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Fragwürdige Beratung für den Regierungschef: Gleiss Lutz muss EnBW-Deal erklären.

Stuttgart - Wer die Werbung der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz liest, der spürt mit jedem Blättern, dass es sich nicht um eine Firma aus Kleinkleckersdorf, sondern um eine „der anerkannt führenden, international tätigen Anwaltskanzleien Deutschlands“ handelt, wie sich das Unternehmen selbst beschreibt. 290 Anwälte sind weltweit aktiv. Und es mangelt nicht an Selbstvertrauen und Superlativen. „Exzellenz ist unser Anspruch, Mandant und Mandat sind unsere Passion“, lautet ein Slogan. Oder: „Wir bürgen für herausragende Beratungsqualität.“ Zumindest die alte Landesregierung wird letztere Selbsteinschätzung seit dem sogenannten EnBW-Deal bestreiten.

Jahrelang war Gleiss Lutz sozusagen die Haus- und Hofkanzlei des Landes. Da lag es nahe, dass sich der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) im Herbst 2010 für die renommierte Adresse entschied, als es darum ging, in einer Geheimaktion unter dem Decknamen „Olympia“ den Landesanteil an der Energie Baden-Württemberg (EnBW) vom französischen Staatskonzern EdF zurückzukaufen. Nun aber, da der Untersuchungsausschuss des Landtags das Fünf-Milliarden-Geschäft aufarbeitet, wird der Druck auf die Kanzlei immer größer. An diesem Freitag müssen die Top-Anwälte der Kanzlei um ihren Vormann Martin Schockenhoff in den Zeugenstand und erklären, warum sie am 30. November 2010 zu der Einschätzung kamen, Mappus könne das Geschäft ohne Beteiligung des Landtags durchziehen. Es war bekanntlich eine fatale Fehleinschätzung. Denn der Staatsgerichtshof des Landes verurteilte Monate später diesen Vorgang als Verfassungsbruch.

„Wir müssen nur darauf achten, dass der Finanzminister zuvor zustimmen muss.“

Dabei war die Botschaft von Schockenhoff am 30. November – zusammengefasst in einer E-Mail, gesendet um 14.51 Uhr – unmissverständlich gewesen. „Unsere Verfassungsrechtler haben den telefonisch besprochenen Weg abgesegnet“, teilte Schockenhoff seinen Verhandlungspartnern mit. Man werde den Fall über Paragraf 81 der Landesverfassung lösen. Das ist jener Paragraf, der eigentlich für außerplanmäßige Ausgaben des Landes wie Naturkatastrophen reserviert ist, bei denen Geld schnell fließen muss, und der nur vom Finanzminister aktiviert werden darf. Das Problem: In diesem Fall gab es erstens kein Hochwasser, zweitens wusste der damalige Finanzminister Willi Stächele erst einmal nichts davon. Und so schrieb Schockenhoff in seiner Mail an die Beteiligten des Deals auch folgenden Satz: „Wir müssen nur darauf achten, dass der Finanzminister zuvor zustimmen muss. Wann er informiert wird, muss Herr M. entscheiden.“

Herr M., das ist Mappus. Der hatte für das Geheimgeschäft nicht nur Gleiss Lutz, sondern auch seinen Freund Dirk Notheis, Deutschlandchef der Investmentbank Morgan Stanley, engagiert. Tagelang hatten sie über die Abläufe für den Kauf gebrütet, hatten Hunderte E-Mails hin- und hergeschickt, standen wegen des Kaufvertrags ständig in Kontakt mit den Anwälten der EdF in Paris. Und es war Mappus, der wiederholt die Experten von Gleiss Lutz fragte, ob das Mammutgeschäft nicht den Parlamentsvorbehalt brauche, also die vorherige Zustimmung des Landtags. Offenbar sahen das auch Schockenhoff und seine Kollegen so. In einer Mail vom 29. November schrieb er um 9.48 Uhr an Banker Notheis: „Grundsätzlich brauchen wir die Zustimmung des großen Gremiums“, sprich: des Landtags. Der Deal ohne das Parlament sei wohl nur möglich, wenn „ein konkreter, akut drohender Einstieg eines gefährlichen Aktionärs zu vermeiden“ sei. „Hier aber liegt kein solcher Ausnahmefall vor“, meinte Schockenhoff. Um 15.04 Uhr am selben Tag folgte ein weiteres Memo mit ähnlichem Inhalt – und dem vielsagenden Zusatz: „Die vorstehenden Ausführungen sind in einem äußerst engen Rahmen und unter erheblichem Zeitdruck entstanden. Sie können nur als erste Einschätzung verstanden werden.“

Der Druck auf Gleiss Lutz wächst

Was aber passierte in den Stunden bis zum nächsten Tag, als Gleiss Lutz plötzlich grünes Licht für den Deal gab? „Das ist das große Rätsel, das wir am Freitag versuchen müssen zu lösen“, heißt aus dem Untersuchungsausschuss. Bekanntlich hatten Mappus, Notheis und auch der damals spät informierte Finanzminister Stächele in ihren Zeugenvernehmungen wiederholt betont, Gleiss Lutz habe nach dem 30. November und bis zum Vertragsabschluss am 6. Dezember nie mehr die Verfassungsproblematik angesprochen, sondern stets betont, der Weg ohne Landtag sei gangbar. Nach Recherchen unserer Zeitung gibt es in den Unterlagen zum Geheimgeschäft auch keinen Beleg dafür, dass Mappus oder Notheis in jenen Tagen Druck auf die Anwälte ausgeübt hätten. Erfahrene Juristen halten es deshalb für undenkbar, dass Schockenhoff und Co. vor dem Untersuchungsausschuss behaupten werden, sie hätten unter Zwang gehandelt. „So etwas macht man nicht, dann ist die Kanzlei fertig“, sagt ein erfahrener Verteidiger.

So wächst der Druck auf Gleiss Lutz, sich zu erklären. Schon jetzt wird in der deutschen Anwaltsszene immer lauter über das Krisenmanagement der renommierten Kanzlei diskutiert. „Die hätten sich von Anfang hin hinstellen müssen und sagen: Wir haben uns geirrt. Aber ich frage mich, wie sie aus dieser Nummer jetzt noch rauskommen wollen“, meint ein renommierter Jurist. Vor diesem Hintergrund dürfte sich denn auch die Freude über das Honorar relativieren. Gleiss Lutz erhielt nach Informationen unserer Zeitung 450 Euro pro Stunde – was sich für den gesamten EnBW-Deal auf satte 2,7 Millionen Euro summierte.