Stuttgart 21 gilt als Paradebeispiel für eine immense Kostenexplosion. Im Bild eine der Kelchstützen, welche die neue Bahnhofshülle tragen sollen. Foto: Arnim Kilgus

Eine sehenswerte zweiteilige TV-Doku untersucht, warum in Deutschland Megabauvorhaben häufig aus dem Ruder laufen. Stuttgart 21 ist eines der Anschauungsbeispiele.

Stuttgart - Vor der Hacke ist es dunkel, sagen der Bergmann und der Tiefbauer. Wer in der Erde wühlt, weiß nie genau, was ihn erwartet. Das bewahrheitet sich vor allem dann, wenn es um deutsche Großprojekte geht, stümperhaft geplant wird und ahnungslose wie überoptimistische Beteiligte mit im Spiel sind. Noch nie sei er derart euphorisierten Politikern begegnet, die beseelt waren von dem Gedanken, „etwas mit babylonischen Ausmaßen“ zu schaffen, sagt der Journalist Arno Luik, der das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 seit seinen Anfängen kritisch begleitet. Atemberaubende Ausmaße nehmen inzwischen auch die Kosten an. 2,6 Milliarden Euro lautete 1995 die Prognose, aktuell liegen die Schätzungen bei 8,2 Milliarden.

Erst planen, dann bauen

Die Stuttgarter können sich trösten, sie stehen mit dem Baufiasko nicht allein da. Die Ingenieurnation Deutschland hat noch mehr solcher Super-GAUs zu bieten, bei denen Kosten- und Zeitpläne entgleist sind: die Elbphilharmonie in Hamburg, der Berliner Großflughafen, der in wenigen Tagen endlich eröffnet wird. Warum aber scheitern so viele deutsche Großprojekte? Die Filmemacherin Milena Schwoge widmet Stuttgart 21 in der ersten Folge ihrer zweiteiligen Doku „Murks in Germany“ (ZDF Info, 23. Oktober, 20.15 Uhr) auch deshalb viel Raum, weil sich an dem Vorhaben viel Allgemeingültiges ablesen lässt.

Ob Anhydrit-Gestein, Zauneidechse oder eine neue Dimension des Bürgerprotests wie bei S 21, ob ein abgesunkenes Gleisbett, wie bei der Rheintalbahn in Rastatt, oder die Tücken des Baurechts: Es gibt vieles, was ein Großprojekt ausbremsen kann. Fehler in der Planung haben in der Bauphase verheerende Folgen. Ebenso ein Risikofaktor: der „typische Optimismus“ von Politikern, weil er dazu führe, Kosten und Bauzeit zu unter- und den Nutzen des Projekts zu überschätzen, so Bent Flyvbjerg, Experte für Großprojekte an der Oxford University. Der Abbau von Kompetenz in den Bauverwaltungen, die Unterbietungspraxis der Baufirmen, die Missachtung des simplen Grundsatzes „Erst planen, dann bauen“ – die Autorin betreibt mithilfe von Interviewpartnern wie der Präsidentin der Berliner Architektenkammer, Christine Edmaier, oder dem leitenden Gotthardtunnel-Ingenieur Heinz Ehrbar aufschlussreich Ursachenforschung.

Viel langsamer als die Schweizer

Bitter für die Deutschen, dass sie sich von einem Schweizer sagen lassen müssen, dass sie bei solchen Projekten „ein Drittel langsamer“ seien als die Eidgenossen. Beleidigtsein führt aber nicht weiter, stattdessen hilft gerade der Blick ins Ausland. Der zweite Teil der Doku (21.00 Uhr) nimmt die Ursachenfaktoren „Planungschaos, Bürgerproteste, Umweltschutz“ unter die Lupe und zeigt Lösungen auf – in Großbritannien gibt es zum Beispiel ein zentrales Kompetenzzentrum für Großprojekte.