Dem Energieriesen EnBW stehen harte Zeiten bevor - Die ganze Branche ist im Abschwung.

Stuttgart - Jahrelang haben Deutschlands Atomkonzerne auf einen Weiterbetrieb ihrer Anlagen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag gesetzt. Jetzt, nach dem ruckartigen Aus fast der Hälfte aller Reaktoren, stehen die Versorger im Regen - Gewinne brechen ein, Stellen werden abgebaut. Besonders hart ist die EnBW betroffen.

Nach dem Atomausstieg geraten die deutschen Energieversorger in immer schwereres Fahrwasser. Mit Eon und RWE haben diese Woche die beiden größten Unternehmen der Branche ihre Halbjahreszahlen vorgelegt und ausnahmslos Hiobsbotschaften verkündet. Das Bild ist überall das gleiche: Die Gewinne sind in freiem Fall, Beteiligungen stehen zum Verkauf, und Tausende Stellen sollen gestrichen werden.

EnBW stärker von Atomstrom abhängig als RWE

Dramatisch ist die Lage auch bei Deutschlands drittgrößtem Energiekonzern EnBW. Der Karlsruher Versorger ist traditionell noch weitaus stärker vom Nukleargeschäft abhängig als seine Konkurrenten aus Düsseldorf und Essen. Mehr als 50 Prozent seines Stroms erzeugte die EnBW vor der Sofort-Abschaltung zweier ihrer Reaktoren mit Kernenergie. Dementsprechend düster sehen nun, nach dem Ausstiegsbeschluss der Politik, die Zukunftsaussichten aus.

Einen Vorgeschmack auf das, was langfristig auf den Konzern zukommen könnte, lieferte Vorstandschef Hans-Peter Villis vor wenigen Tagen. Die Halbjahresergebnisse, die Villis Ende Juli verkündete, stellen selbst die düstersten Konzern-Prognosen noch in den Schatten. Mit einem Verlust von knapp 590 Millionen Euro ist die EnBW im ersten Halbjahr 2011 tief in die roten Zahlen gerutscht. Im Vorjahreszeitraum stand noch ein Gewinn von knapp 900 Millionen Euro zu Buche. Im Gesamtjahr werde der Ertrag um bis zu 25 Prozent einbrechen. Vor einem halben Jahr war Villis noch von einem weitaus moderateren Gewinn-Minus von maximal 15 Prozent ausgegangen.

Als Folge tritt der Konzern nun auf die Ausgabenbremse. Bis zu 850 Millionen Euro, so ist intern zu hören, will die EnBW in den kommenden Jahren einsparen. Mindestens 200 Millionen davon sollen beim Personal hereinkommen. Bis zum Jahr 2013 könnten so 2500 der derzeit gut 21000 Stellen im Konzern wegfallen. In der Belegschaft gärt es daher. Gerade wird in der Branche über Urlaubstage und Arbeitszeiten verhandelt. "Die Leute fürchten sich vor Einschnitten oder sogar davor, ihren Job zu verlieren", heißt es aus dem Konzern. Die immer neuen Nackenschläge machten die Belegschaft mürbe. Im Gleichklang mit den Bilanzzahlen sinke die Stimmung.

Private Investoren greifen nach Windparks

Kein Wunder: Ähnlich harte Sparpläne sind bei der EnBW seit fast einem Jahrzehnt nicht auf den Tisch gekommen. Und im Lastenheft stehen noch weitere Punkte. So sollen Unternehmensbeteiligungen versilbert werden, und die EnBW könnte gezwungen sein, ihre Hochspannungsnetze, an denen sie als einziger deutscher Großversorger bisher mit Klauen und Zähnen festhielt, zumindest teilweise zu verkaufen. Zudem sollen private Investoren Zugriff auf die Windparks des Konzerns vor den deutschen Küsten erhalten. Besonders Letzteres tut der EnBW weh, gelten die Windfarmen doch als eines der wenigen echten Zukunftsinvestments, das zudem noch langfristig stabile Renditen erwirtschaften wird.

Nach den Schuldigen für die Misere muss man denn auch nicht lange suchen - zumindest wenn man den Konzernlenkern im Energiesektor folgt. Gebetsmühlenhaft Verweisen EnBW-Chef Villis und seine Vorstandskollegen von Eon und RWE, Johannes Teyssen und Jürgen Großmann, auf die Auswirkungen des im Juni hektisch beschlossenen Atomausstiegs. Immerhin brachten die längst abgeschriebenen Meiler den Konzernen bisher Gewinne von bis zu einer Million Euro pro Tag. Das Geld fällt nun weg. Geblieben ist aber die sogenannte Brennelementesteuer - die allein die EnBW trotz Atomausstiegs derzeit mit Millionen monatlich belastet.

Die Nach-Atom-Ära wird zur Stolperstrecke

Allerdings sind nicht nur politische Weichenstellungen für die derzeitige Lage verantwortlich. Wie bei Eon und RWE haben auch bei der EnBW konzerninterne Entscheidungen dazu geführt, dass der Start in die Nach-Atomkraft-Ära nun zur Stolperstrecke wird. Viel zu lange hat sich das Unternehmen auf seine angestammten Geschäftsfelder konzentriert und den Ausbau von Zukunftsprojekten vernachlässigt. "Atom- und Kohlekraft haben bis zuletzt auf der Agenda des Konzerns ganz oben gestanden", sagt Andreas Löschel, Energie- und Umweltexperte am Mannheimer Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Die Zahlen belegen das: Noch in den Jahren 2008 und 2009 investierte die EnBW massiv in Kohlekraftwerke, die sie dem Konkurrenten Eon abkaufte. Ende 2008 - also fast acht Jahre nachdem sich die damalige rot-grüne Bundesregierung mit der Industrie auf den Atomausstieg verständigte - kam der EnBW-Strom immer noch zu 99,4 Prozent aus herkömmlichen Kraftwerken, die traditionelle Wasserkraft mit eingerechnet. Anders ausgedrückt: Nennenswerte Investitionen in Windräder, Solar- und Biomassekraftwerke fanden über fast ein Jahrzehnt nicht statt.

Schon damals sei diese Strategie als "sehr riskant" wahrgenommen worden, sagt Energiefachmann Löschel. Die "nur sehr milden" Bestrebungen, sich der Zukunftsthemen anzunehmen, legten den Verdacht nahe, dass der Konzern den selbst ausgehandelten Ausstiegsbeschluss "nie wirklich ernstgenommen" habe.

Keine Punkte auf Zukunftsfeld

Nach Fukushima erhält die EnBW jetzt die Quittung dafür. Zumal es dem Ende 2007 angetretenen Konzernchef Villis bisher nicht gelungen ist, auf einem weiteren Zukunftsfeld zu punkten. Bei seinem Versuch, sich Zugang zu langfristigen Gaslieferverträgen zu verschaffen, verrannte sich Villis in den Jahren 2008 und 2009 im milliardenschweren Teilkauf des Versorgers EWE, ohne jedoch das Gasgeschäft nennenswert weiterentwickeln zu können.

Trotz eines neuerlichen Flirts mit der russischen Gasfirma Novatek kann die EnBW heiß ersehnte neue Gaskraftwerke bis heute nicht bauen, weil ihr schlicht günstiger Brennstoff zum befeuern der Anlagen fehlt. Experten wie Ulrich Fahl, Energiewirtschaftler am Stuttgarter Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER), halten Villis' Gasstrategie nach wie vor für "gescheitert".

Was bleibt also, wenn die Atomkraft als Geldquelle auf absehbare Zeit ganz wegfällt und neue Gaskraftwerke derzeit nicht realisiert werden können? Das Problem: Auch Kohle ist nach Ansicht von Fachleuten keine Alternative mehr. Experten wie Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Berliner Forschungsinstitut DIW, halten den Neubau von Kohlemeilern generell für nicht mehr zeitgemäß. Für die EnBW, die aktuell zehn große Kohlekraftwerke besitzt, könnten die Meiler sogar zur Belastung werden. Ab 2013 werden die Stromerzeuger für die Freisetzung von CO2 nämlich zur Kasse gebeten. Die CO2-intensiven Kohleblöcke werden dann deutlich unrentabler.

Keine Entspannung in Sicht

Entspannung ist also nicht in Sicht. Auch nicht für die Steuerzahler in Baden-Württemberg. Denn seit der ehemalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) im Dezember vergangenen Jahres in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bei der EnBW eingestiegen ist, sind sie in Sachen EnBW mit im Boot. Der Grund: Mappus finanzierte seine 45-Prozent-Beteiligung, die mittlerweile auf gut 46,5 Prozent angewachsen ist, auf Pump. Die nötigen Zinsen für die Kredite sollten aus den Dividenden der erworbenen EnBW-Aktien fließen, das Geschäft so zum großen Deal werden. Mittlerweile glaubt allerdings niemand mehr daran, dass dieser Plan in den kommenden Jahren aufgehen könnte. Die neue Landesregierung spricht nun von Kosten von bis zu 100 Millionen Euro, die die EnBW dem Landeshaushalt und damit den Steuerzahlern jährlich bescheren wird. Für das Land wird der einstige Vorzeigekonzern zur Last.

Einer Kapitalerhöhung, die neues Geld in die EnBW-Kassen spülen könnte, hat die Politik eine Absage erteilt. Bei der EnBW gebe es "erheblichen Veränderungsbedarf", er spüre aber keine Begeisterung, "noch mehr ins Risiko zu gehen", bügelte Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) entsprechende Überlegungen von Konzernchef Villis jüngst brüsk ab. Der steht nun also vor dem Problem, einen Konzern, dessen Ertragskraft rapide verfällt, im Eiltempo umbauen zu müssen. Vonseiten der Anteilseigner wird er wohl auf wenig finanzielle Unterstützung hoffen können. Fachmann Fahl sagt: "Die EnBW steckt in einer Zwickmühle." Im Konzern sei nichts in Sicht, was die stillgelegten Meiler ersetzen könne.