Gasfackel auf westsibirischem Gasfeld – Russland ist für die Energieversorgung Deutschlands extrem bedeutend Foto: dpa

Ukrainekrise und Krieg im Nahen Osten – in wichtigen Zentren der weltweiten Öl- und Gasindustrie ist die politische Lage angespannt. Die Energiepreise sind davon reichlich unbeeindruckt. Die Versorgungssicherheit auch?

Wie viel Sprengstoff birgt die politische Situation fürs Energiegeschäft?
Widersprüchlicher könnte die Lage auf den weltweiten Energiemärkten kaum sein. Während das politische Geschehen global von Konflikten und Krisen bestimmt ist, mit dem Nahen und Mittleren Osten die wichtigsten „Tankstellen der Welt“ im Chaos versinken und der zweitgrößte Gasförderer Russland mit der Ukraine und der Nato streitet, ist die Lage im Öl- und Gasmarkt so entspannt wie selten. Das ist außergewöhnlich, gilt doch speziell Erdöl wegen seiner großen Bedeutung für die globale Wirtschaft als „politischster Rohstoffe der Welt“. Immerhin wird exakt ein Drittel des globalen Energiehungers durch Erdöl gestillt.
Warum ist das so?
Lapidar ausgedrückt, ertrinkt die Welt gerade in Öl und Gas. Das Wirtschaftswachstum in Europa und sowie in China und in anderen Schwellenländern hat nachgelassen, und Industriebetriebe weltweit laufen nicht mehr unter Volllast. Vor allem die USA, die noch vor Jahren einen Gutteil der Weltproduktion an Energierohstoffen abgeschöpft haben, versorgen sich zunehmend allein. Vor allem trifft das auf Erdgas zu. Dank Fracking – also der Gewinnung von Gas aus vielen kleinen Lagerstätten in sehr tiefen Gesteinsschichten – ist das Land gerade dabei, sich an der Spitzenposition der weltweit größten Gasproduzenten festzusetzen. Als Folge steigt die US-Wirtschaft von Öl auf Gas um – etwa bei Industrieanlagen, Kraftwerken oder im Verkehr. Dadurch steigt indirekt das weltweite Ölangebot.
Folgt in der EU-Energiepolitik nicht ein Krisengipfel auf den nächsten?
Tatsächlich versucht die EU, namentlich der scheidende EU-Kommissar Günther Oettinger, seit Monaten den Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine zu entschärfen. Bislang ohne Erfolg. Erst vor wenigen Tagen platzte ein extra anberaumter Gipfel in Brüssel zum Thema. Am eigentlichen Problem, dass Russland über überhöhte Gaspreise politischen Druck auf die Ukraine ausübt, hat sich nichts geändert. Wird das Problem nicht gelöst, könnten sich auch Auswirkungen auf Zentral- und Westeuropa einstellen. Der Grund: Die wichtigsten Pipelines von Russland gen Westen verlaufen durch die Ukraine. An ausbleibenden Lieferungen hat aber eigentlich niemand ein Interesse. Russland ist auf die Milliarden-Einnahmen aus dem Gasverkauf angewiesen, und auch die Ukraine verdient Milliarden Euro jährlich mit der Durchleitung des Russland-Gases durch ihr Territorium.
Ist die Gasversorgung in diesem Winter gesichert?
Im Mai dieses Jahres warnten die deutschen Betreiber von Ferngasleitungen, etwa die Essener OGE oder die Stuttgarter Terranets BW vor massiven Gas-Engpässen im Winter. Seither hat sich die Lage aber beruhigt. Die damals extrem niedrigen Füllstände der insgesamt 51 deutschen großen Gasspeicher gehören der Vergangenheit an. Nach Daten der Gasversorgung Süddeutschland (GVS) sind die Speicher bundesweit derzeit zu 94 Prozent gefüllt – ein Rekordstand für die Saison. Seit Februar 2012 ist die Branche, aber auch die Politik, beim Thema Speicher sensibilisiert. Damals führte ein in ganz Europa extrem kalter Winter im Zusammenspiel mit ausbleibenden Gasmengen aus Russland und der Ukraine zu einem partiellen Kollaps der Gasversorgung in Süddeutschland, der beinahe auch zu einem Zusammenbruch des Stromnetzes geführt hätte.
Hat die Politik ihre Hausaufgaben gemacht?
Beim neuralgischen Punkt der Gasspeicher hat sich in Baden-Württemberg seit der „Winterkrise 2012“ nichts getan. Trotz anderslautender politischer Bekenntnisse verfügt Baden-Württemberg auch 2014 nicht über mehr Speicher. Von den 51 Großspeichern bundesweit stehen nur zwei im Land – in Sandhausen und in Fronhofen. Allerdings hat man den Gastransport nach Angaben des Umweltministeriums in Stuttgart durch neue Pipelines ausgebaut. Durch drei Pipeline-Projekte, die auf exotische Namen wie Opal, Gazelle oder NEL hören, kann heute Gas aus der neuen Ostseepipeline besser gen Süddeutschland fließen. Allerdings: Die für die Energiesicherheit sehr wichtige Nordschwarzwaldleitung (NOS) von Au am Rhein über Ettlingen, Pforzheim nach Leonberg fehlt diesen Winter noch. Sie soll erst Ende 2015 betriebsbereit sein. Mit der NOS zapft speziell der Großraum Stuttgart die Pipeline an, in der Gas via Italien über die Rheinschiene nach Norden fließt. Im Stuttgarter Umweltministerium geht man dennoch davon aus, dass „allenfalls ein – derzeit nicht absehbares – mehrmonatiges Gasembargo zu Einschränkungen der Gasversorgung führen könnte“.
Wie entwickeln sich die Energiepreise?
Seit zwei Jahren zeigt sich der Ölpreis von den weltpolitischer Umbrüchen unbeeindruckt und pendelt um 83 Euro je Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent. Zuletzt sackte der Brent-Preis sogar auf rund 70 Euro je Barrel ab – ein Vier-Jahres-Tief. Eine paradoxe Lage. „Früher haben weltpolitische Verwerfungen sofort zu viel höheren Preisen geführt“, sagt etwa Rainer Wiek, langjähriger Chefredakteur des Hamburger Energieinformationsdienstes (EID). Auch bei Gas, das allerdings in weitaus geringerem Umfang weltweit gehandelt wird, hat sich die Preissituation im vergangenen halben Jahrzehnt deutlich entspannt. Abzulesen ist das beispielsweise daran, dass es großen deutschen Gasimporteuren gelungen ist, langlaufende Lieferverträge mit russischen Konzernen zu ihren Gunsten nachzuverhandeln. Gas wird also günstiger.
Wie hoch ist die Abhängigkeit Deutschlands von Öl, Gas und Kohle?
Deutschlands Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist hoch und wird weiter steigen. Nach Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) stammen zwei Prozent des hier verbrauchten Erdöls und 13 Prozent des Erdgases aus heimischer Produktion. Besonders heimisches Erdgas wird knapper. Mit dem beschlossenen Ausstieg aus der Steinkohlesubventionierung im Jahr 2018 wird die Importabhängigkeit bei Energie generell weiter steigen.
Ist Deutschland zu abhängig vom Ausland?
Die Energieversorgung Deutschlands ist sicher – auch in Zukunft. Erdöl bezieht die Bundesrepublik nach Angaben des EID von rund 35 Lieferländern. Ausfälle eines Staates – wie etwa in den vergangenen Jahren Libyen – können leicht durch andere Quellen ausgeglichen werden. Auch an Häfen für die Supertanker und an Raffinieren mangelt es nicht. Erdgas dagegen kommt aus weit weniger Ländern nach Deutschland – vor allem aus Russland, Norwegen und den Niederlanden. Allerdings ist Deutschland eng ins europäische Pipelinenetz eingebunden. Verflüssigtes Erdgas – sogenanntes LNG – kann von Italien aus ebenso angelandet werden wie aus den Benelux-Staaten. Besondere Bedeutung kommt allerdings Russland zu. Sowohl bei Öl als auch bei Gas beträgt die Importabhängigkeit Deutschlands je nach Berechnung zwischen 30 und 40 Prozent.