutzungsentgelte und keine Konzessionsabgabe. Insgesamt kann sich die Ersparnis je nach Ort (denn Netznutzungsentgelte und Konzessionsabgabe sind regional unterschiedlich) pro Kilowattstunde Strom auf bis zu acht Cent summieren. Zum Energiepreis kommen nur EEG-Umlage und Mehrwertsteuer hinzu.

Wohnungsbauunternehmen profitieren, weil sie mit umweltfreundlicher Kraft-Wärme-Kopplung, wie sie ein Blockheizkraftwerk bietet, die Energieeffizienzauflagen erfüllen können und zugleich Kosten beim Bau sparen, wenn sie die Errichtung und den Betrieb der Wärmeversorgung auslagern. Letzteres ist nicht zuletzt bei sozialen Wohnungsbauprojekten grundlegend. Die Fotovoltaikanlage auf dem Dach trägt zudem bei vielen Mietern zu einem positiven Image der Wohnanlage bei.

Für Versorger wiederum ist das Modell attraktiv, weil sie sich bei der Kalkulation des Tarifs die Ersparnisse bei Steuern, Abgaben und Umlagen mit dem Mieter teilen. Zudem sind die sympathischen Mieterstrommodelle ein gutes Mittel zur Kundenbindung. „Die emotionale Bindung des Mieters an das normalerweise eher anonyme Produkt Strom sollte nicht unterschätzt werden“, betont das Bremer Marktforschungsunternehmen Trendresearch in einer aktuellen Studie zum Marktpotenzial von Mieterstrommodellen.

Zudem ist dieser Vertriebsweg eine Alternative zur immer weniger attraktiven Einspeisung ins öffentliche Netz. Lange Zeit durfte Ökostrom ausschließlich zu garantierten, mitunter sehr lukrativen Preisen (der sogenannten Einspeisevergütung) an den Übertragungsnetzbetreiber verkauft werden. Der wiederum verkaufte den Strom am Markt zu den dort geltenden, meist deutlich niedrigeren Preisen.

Marktforscher sagen dem Mieterstrom eine goldene Zukunft voraus

Die dadurch entstandenen Mehrkosten werden als sogenannte EEG-Umlage auf alle Stromverbraucher verteilt. Da diese Umlage zur Förderung von Ökostrom angesichts sinkender Marktpreise in schwindelnde Höhen gestiegen ist, setzt der Staat in letzter Zeit auf Alternativen zur garantierten Vergütung: Er senkt peu à peu die Vergütungssätze und hat Möglichkeiten zu alternativen Vertriebswegen geschaffen. Dazu zählt der Eigenverbrauch. Letztlich profitieren so alle Stromverbraucher: Denn da für den Strom keine EEG-Einspeisevergütung gezahlt wird, wird das ganze Umlagesystem entlastet.

Trendresearch sagt dem Modell Mieterstrom eine goldene Zukunft voraus. Insgesamt könnten in Deutschland 1,5 Millionen Wohnungen mit entsprechenden Angeboten ausgestattet werden, heißt es in der Studie. Das entspreche etwa jeder fünften Mietwohnung in Deutschland. Bis 2020 rechnet Trendresearch mit 670 entsprechenden Anlagen.

Ob es so auch kommt, hängt nicht zuletzt von den politischen Rahmenbedingungen ab, und die ändern sich gerade in der Energiewirtschaft häufig. Immerhin hat sich die neue grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg vorgenommen, Mieterstrommodelle voranzubringen, und dies auch in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Konkret soll beispielsweise die Installation entsprechender Zähler- und Netztechnik in Mietshäusern gefördert werden. Zudem will sich Grün-Schwarz dafür einsetzen, dass Mieter – so wie bisher schon Eigentümer – zumindest teilweise von der EEG-Umlage befreit werden.