Heidi und Heinz Hummler vor einem noch dreistöckigen Wohnblock der SWSG an der Walter-Sigel-Straße. Foto: Chris Lederer

Die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft möchte an der Walter-Sigel-Straße 66 Wohnungen sanieren und 17 neue bauen lassen – das erfreut nicht alle Mieter.

Stammheim - Wir sind entsetzt“, sagt Heidi Hummler. Sie und ihr Mann Heinz leben seit 40 Jahren an der Walter-Sigel-Straße 14 – einem Wohnblock der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG). Der Bau soll saniert werden, zusammen mit den Gebäuden mit den Nummern 10 bis 22. Insgesamt sollen 66 Wohnungen modernisiert und die Häuser aufgestockt werden; auf diese Weise entstehen 17 neue Wohnungen.

Ihren Unmut über die Bauarbeiten für die neuen Wohnungen bringen die Hummlers in einem Brief an den SWSG-Vorstand zum Ausdruck: „Bei den über ein Jahr (!) dauernden Bauarbeiten innerhalb und außerhalb der Häuser sowie dem Bau neuer Wohnungen auf unseren Dächern werden von Ihnen leider die unerträglichen Zumutungen und die Verminderung der Wohn- und Lebensqualität der Bewohner durch Lärm, Dreck und Staub in dieser Zeit so gut wie nicht erwähnt“, heißt es in dem Brief. „Monatelanger Baulärm und Staub, monatelanges Verbot den Balkon zu betreten, wochenlang nicht ins Bad oder in die Toilette zu können, abgestellte Wasserleitungen, Lärm, welcher hauptsächlich nicht von den energetischen Maßnahmen, sondern von Ihren Ausbauvorhaben kommt, und vieles mehr sind nicht nur Unannehmlichkeiten sondern massive Beeinträchtigungen der Lebensqualität der Mieter.“ Die Modernisierung der Bestandsgebäude sei im Grunde positiv und längst überfällig, aber die geplante Aufstockung sei mehr als ärgerlich.

Toiletten werden vorübergehend in den Hof verlagert

Im Detail stört die Eheleute, dass sie ihren Balkon, ihr Bad und teilweise ihren Keller räumen müssen. „Wir und viele Nachbarn haben Möbel und Pflanzkübel auf dem Balkon und ein Kanu und andere Geräte im Keller – wir wissen gar nicht, wohin wir die stellen sollen“, sagt Heinz Hummler. Die SWSG habe kein Alternativlager angeboten. Auch stört die beiden 80- und 81-Jährigen, dass Toiletten und Duschen in den Hof verlagert werden sollen. „Es geht nicht um uns, es gibt in der Nachbarschaft Familien mit vielen Kindern, es gibt Kranke und andere ältere Bewohner.“

Auch empört die Hummlers der Verlust des Dachbodens als Abstellfläche und Trockenraum. „Wo sollen wir künftig unsere Wäsche aufhängen, laut Mietvertrag haben wir Anspruch auf einen Trockenboden.“ Nach der Hausordnung sei das Wäschetrocknen auf dem Balkon und in der Wohnung untersagt. Ein weiteres Ärgernis: Über die anstehenden Bauarbeiten seien sie und ihre Nachbarn erst am 10. Januar informiert worden. Das sei zu kurzfristig. „Bei so einem umfangreichen Verfahren hätte man uns schon früher Bescheid geben können“, sagt Heidi Hummler.

Im Anschreiben der SWSG würde zwar auf die Mieterhöhungen hingewiesen, die nach der Modernisierung anstehen, von einem finanziellen Ausgleich während der Bauzeit sei nirgends die Rede. Ein weiterer wichtiger Punkt ist für die Hummlers die Frage,wie mit den Schadstoffen umgegangen wird: In den Wohnungen seien asbesthaltige Eternit-Platten verbaut. „Wir erwarten deshalb auf jeden Fall, dass nach Fertigstellung der Bäder eine Asbest-Freimessung vorgenommen wird.“

Die Nachbarn sammeln Unterschriften

Mit ihrem Ärger stünden sie nicht alleine da. „Unsere Nachbarn haben eine Unterschriftenliste gestartet, sie fordern einen Mietnachlass und dass die Ersatzduschen und -toiletten nicht im Außenbereich aufgestellt werden“, sagt Heinz Hummler. „Meine Frau hat ein ärztliches Attest, dass sie während der Bauzeit nicht in der Wohnung wohnen kann – es geht uns aber um eine Regelung für alle Bewohner, nicht nur um uns.“

Der SWSG-Geschäftsführer Wilfried Wendel sieht die Aufstockung der Gebäude um eine vierte Etage als „intelligente Verdichtung der vorhandenen Wohnbebauung“. Die SWSG habe sich bei dem Vorhaben von der Idee leiten lassen, ohne Grundstücksverbrauch neuen Wohnraum zu schaffen. „Wir setzen damit um, was das Wohnungsbaukonzept der Landeshauptstadt vorgibt: Neubau-Quadratmeter ohne Zersiedelung.“ Obendrein sollen durch die Sanierung der Bestandsgebäude Heizkosten gesenkt und der Komfort der Wohnungen erhöht werden. Die Ankündigung der Arbeiten sei mit drei Monaten Vorlauf rechtzeitig geschehen.

„Die Hausbewohner werden bis zur Fertigstellung im Frühjahr 2015 zwar Unannehmlichkeiten haben“, sagt Jan Böhme, der Leiter des SWSG-Kundencenters Nord. „Allerdings vermindert die SWSG diese nach Kräften.“ Das fange beim Ausräumen der Bäder an. Wo Hilfe benötigt werde, zum Beispiel bei Senioren oder alleinerziehenden Müttern, organisiere die SWSG Unterstützung. Gleiches gelte für die Räumung der Balkone. Was dort stehe, müsse übergangsweise eingelagert werden, etwa in den Kellerräumen der Mieter. Nicht zu vermeiden sei der Wegfall der Lager- und Trockenfläche auf dem Dachboden. Anders lasse sich die Aufstockung der Häuser nicht verwirklichen. „Hierzu sucht die SWSG eine einvernehmliche Lösung mit den Mietern“, heißt es in einer Stellungnahme. Älteren Bewohnern werde das SWSG-Sozialmanagement helfen, etwa wenn es um einen Platz in einer Kurzzeit-Pflegeeinrichtung während der heißen Bauphase gehe. In Notfällen – zum Beispiel bei Schichtarbeitern – die tagsüber auf Ruhe angewiesen seien, will die SWSG mit den Betroffenen „individuelle Lösungen“ finden. Damit Schüler während der Bauphase ungestört lernen könnten, werde ein Hausaufgabenraum eingerichtet.

SWSG will Miete während Modernisierung mindern

Für die Bewohner, deren Bad erneuert wird, stelle die SWSG als „besonderen und freiwilligen Service“ Badcontainer zur Verfügung. Sie würden regelmäßig gereinigt und gewartet. Die Bäder würden von Mitte April bis Ende Juni hausweise komplett erneuert. Die SWSG plant dafür pro Wohnung gut drei Wochen ein. Alle Bäder auf einmal zu sanieren, scheitere an der Kapazität der Handwerker. Der Austausch der Abwasserrohre, die mit Asbest versetzt sind, erfolge durch eine Spezialfirma. „Zur Sicherheit – das aber freiwillig – lässt die SWSG die Luft nach dem Ausbau der Rohre testen.“ Auch die Fassadenteile müssten fachgerecht entsorgt werden. Für alle Mieter der Walter-Sigel-Straße gelte: „Die SWSG mindert die Mieten während der Modernisierungsphase“, heißt es in der Stellungnahme. „Mit dieser Zusage kommt sie den Mietern sehr entgegen: Energetische Maßnahmen begründen nach neuer Gesetzlage keine Mietminderung.“