Rund 30 Prozent der Wasserfläche des Stürmlinger Sees will der Betreiber mit Solarmodulen belegen – doch er bekommt keine Genehmigung dafür. Foto: Kies und Beton AG

Neue Bundesregeln setzen den Sonnenkraftwerken auf Baggerseen enge Grenzen. Das halten die möglichen Betreiber der Anlagen und das Umweltministerium in Baden-Württemberg für fatal. Denn der Bedarf an grüner Energie ist groß.

Thorsten Volkmer versteht die Welt nicht mehr. Der Chef von mehreren Kieswerken würde gerne auf dem Stürmlinger See, einer gefluteten Kiesgrube bei Durmersheim im Landkreis Rastatt, eine schwimmende Fotovoltaikanlage bauen, die 6400 Haushalte mit Strom versorgen könnte. Alle sind dafür: der Bürgermeister, der Landrat, die Einwohner. „Normalerweise bin ich der Buhmann, der Löcher macht“, sagt Volkmer: „Zum ersten Mal erhalten wir von allen Seiten Zustimmung – und trotzdem steht das Projekt vor dem Aus.“

 

Tatsächlich gibt es erst eine kleine sogenannte „floating PV“ in Baden-Württemberg. Aber das Potenzial wäre laut dem Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme in Freiburg enorm: Je nach Szenario könnten in Baden-Württemberg Solarkraftwerke mit einer gesamten Nennleistung zwischen 280 und 1130 Megawatt peak (also die maximale Leistung unter Standardbedingungen) errichtet werden – letzterer Wert käme bei einer Ausnutzung von 45 Prozent der Wasserfläche zustande und entspricht der Größenordnung eines Kohlekraftwerks. Laut einer jüngsten Aufbereitung der Daten durch die Landesanstalt für Umwelt eignen sich von den 650 Baggerseen im Südwesten 71 gut und weitere 144 bedingt. Nur in künstlich angelegten Gewässern wäre eine solche Anlage überhaupt erlaubt.

Maximal 15 Prozent der Wasserfläche dürfen bedeckt werden

Doch aus dem Projekt auf dem Stürmlinger See wird nichts. Denn zum Jahresanfang 2023 tritt eine Regelung der Bundesregierung in Kraft, die die Nutzung der Seen stark begrenzt: Maximal 15 Prozent einer Seefläche dürfen dann mit Solarpanels belegt werden; zudem müssen die Solarmodule mindestens 40 Meter vom Ufer entfernt liegen. Thorsten Volkmer wollte aber 30 Prozent des Wassers bestücken. Ansonsten, sagt er, sei die Anlage nicht wirklich rentabel. Vor allem aber wundert er sich, warum die Politik einerseits eine schnelle Energiewende propagiert – und andererseits verbietet, die vollen Potenziale auf den Baggerseen zu heben.

Letztlich seien die ökologischen Auswirkungen dieser Solarkraftwerke auf den See selbst sowie auf die dort lebenden Tiere und Pflanzen „noch weitgehend unbekannt“, argumentiert Bettina Hoffmann, die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, in einem Brief an Volkmer. Aus diesem Grund habe man die genannten Grenzen gesetzt. Das Bundesamt für Naturschutz plane dazu ein Forschungsvorhaben – dann sehe man weiter.

Im EU-Ausland werden weitaus größere Anlagen gebaut

Für die Besitzer der Kiesgruben ist diese Antwort gleich dreifach schwer verdaulich. Erstens gebe es bereits wissenschaftliche Untersuchungen, sagt Thomas Beißwenger, der Geschäftsführer des Landesverbandes Steine und Erden. Etwa in den Niederlanden, allerdings mitfinanziert von den Betreibern. Volkmer betont zudem, dass die Solarpanels lichtdurchlässig wären, dass man mit Muschelkörben unter den Pontons sogar neue Lebensräume erschließen könne und dass die Anlagen im Sommer die Aufheizung der Seen mildern würden. Der Verband Steine und Erden hat jetzt selbst eine Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse in einem Jahr vorliegen sollen.

Zweitens sehen die Betreiber eine Ungleichbehandlung. In den Niederlanden bei Sellingen etwa ist eine Anlage mit 41 Megawatt Peak gebaut worden, in Frankreich sei eine mit 66 Megawatt Peak geplant. Die nicht genehmigungsfähige Anlage auf dem Stürmlinger See hätte nur 28 Megawatt Peak. Im EU-Ausland gebe es eben die Begrenzung auf 15 Prozent der Wasserfläche nicht: „Aber die EU-Umweltgesetze müssen doch für alle Staaten gleich gelten?“, fragt Volkmer etwas verzweifelt. Zudem ist – das räumen alle ein – die 15-Prozent-Marke willkürlich gewählt.

Brief von Umweltministerin an Umweltministerin

Und drittens hat der Bundestag ganz aktuell in einer kleinen Energienovelle beschlossen, dass Solaranlagen auf gefluteten Braunkohleabbaustätten vor allem in Ostdeutschland privilegiert genehmigt werden können. Der Südwesten fühle sich ausgebremst, sagt Beißwenger. Es müsse doch möglich sein, den Strom dort zu produzieren, wo auch die Industrie ihn benötige.

Das baden-württembergische Umweltministerium sieht dies im Übrigen genau so und hat im Bundesrat gegen die neue Regeln gestimmt – vergeblich. Nun hat Ministerin Thekla Walker (Grüne) einen neuen Anlauf gemacht und bei ihrer Bundeskollegin Steffi Lemke (Grüne) in einem Brief auf eine Öffnungsklausel für Pilot- und Forschungsvorhaben gedrängt. So könnte auf einigen größeren Flächen – auch auf dem Stürmlinger See – ausprobiert werden, welche Auswirkungen die Solaranlagen auf die Gewässer und die Natur habe.

Nabu hält größere Forschungsanlagen für akzeptabel

Der Nabu fährt eine ganz ähnliche Linie in dieser Frage. Andrea Molkenthin-Keßler vom Nabu Baden-Württemberg betont, wie wichtig es sei, die Ökologie zu schützen. Zugleich hält sie es aber für erforderlich, dass einzelne Pilotanlagen mit verschiedenen Überdeckungsgraden genehmigt werden. Dann könnten in einem Langzeitmonitoring die ökologischen Auswirkungen erfasst und ausgewertet werden.

Trotz der engen Grenzen werden derzeit weitere schwimmende Fotovoltaikanlagen geplant, allein in den Landkreisen Rastatt und Karlsruhe sechs, in Oberschwaben bei Ostrach eine weitere. Auch Thorsten Volkmer macht weiter mit und beugt sich bei drei Projekten, die er initiiert hat, zähneknirschend den Vorgaben.

Trotzdem fühlt man sich in einer politischen Sackgasse. Thomas Beißwenger gibt sich allerdings kämpferisch: „Wenn im Frühjahr die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, wird man sehen, wer wirklich in einer Sackgasse ist.“