Das Hotel Ketterer in der Marienstraße heißt jetzt Boulevard Foto: Jan Reich

In der Stuttgarter Hotellerie ist mit dem Jahreswechsel ein Name mit mehr als 80-jähriger Tradition verschwunden: Das Ketterer. Die Hamburger Hotelgruppe Novum hat das Haus in der Marienstraße übernommen.

Stuttgart - Marianne Hofherr hatte Tränen in den Augen, als sie kurz vor Weihnachten zum letzten Mal Gäste verabschiedete, ehe geräumt und zugesperrt wurde. Stammgäste wie so viele, die bei einem Besuch in Stuttgart immer wieder und nur in diesem Haus buchten und sich nicht daran störten, dass die Marienstraße in den letzten Jahren etwas schäbig geworden war. Die persönliche Atmosphäre, der Service und die Lage mitten in der City machten dieses Manko wett. „Wenn ich hier hereinkomme, stört es mich überhaupt nicht mehr, wie es draußen auf der Straße aussieht“, sagt Laura Weinmann aus Buenos Aires, die einmal in Stuttgart geboren wurde und bei ihren regelmäßigen Besuchen im Ketterer abstieg.

Jetzt wird die Marienstraße endlich aufgeputzt: Mit einem attraktiven hellen Straßenbelag und vor allem mit einem prachtvollen Neubau, dem Einkaufszentrum Gerber. Veränderungen, die auch die Zäsur für das Hotel mit ausgelöst haben. „Wir haben im Juni 2012 die Kündigung bekommen“, berichtet Markus Hofherr. Von den Käufern und neuen Besitzern dieser Immobilie. Eine böse Überraschung, die ihn und seine Frau kalt erwischte.

Vorangegangen waren Gespräche über die Zukunft des Hotels mit Michael Ketterer, dem Chef der gleichnamigen Pforzheimer Brauerei. Dieses Traditionsunternehmen, das von Wilhelm Sebastian Ketterer 1888 gegründet wurde, also im vergangenen Jahr 125-jähriges Bestehen feiern konnte, hatte 1930 in der Stuttgarter Marienstraße eine Großgaststätte eröffnet und zwei Jahre spä-ter um ein 100-Betten-Hotel ergänzt. Die Brauereigaststätte, die sich mit ihrer gutbürgerlichen Küche immer großer und breiter Beliebtheit erfreute, ist mittlerweile einem Umbau in ein schickes, aber noch leeres Ladenlokal gewichen, im Keller drunter treffen sich unbeschadet davon bis heute die Jazz- und Dixieland-Freunde.

Nun ging es im Gespräch mit Michael Ket-terer um die Frage „renovieren oder verkau-fen“, so Hofherr. „Wir haben natürlich in all den Jahren regelmäßig renoviert und so weit wie möglich immer alles auf den neuesten Stand gebracht“, versichert der Hotelier, der in Stuttgart Vorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbandes ist. Aber das Haus sei alt, ein wenig verschachtelt, und um es auf den heute üblichen Stand zu bringen, sei eine grundlegende Renovierung nicht zu umgehen.

„Wir haben das Haus am 1. Mai 1988 über-nommen“, erzählt Hofherr. Die Vorgängerin Friedhild Turm, deren Mann gerade gestor-ben war, hatte dem 27-Jährigen und seiner 26 Jahre alten Frau angeboten, ob sie nicht ihre Nachfolger im Hotel Ketterer werden wollten. Das Paar hatte sich auf der Hotel-fachschule in Weinheim an der Bergstraße kennen gelernt, berufliche Stationen von Markus Hofherr waren unter anderem so renommierte Adressen wie Brenner’s Parkhotel in Baden-Baden und das Ritz in Berlin. Nun griffen sie begeistert zu. Seit sie auch noch zwei Etagen im Haus vom ehemaligen Radiogeschäft Grüner nutzen konnten, bot das Haus 103 Doppelzimmern, vier Penthouse-Suiten und Tagungsräume. „Wir haben immer den Service-Gedanken hochgehalten“, versichert Hofherr: „Bei uns gab es unter den 28 Mitarbeitern sogar noch zwei Hausdiener.“ 1996 ist die Hotelkette Best Western eingestiegen, die Auslastung habe bei 55 Prozent gelegen.

Michael Ketterer hat sich für den Verkauf entschieden: An Paolo Orlandi und Dirk Weise, die in Binau ein Unternehmen für Sicherheitsprodukte führen und hier als In-vestoren eingestiegen sind. „Wir haben da-mit gerechnet, dass wir auch unter den neu-en Besitzern Pächter bleiben können“, sagt Hofherr. Das Angebot kam auch: „Doch mit so hohen Forderungen und der Vorausset-zung, dass wir die Renovierung selbst be-zahlen. Das war für uns nicht darstellbar“, winkt Markus Hofherr ab.

Hofherrs und Best Western waren noch Herrn im Haus, da setzte der neue Pächter schon seine erste Duftmarke: Mit dem neu-en Namen „Hotel Boulevard“ über der Tür. Denn der Betrieb geht als Garni ohne Res-taurant nach der Zwangspause für Räu-mung und Übergabe fast nahtlos weiter, Gäste sind wieder willkommen. Die zwölf Mitarbeiter, die sich noch nicht selbst eine neue Beschäftigung gesucht haben, werden übernommen. Über Renovierungspläne gab die Novum-Gruppe, die in in der Friedrichstraße auch das Hotel Rieker betreibt, keine Auskunft.

Gescheitert ist auch der ursprüngliche Plan der Hofherrs, in der Nachbarschaft ein Boarding House für längerfristige Gäste zu führen: „Am juristischen Einspruch der In-vestoren.“ Dieses Apartment-Haus wird nun ebenfalls dem Hotel angeschlossen. Hofherrs selbst werden sich nun eine Aus-zeit gönnen: „Dann sieht man weiter.“