Die Erdgasvorkommen auf dem Kontinent sind gewaltig. Allerdings ist es schwierig, den Brennstoff nach Europa zu liefern.
Johannesburg. - Wenn sich selbst der Präsident des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft (AV) skeptisch zeigt, ist Vorsicht geboten. „Bei der Frage, wie wir kurzfristig mit dem Problem fertig werden können, hilft uns das wenig“, sagt AV-Präsident Stefan Liebing im Gespräch mit dieser Zeitung – und meint damit den Beitrag, den Afrika beim Decken des deutschen Erdgas-Bedarfs leisten kann, falls die russischen Lieferungen ausbleiben sollten. Berichte, wonach sich Deutschland bereits in wenigen Jahren von Putins fossilem Brennstoff entwöhnen könne, seien „reines Wunschdenken“, meint der Erdgasexperte: „Mehr als zehn oder zwanzig Prozent der russischen Einfuhren können wir in den kommenden Jahren nicht ersetzen.“
Neue Gasvorkommen in Afrikas Küstengewässern
An den Schätzen selbst liegt es nicht. Afrika verfügt über fast 16 Billionen Kubikmeter an Erdgas-Reserven – 7,3 Prozent aller gegenwärtig bekannten Vorräte der Welt. Nirgendwo anders werden derzeit so viele neue Gas-Vorkommen wie in Afrikas Küstengewässern entdeckt: Von Senegal und Mauretanien über Namibia und Mosambik bis nach Tansania. Mit den entsprechenden Investitionen könne Afrika den europäischen Bedarf mühelos decken, meint der kenianische Ökonom Samuel Nyandemo: Allerdings habe sich in den vergangenen Jahrzehnten keiner so richtig um Afrikas Erdgas gekümmert. In Deutschland kommt der flüchtige Brennstoff wie von alleine in drei Rohrleitungen aus Russland an – und deckt 55 Prozent des Bedarfs ab, 55 Milliarden Kubikmeter im Jahr.
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Erdgas ist für seinen Transport mit wesentlich höheren Investitionen als Erdöl verbunden. Entweder müssen aufwändig Pipelines verlegt werden – oder muss das flüchtige Gas in Milliarden teuren LNG-Anlagen verflüssigt, auf Schiffen transportiert und schließlich wieder zu Gas umgewandelt werden. Deutschland verfügt bislang über kein derartiges Werk: Zwei Anlagen zur Rückwandlung des Flüssiggases sollen jetzt in Auftrag gegeben werden. Bis diese fertig gestellt sind, könnte Deutschland auf die Anlagen in Polen, Holland, Frankreich oder Belgien zurückgreifen, die derzeit nur zu 70 Prozent ausgelastet sein sollen. Doch für den Ersatz des russischen Erdgases reicht das bei weitem nicht aus.
Gaspipelines aus Algerien führen über Marokko und Spanien
Afrika und Europa sind gegenwärtig mit drei Erdgas-Pipelines verbunden: Sie kommen alle aus Algerien, dem zehntgrößten Gasproduzenten der Welt, und führen nach Spanien und Italien. Algerien deckt derzeit rund elf Prozent des europäischen Bedarfs ab, wird diesen Anteil nach Auffassung von Fachleuten allerdings kaum steigern können. Eine der Pipelines, die von Algerien über Marokko nach Spanien führt, liegt derzeit wegen der politischen Spannungen zwischen Marokko und Algerien sogar brach. Kürzlich reiste Italiens Außenminister Luigi di Maio nach Algier, um die Chancen auszuloten. Sein Land muss womöglich auch bald auf 40 Prozent seiner Gasversorgung aus Russland verzichten.
Eine Pipeline von Nigeria durch die Sahara ist bisher Zukunftsmusik
Nigeria, Afrikas größter Produzent fossiler Brennstoffe, will seine Erdgasfelder im Niger-Delta schon seit Jahrzehnten durch eine Pipeline mit Algerien verbinden, um auf diese Weise den europäischen Markt zu erreichen. Zumindest innerhalb des westafrikanischen Staats hat die Verlegung der Rohrleitung auch schon begonnen. Doch für den Bau der über 4000 Kilometer lange Strecke durch den Niger und die Sahara gibt es noch immer nur eine Absichtserklärung: Afrika- Experte Liebing sieht kaum eine Chance, dass das Milliarden-Projekt in absehbarer Zeit in Angriff genommen wird. Nigeria wird sein Erdgas also weiter verflüssigen müssen: Immerhin verfügt das Land bereits über sechs LNG-Anlagen, Angola und Ägypten über jeweils eine. In allen anderen potenziellen Erdgasstaaten Afrikas fehlt davon noch jede Spur – wie in Tansania oder Mosambik.
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Pipelines in diese Staaten zu verlegen, ist ausgeschlossen: Sie machen höchstens bis 5000 Kilometer einen Sinn. Danach wird die Herstellung des Drucks zu teuer, der für die Beförderung des Gases nötig ist – schon Nord Stream 1 verschlingt die Energie eines kleinen Atomkraftwerks. Staaten wie Mosambik sind deshalb ganz auf Verflüssigungsanlagen angewiesen – der Bau einer solchen ist in dem südostafrikanischen Staat auch schon seit Jahren geplant. Inzwischen brach über den Fund des Bodenschatzes ein Bürgerkrieg aus. Ein Fluch, mit dem zwar nicht nur Afrikas Erdölstaaten belegt sind: Doch ihre Stabilität ist noch weniger als die russische garantiert, zumindest schien das noch bis vor wenigen Wochen so.
Mittelfristig kommt Afrika als Gaslieferant für Europa in Frage
Wer sich für LNG interessiert, muss einen langen Atem haben und langfristige Verträge schließen, weiß Erdgaskenner Liebing: Anders lohnen sich die riesigen Investitionen nicht. Die meisten LNG-Produzenten haben ihr Erdgas wie Qatar bereits über ein Jahrzehnt hinaus verkauft; andere, wie Australien, sind zu weit entfernt. Mittelfristig käme Afrika als bedeutender europäischer Erdgaslieferant durchaus in Frage, sagt Liebing: Doch dafür sei ein anhaltendes Engagement und Investitionen in Milliardenhöhe nötig. Und wer weiß: Womöglich kommt russisches Erdgas in zehn Jahren in Deutschland wieder eher unproblematisch und auf jeden Fall viel preiswerter an. „Aber wenn wir aus den jüngsten Entwicklungen etwas gelernt haben“, sagt Liebing: „Auf die Diversifizierung kommt es an.“