EnBW-Vorstand Georg Stamatelopoulos spricht im Interview über längere Laufzeiten von Kohle- und Kernkraftwerken, um die Energiekrise in Deutschland abzuwenden. An den Plänen für eine grüne Energieversorgung rüttelt er jedoch nicht.
Die Ukraine-Krise betrifft die Energieversorgung so stark wie kaum eine andere Branche. Der Ausstieg aus der Kernkraft oder die Nutzung von Erdgas als Brückentechnologie zur grünen Energieversorgung werden plötzlich wieder infrage gestellt. Wir haben den Leiter der Task Force Ukraine der EnBW, Vorstandsmitglied Georg Stamatelopoulos, gefragt, wie der Konzern durch diese Zeit navigiert.
Herr Stamatelopoulos, Gas ist derzeit knapp und teuer. Dennoch will die EnBW Kohlekraftwerke auf Gas umrüsten und hat erst im Juni entsprechende Turbinen bestellt. Ist das Ihr Ernst?
Absolut. Wir brauchen ja auch in Zukunft Stromquellen, die einspringen können, wenn die wetterabhängigen erneuerbaren Energien nicht zur Verfügung stehen. Wir brauchen Anlagen, die jederzeit einsetzbar sind, egal ob der Wind weht oder die Sonne scheint. Irgendwann wird die dafür nötige Energie nicht mehr aus Erdgas, sondern aus grünen Gasen – beispielsweise Wasserstoff – kommen. Aber das wird erst in 25 bis 30 Jahren – frühestens 20 Jahren, wenn wir uns sehr anstrengen – so weit sein.
Und bis dahin?
Heißen die grundsätzlichen Alternativen Kernkraft, Kohle oder Erdgas – Speicher spielen eine notwendige, aber untergeordnete Rolle – und die beste davon ist nach wie vor Gas. Es verursacht viel weniger CO2-Emissionen als Kohle. Und es ist keine Sackgassentechnologie, weil wir in denselben Kraftwerken eines Tages grüne, mithilfe von Ökostrom hergestellte Gase einsetzen können. Die Anlagen, die wir im Begriff sind zu bauen, werden auf Wasserstoff umgestellt, sobald er in ausreichendem Maß verfügbar ist. Daher halten wir an unseren Projekten fest.
Haben Sie das nie infrage gestellt?
Natürlich haben wir das nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und der sich abzeichnenden Gasverknappung noch mal intensiv diskutiert. Aber die Bundesregierung hat sehr früh auf den Aufbau einer Infrastruktur für verflüssigtes Erdgas, sogenanntes LNG, gesetzt, und der kommt auch sichtbar voran, wie man an den Projekten in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade sehen kann. Und deshalb gehen wir davon aus, dass die Gasknappheit voraussichtlich nur in diesem und im kommenden Winter eine Rolle spielen wird. Danach werden wir die Knappheit durch Diversifikation der Bezugsquellen aber hoffentlich überwunden haben. Man könnte übrigens auch erwägen, in Europa neue Gasquellen zu erschließen, beispielsweise im Mittelmeer, oder wieder Gas aus der Nordsee zu fördern.
Die Lage könnte sich sehr bald verschärfen: Am Montag beginnt die Wartung der Pipeline Nord Stream 1 – ob sie dann wieder in Betrieb geht, ist ungewiss.
Aus Russland kommen ja schon seit Mitte Juni nur 40 Prozent der vertraglichen Mengen. Angeblich wegen technischer Probleme an einem Verdichter. Das klingt nicht wirklich überzeugend, zumal es durchaus möglich wäre, die vereinbarten Mengen durch andere Pipelines zu liefern. Insofern ist das Szenario durchaus möglich, dass Russland die Revision dazu nutzt, Deutschland unter einem Vorwand den Gashahn ganz zuzudrehen. Damit muss man einfach rechnen und sich darauf vorbereiten. In einem solchen Fall wäre es durchaus möglich, dass die Bundesregierung die Notfallstufe ausruft.
Was bedeutet das konkret?
Das ist die letzte Stufe im Krisenmanagement einer Gasmangellage, und mit dieser Stufe ginge die Verantwortung für die Gasverteilung an die Bundesregierung über. Dann wird die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler – ein schönes Wort – eingesetzt. Sie gibt dann vor, wer mit Erdgas zu beliefern ist und wer nicht.
Also entscheidet die Bundesnetzagentur, ob das Freibad nebenan noch beheizt werden kann oder nicht?
So konkret wird das natürlich nicht passieren, aber sie wird die Regeln definieren, nach denen im Notfall der eine weiterhin beliefert wird und der andere nicht. Dieser Notfall wird auch nicht sofort eintreten. Wir werden noch genug Gas haben, um die erste Phase zu überbrücken. Das wird uns genug Zeit geben, die Vorgaben der Bundesnetzagentur entsprechend in die Tat umzusetzen.
Die Regierung hat Ihrer Tochterfirma VNG nun finanzielle Hilfe angeboten, wenn es für sie wegen ausbleibender Gasimporte eng werden sollte. Werden Sie dieses Angebot annehmen müssen?
Wir begrüßen prinzipiell die Bereitschaft zur Unterstützung, denn die Situation auf dem Gasmarkt ist in der Tat schwierig. Unternehmen, die langfristige Lieferverträge mit Russland haben und jetzt von der Kürzung der Liefermengen betroffen sind, müssen zu den aktuellen Preisen am Markt für Ersatz sorgen, um ihre Kunden weiter zu beliefern. Das kann je nach Menge sehr belastend sein. Die VNG spürt die Auswirkungen, aber die Situation ist derzeit noch nicht so bedrohlich, dass diese Unterstützung jetzt in Anspruch genommen werden müsste.
Die Knappheit wird auch den Gaspreis weiter in die Höhe treiben. EnBW hat die Preise 2022 schon deutlich angehoben. Wann kommt die nächste Erhöhung?
Die EnBW sichert ihre Gaslieferungen langfristig, aber das hilft bei den aktuellen Preissprüngen leider nur bedingt. Wir beziehen auch jetzt schon Gas zu höheren Preisen, und wenn die Beschaffungskosten so hoch bleiben oder sogar noch weiter steigen, wird es sehr schwierig, den Preis zu halten. Es kommen zwei Winter auf uns zu, in dem man die Gaskosten am besten im Griff behalten kann, wenn man seinen Verbrauch reduziert.
Noch eine Folge ist, dass Kohlekraft nun das fehlende Gas in der Stromerzeugung ersetzen muss. Heizen Sie schon an?
Wir sind darauf vorbereitet, die komplette installierte Leistung unserer Kohlekraftwerke in Baden-Württemberg zur Verfügung zu stellen. Alle Anlagen, auch die, die nicht mehr täglich betrieben werden, sind sehr gut gewartet, und wir haben auf den internationalen Märkten genug Kohle gesichert. Zumindest den kommenden Winter werden wir damit sehr gut überbrücken können.
Wie schnell kann man Reservekraftwerke wieder in Betrieb nehmen?
Je nach den spezifischen technischen Voraussetzungen jeder Anlage in wenigen Stunden. Unsere Reservekraftwerke stehen alle in einer Art Sofortbereitschaft, weil sie als systemrelevant eingestuft sind. Sie kommen auch gegenwärtig immer wieder zum Einsatz – auch schon vor der Ukraine-Krise.
Sie haben 2021 einen Großteil der Kohle aus Russland bezogen . . .
Ja, circa 85 Prozent, das war aber ein Ausreißer. Zuvor hatten wir die Kohle überwiegend aus Kolumbien gekauft, wofür wir von verschiedenen NGOs kritisiert worden sind, weil man dem Land Menschenrechtsverletzungen vorwirft. Unter anderem deshalb hatten wir den Anteil russischer Kohle aufgestockt.
Kauft die EnBW jetzt wieder kolumbianische Kohle?
Neben den USA, Südafrika und Indonesien zählt auch Kolumbien zu den Lieferländern.
Es gibt immer wieder Forderungen, die drei verbliebenen Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen. Spielt das hinter den Kulissen eine Rolle?
Die Bundesregierung hat uns kurz nach dem Ausbruch des Krieges angefragt. Wir haben gesagt, was technisch möglich ist, und was nicht. Daraufhin hat die Bundesregierung die klare Entscheidung getroffen, diese Option nicht zu ziehen. Und ich sehe aktuell auch keine Parameter, die seit März sich geändert hätten und die Entscheidung der Bundesregierung verändern könnten. Alle unsere Planungen und Maßnahmen gehen von der Abschaltung Ende 2022 aus.
Laut dem Umweltministerium des Landes könnte Neckarwestheim mit den vorhandenen Brennstäben noch bis Februar laufen . . .
Mit der aktuellen Beladung könnte das Kraftwerk noch ein paar Wochen länger über Dezember 2022 hinaus laufen. Aber das ist erstens nicht unser Plan und wäre zweitens auch keine Lösung, die uns über den kompletten Winter hinweg helfen würde.
Hat die Regierung denn angefragt, ob Sie den Reaktor zumindest so lange laufen lassen würden, bis die Brennstäbe nichts mehr hergeben?
Seit März gab es keine weitere konkrete Anfrage.
Bis zum Winter 2023/24 könnte die EnBW ja neue Brennstäbe besorgen. Wäre es denn technisch und personell möglich, dass Kraftwerk so lange einsatzfähig zu halten?
Rein technisch betrachtet wäre es kein unüberwindbares Problem, die Anlage vorübergehend stillzulegen und wieder hochzufahren, sobald man die Beladung erneuert hat. Aber das ist politisch und per Gesetz anders entschieden und wird von uns in keiner Weise in Erwägung gezogen. Alle Prozesse bis hin zu den personalwirtschaftlichen laufen auf die Abschaltung Ende 2022 hinaus.
Weil es sich für die EnBW nicht rechnet?
Das spielt dabei keine Rolle. Die Abschaltung ist gesellschaftlich gewollt, politisch entschieden und gesetzlich verankert, und wir haben daraufhin unsere Hausaufgaben und unsere Pläne ohne die Kernenergie gemacht. Aber natürlich wären wir bereit, in einer Notsituation zu tun, was wir können – wenn die Politik meint, dass das erforderlich ist.
Aber dazu müsste schon Wirtschaftsminister Habeck bei Ihnen anrufen?
Ja. Das liegt ganz klar in der Entscheidungshoheit der Bundesregierung.
Wird diese Krise insgesamt die Energiewende antreiben oder bremsen?
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es nicht im Sinne der Energiewende sein kann, wenn die Bedeutung der Kohle wieder zu- statt abnimmt. Aber zu einer Rückkehr zur Kohle wird es nicht kommen, die Regierung hält ganz klar am Ausstiegsziel in den 30er Jahren fest. Zugleich bestätigt diese Krise absolut die Ziele und die Richtung der deutschen Energiepolitik, weil Deutschland durch den Ausbau der Erneuerbaren nicht nur klimafreundlicher, sondern auch unabhängiger von Energie-Importen wird. Klimaschutz, Bezahlbarkeit der Energie und Versorgungssicherheit gehen hier Hand in Hand, und insofern ist diese Krise sogar ein Katalysator für die Energiewende. Vorausgesetzt, wir nutzen die Situation im positiven Sinne aus und kommen mit unseren Plänen voran.
„Stama“ – von Athen in den Vorstand der EnBW
Grieche
Georg Nikolaus Stamatelopoulos, Jahrgang 1970, wird EnBW-intern nur „Stama“ genannt. Aufgewachsen in der griechischen Hauptstadt Athen, wo er die deutsche Schule besuchte, ging er mit 23 Jahren und Maschinenbau-Diplom in der Fachrichtung Energie- und Verfahrenstechnik in der Tasche an die Universität Braunschweig, wo er bis 1996 promoviert hat.
Karriere
Nach Umwegen über Österreich und Alstom Power Systems kam Stamatelopoulos 2010 zur EnBW, wo er 2021 in den Vorstand berufen wurde. Dort ist er als Chief Operating Officer für die nachhaltige Erzeugungsinfrastruktur zuständig und leitet die Task Force Ukraine.
Privat
Der verheiratete Vater dreier Kinder heizt privat umweltfreundlich – mit einer Kombination aus Wärmepumpe und Solarthermie.