In Beilstein treffen nach 36 Jahren die „Langhanskegler“ zum letzten Mal zusammen: Margot Frank (sitzend), Heidi Gaul, Doris Meister Erich Gaul, Kurt Meister, Wolfgang Lang, Michael Frank, Fritz Rieger, Richard Knoblauch (sitzend), Renate Rampmaier (von links). Foto: Melanie Maier

Die deutschen Kegelklubs haben ein Altersproblem: Der Nachwuchs fehlt, die Mitglieder sterben weg. Der Keglerbund zählt noch 50.644 Anhänger – in den 1990er Jahren waren es doppelt so viele. Protokoll eines nostalgischen Abends.

Beilstein - Das Keglerglück ist an diesem Abend nicht mit den „Langhanskeglern“. „Awa!“, ruft Michael Frank, noch bevor die rote Kugel am Ende der Bahn auf die weißen Figuren trifft. Und tatsächlich fällt nur eine einzige nach hinten. Doch ums Kegeln geht es auch gar nicht so wirklich, beim letzten Zusammentreffen des Beilsteiner Kegelclubs Langhanskegler nach 36 Jahren.

Im Untergeschoss der Stadthalle sitzen sie zu zehnt am Tisch: Erich Gaul, mit 63 Jahren der Jüngste der Gruppe. Seine Frau Heidi, fünfmalige Kegelmeisterin und seit dem Kindergarten mit Margot Frank befreundet. Sie kegle nicht so gut, „dafür lache ich sehr gerne“, sagt Margot. Ihr Mann Michael – der „Stille im Hintergrund“, wie er selbst sagt – und ihr Zwillingsbruder Wolfgang Lang, bei jedem Treffen ganz vorn am Tisch, waren von Anfang an Teil der Gruppe. „Gründungsmitglieder“, fügt Margot stolz hinzu.

Dann Kurt Meister, „83,9 Jahre alt“ und Gruppenältester, seine Frau Doris, auch sie seit dem Beginn dabei. Richard Knoblauch, der mit nur 15 die wenigsten Vereinsjahre beisammen hat, und seine Lebensgefährtin Renate Rampmaier. Den Wanderpokal der Langhanskegler hat sie bei deren jährlicher Meisterschaft so oft gewonnen hat, dass sie aufgehört hat zu zählen. „’s beschte Pony im Stall“, sagt Fritz Rieger zwinkernd. Er ist 73 Jahre alt, doch den Schalk hat er immer noch im Nacken. „Bei uns ist immer etwas los“, sagt Fritz und grinst zufrieden.

Früher gab’s Bier, Wein und Schnaps – nun trinken die „Langhanskegler“ Sprudel

Es riecht nach Hallenbad an den Kegelbahnen der Stadthalle. Auf dem Tisch stehen Sprudelflaschen. „Früher haben wir Bier, Wein und Schnaps getrunken“, sagt Margot lachend. „Wir haben den Wirten immer gute Umsätze beschert. Jetzt gibt’s nur noch Sprudel.“ Alle zwei Wochen haben sie sich hier getroffen, jeden zweiten Dienstag – „der Termin war uns heilig“, sagt Margot.

Sie war dabei, als der Kegelklub am 23. Oktober 1979 im Gasthaus Hirschgegründet wurde. Die Idee entstand allerdings schon früher, auf der Burg Hohenbeilstein, am Langhans 1. „Da wussten wir schon, dass in der Stadthalle die erste vollautomatische Kegelbahn von Beilstein gebaut werden würde“, erinnert sich Heidi. „Das Kegeln kam da gerade in Mode.“ Inzwischen gehört die Bahn zu den letzten in der Gegend.

Dass der Club sich auflöst, hat einen Grund: das Alter

Und nun wollen auch die Langhanskegler nicht mehr auf ihr spielen. Dass sie nach 36 Jahren aufhören, hat vor allem einen Grund: das Alter. Von ehemals 16 aktiven Keglern sind gerade einmal sechs geblieben. An den Kegelabenden kommen häufig nur noch vier oder fünf von ihnen zusammen. Die meisten Mitglieder sind Rentner, sind oft auf Reisen. „So macht das keinen Spaß mehr“, scherzt Michael, „das ist genau wie bei der Reise nach Jerusalem: Man kommt zu oft an die Reihe – und gar nicht mehr zum Reden.“

Der eigentliche Auslöser ist allerdings ein anderer, wiegt schwerer: die körperlichen Beschwerden. Wolfgang hat seit langem Probleme mit der Schulter, Doris ist vor zwei Jahren operiert worden, und auch Kurt ist angeschlagen. Vor Jahren schon sind zwei ehemalige Mitglieder verstorben, ein heute 85-Jähriger ist altershalber ausgetreten. Das Ende kam langsam zu auf die Langhanskegler, doch es kam unausweichlich.

Auch die Sportkegler haben ein Nachwuchsproblem

Der Club war nie im Verbund organisiert. Nur einmal haben seine Mitglieder an der Stadtmeisterschaft in Beilstein teilgenommen. Doch auch bei den Sportkeglern macht sich der Mitgliederschwund bemerkbar: Während zu den Hochzeiten in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre knapp 100 000 Mitglieder beim Deutschen Keglerbund Classic (DKBC) registriert waren, sind es heute 50 644 – gerade mal die Hälfte. Das Problem ist dasselbe, mit dem wohl die meisten Vereine in Deutschland – Sport- genauso wie Gesangs- oder Verschönerungsvereine – kämpfen: Es fehlt der Nachwuchs.

„Die Jugendlichen haben heute einfach andere Interessen“, sagt Ernst Krenauer, Geschäftsführer des Württembergischen Kegler- und Bowlingverbandes (WKBV). Krenauer, der mit 14 Jahren angefangen hat zu kegeln, empfindet es als schwierig, neue Mitglieder zu gewinnen – oder die Jungen überhaupt noch zum Sport zu bewegen. Die meisten hocken lieber vorm Computer, meint er. Viele wollen sich auch nicht binden, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung: „Sie gehen zum Kegeln, wenn sie gerade Lust haben. Jeden Mittwoch um Punkt 18 Uhr zum Training erscheinen: Das wollen die Jugendlichen nicht.“

Kegeln ist eine Randsportart – eine, die auch kostet

Dazu kommt: Anders als Fußball oder Tennis ist Kegeln eine Randsportart. „Viele wissen gar nicht, dass es Pokalturniere und Weltmeisterschaften gibt“, sagt Claudia Müller vom DKBC. „Sie verbinden Kegeln nur mit Kegelbahnen und Trinken. Dabei ist es eine ernstzunehmende Sportart.“

Eine, die allerdings auch etwas kostet. Rund zehn Euro zahlen Gesellschaftskegler durchschnittlich für eine Stunde Kegeln, beim Bowlen liegen die Preise aufgrund der höheren Herstellungskosten der Bahnen bei rund 30 Euro.

Für die Langhanskegler ein weiterer Grund, nun mit dem Spielen aufzuhören. Bei der Weihnachtsfeier im Restaurant der Stadthalle, ein Stockwerk über der Kegelbahn, verteilt Schriftführerin Renate das restliche Guthaben aus der Clubkasse: Einen Zehn-Euro-Schein und eine Zwei-Euro-Münze legt sie vor jedem auf den Tisch. „Das wird niedergemacht!“, ruft Fritz und bestellt sich einen Rotwein.

Jedes Jahr verreisen die „Langhanskegler“ miteinander

Zum Anstoßen stimmen sie ein letztes Mal den Schlachtruf an: „Gut – Holz – gut – Holz – gut – Holz!“ Die wenigen anderen Gäste schauen etwas irritiert, lächeln aber freundlich. „Es ist schon auch ein bisschen Wehmut dabei, jetzt, nach 36 Jahren“, sagt Margot. „Es war schon eine schöne Zeit.“ Und das nicht nur auf der Kegelbahn. Jedes Jahr hat die Gruppe mit dem Geld aus der Clubkasse einen gemeinsamen Ausflug unternommen: 1981 ging es in den Bayerischen Wald, 1997 nach Istanbul, 2006 nach Regensburg, 2015 nach Brüssel und Antwerpen. „Die meisten Ausflüge sind mit einer Brauereibesichtigung durchgeführt worden“, sagt Fritz.

Auch die runden Geburtstage haben die Langhanskegler stets miteinander gefeiert – und dem Geburtstagskind eine Musikshow dargeboten: als Heino mit dunkler Sonnenbrille, als Andreas Gabalier in enger Lederhose, als Balletttänzer mit Luftballons unter dem roten Kleid. „Da war’ mer no jong ond schlank“, sagt Margot und zeigt auf ein Foto von sich als Baywatch-Badenixe im roten Badeanzug. Ihr Mann Michael hat fast alle Zusammenkünfte fotografisch festgehalten.

Nun steckt Heidi jedem einen Umschlag mit Bildern zu. Darauf zu sehen: die Spitze des Matterhorns, das Atomium in Brüssel. Die neuesten Fotos wurden vor einer Woche aufgenommen. Sie zeigen Erich, Heidi, Margot, Michael, Wolfgang, Kurt, Doris, Richard, Renate und Fritz vor der Kegelbahn. Michael trägt eine rote Weihnachtsmütze.

Auch nach 36 Jahren jedes Mal etwas Neues zu erzählen

Sie haben viel erlebt in diesen 36 Jahren. In Endingen am Kaiserstuhl hat sich Fritz ausgesperrt und musste nackt über den Balkon zurückklettern. „Reinlassen wollte mich niemand – alle haben den Rollladen runtergelassen, als sie mich gesehen haben“, erzählt er lachend. In Prag wurden ihnen die Handtaschen aus dem Hotel gestohlen.

„Es sind immer die gleichen Leute, immer die gleichen Sprüche“, sagt Margot. „Und doch haben wir uns jedes Mal etwas Neues zu erzählen“, ergänzt ihr Zwillingsbruder Wolfgang. Obwohl sie so unterschiedlich sind – in der Gruppe sind Kfz-Meister, Architekten, Standesbeamte – und altersmäßig zum Teil weit auseinanderliegen, sind die Langhanskegler doch eine eingeschworene Gemeinschaft. Auf diese werden sie auch in Zukunft nicht verzichten. Einmal im Monat wollen sie sich treffen – nur nicht mehr zum Kegeln.