Schon jetzt hat das Land für den Konzern bis zu einer Milliarde Euro in den Sand gesetzt.
 

Stuttgart - Anfang Dezember ist das Land für 4,7 Milliarden Euro beim Energieversorger EnBW eingestiegen. Auf eine vierköpfige Familie entfallen davon rechnerisch gut 1700 Euro. Doch wie gut ist das Geld eigentlich angelegt?

Es sei "absoluter Quatsch", über den Wert der Landesbeteiligung am Energieversorger EnBW zu diskutieren, erklärte Ministerpräsident Stefan Mappus. Wer die Entwicklung der Börsen beobachtet, kann dennoch Hinweise zu der Frage finden, was aus den 4,7 Milliarden Euro geworden ist, für die Mappus aus dem Land einen EnBW-Großaktionär gemacht hat.

Der Blick auf die Entwicklung der EnBW-Aktie wirkt auf den ersten Blick beruhigend. Während die Kurse der Konkurrenten Eon und RWE wegen der Debatte um die Laufzeit von Atomkraftwerken eingebrochen sind, ist das EnBW-Papier satt im Plus. Gegenüber dem 3. Dezember 2010, dem letzten Börsentag vor der Ankündigung des EnBW-Einstiegs, ist die Aktie um 17,2 Prozent gestiegen. Anders die Konkurrenten: Eon verlor seither 5,9 Prozent, die RWE steht mit 10,7 Prozent im Minus. Wer die Börsenkurse studiert, könnte geradezu auf die Idee kommen, der Atomkonzern EnBW habe die Abschaltung zweier Meiler unbeschadet überstanden.

Preismechanismus außer Kraft gesetzt

Dem ist aber nicht so. Der Börsenkurs der EnBW hat seit Bekanntwerden des Einstiegs keine Aussagekraft mehr. Denn das Land muss aus börsenrechtlichen Gründen allen anderen Aktionären anbieten, deren Papiere zu kaufen - zu einem festen Preis von 41,50 Euro. Sehr zur Freude der Anleger: Am 3. Dezember 2010 notierte die Aktie bei 35,26 Euro, am nächsten Börsentag, dem 6. Dezember, sprang sie auf 41,50 Euro - ein Plus von 17,7 Prozent. Das ist kein Zufall: Weil das Land diesen Preis bietet, muss kein Anleger sein Papier für weniger verkaufen. Somit kann auch der Börsenkurs allenfalls geringfügig unter die 41,50 Euro fallen.

Weil der Kurs künstlich hoch gehalten wird, bietet der Börsenkurs der EnBW keinen Anhaltspunkt für die Frage, wie viel das 4,7 Milliarden teure Aktienpaket des Landes heute wert ist. Dennoch lassen sich den Börsen Informationen entnehmen, die für eine Einschätzung nützlich sind. Denn mit RWE und Eon sind zwei weitere deutsche Energiekonzerne notiert, die ebenfalls von der ausgesetzten Laufzeitverlängerung betroffen sind - und für die kein Übernahmeangebot läuft. Unterstellt man, dass sich die EnBW-Aktie ohne den künstlich hoch gehaltenen Kurs ähnlich entwickelt hätte wie diese Vergleichsunternehmen, hat man eine Orientierung für die Frage, wie viel die EnBW-Aktien des Landes heute wert sind.

Sowohl Eon als auch RWE haben in der Zeit, in der bei der EnBW der Preismechanismus außer Kraft gesetzt wurde, massiv an Wert verloren - vor allem wegen der Atomkatastrophe in Japan. Der Börsenwert der beiden Unternehmen sank. Berücksichtigt man die unterschiedliche Marktkapitalisierung, haben die beiden Konzerne seit dem Tag vor dem Einstieg des Landes bei der EnBW nach Berechnungen unserer Zeitung 8,6 Prozent an Wert verloren. Unterstellt man, dass die EnBW-Aktie unter normalen Marktbedingungen den gleichen Kursverlust erlitten hätte, stünde sie heute bei 32,23 Euro. Dann aber sind die 112,5 Millionen Aktien, die das Land dem französischen EdF-Konzern abgekauft hat, nicht mehr 4,67 Milliarden wert, sondern nur noch 3,63 Milliarden Euro. In diesem Fall hat das Land einen Kursverlust von 1,04 Milliarden Millionen Euro erlitten.

Risiken für den Steuerzahler

Um das Aktienpaket zu bekommen, hat das Land der EdF allerdings wie üblich mehr Geld geboten als den aktuellen Aktienkurs. Es bezahlt einen Aufschlag von mehren Hundert Millionen Euro. Diese Mehrkosten, die nichts mit der Kursentwicklung zu tun haben, lassen sich ausklammern, indem der Vergleich der drei Unternehmen erst nach dem Kurssprung beginnt, der auf diesen Zuschlag zurückzuführen ist. Weil dann ein Teil der Kosten nicht mehr berücksichtigt wird, sieht die Rechnung für das Land günstiger aus. Allerdings ist der rechnerische Kursverlust auch dann noch beträchtlich. Der errechnete Kurs der EnBW-Aktie läge dann bei 38,06 Euro - das sind immer noch 3,44 Euro weniger pro Aktie als der Kaufpreis. Bei 112,5 Millionen Aktien entspricht das einem Kursverlust von 387 Millionen Euro. Auf eine vierköpfige Familie entfallen davon rechnerisch 145 Euro.

Im günstigeren Fall hat die Anleihe somit knapp 400 Millionen an Wert eingebüßt, im ungünstigeren knapp eine Milliarde Euro.

Die schlechte Lage der Energiekonzerne belastet das Land aber nicht nur wegen der Wertentwicklung des Aktienpakets. Sie führt vielmehr dazu, dass auch das Übernahmeangebot selbst ein schlechtes Geschäft für das Land ist. Viele freie Anleger, aber auch eine ganze Reihe von Stadtwerken haben sich seit den Ereignissen in Japan entschlossen, das Übernahmeangebot zu nutzen und dem Land Aktien zum festgelegten Preis von 41,50 Euro anzudienen. Sie sind offenbar der Ansicht, dass das Land für die Aktie mehr bietet, als sie wert ist. Bis Donnerstag um 18 Uhr - dem letzten Veröffentlichungstermin bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe - wurden dem Land bereits 4,28 Millionen Aktien angeboten, die das Land auch kaufen muss. Das kostet 178 Millionen Euro. Unterstellt man auch hier den günstigeren Wert von 38,06 Euro, zahlt das Land für jede Aktie ebenfalls 3,44 Euro zu viel - was weitere Verluste von 14,7 Millionen Euro summiert. Bei der ungünstigeren Variante sind bereits Verluste von 39,7 Millionen aufgelaufen, die sich bis zum Ende der Annahmefrist auch erhöhen können.

Besonders wichtig für das Land ist die künftige Ertragskraft der EnBW. Denn Mappus finanziert den Kauf durch eine Anleihe, für die das Land pro Jahr rund hundert Millionen Euro Zinsen zahlen muss. Dieses Geld will es durch die Dividende aus den EnBW-Aktien aufbringen - und dabei sogar Gewinn machen. Bereits im Februar kündigte EnBW-Chef Hans-Peter Villis allerdings einen Gewinnrückgang um 15 Prozent an.

Risiken für den Steuerzahler

Seither haben sich die Perspektiven weiter eingetrübt - denn nach der Katastrophe in Japan ist das Atomkraftwerk Neckarwestheim I ganz und Philippsburg I zeitweise abgeschaltet worden. Dies könnte dazu führen, dass der Gewinn noch geringer ausfällt als ohnehin erwartet - und dem Land somit weniger Dividende zur Bedienung der Schulden zur Verfügung steht. Reicht die Dividende nicht aus, muss der Steuerzahler einspringen.

Um das zu verhindern, könnte das Land versucht sein, eine überhöhte Dividende aus der EnBW herauszudrücken. Das hilft aber nur kurzfristig, denn die EnBW leidet ihrerseits unter hohen Schulden und benötigt wegen der hohen Investitionen in erneuerbare Energien eher mehr Geld als weniger. Mit Standard & Poor's hat eine große Ratingagentur die Perspektiven für die Kreditwürdigkeit der EnBW als "negativ" bewertet. Verschlechtert sich die Finanzlage weiter, sinkt das Rating, was die Finanzierungskosten massiv erhöht und die Ertragslage weiter beeinträchtigt. Damit aber sinkt auch die Fähigkeit der EnBW, Dividende zu zahlen.

Seit dem Einstieg des Landes sind die Geschäftsrisiken der EnBW auch die des Steuerzahlers. Und diese Risiken sind in der Zwischenzeit deutlich größer geworden.