Sportdirektor Sven Mislintat jubelt nach dem 2:3 für den VfB Stuttgart. Foto: Bauma/n

Sportdirektor Sven Mislintat gibt an der Seitenlinie den emotionalen Anführer des VfB Stuttgart – und sagt, dass diese Emotionen zu ihm und dem Club gehören.

Stuttgart - Sven Mislintat war kein Weg zu weit. Als das Stadion bebte am Samstag um zwanzig nach vier, da bebte der Sportdirektor des VfB mit. Vielleicht war das auch umgekehrt auf dieser emotionalen Reise im baden-württembergischen Duell mit dem SC Freiburg. Vielleicht bebte Mislintat zuerst, und die 25 000 Fans, die einen Krach für 60 000 machten, bebten mit. Man weiß das in der Rückschau nicht so genau.

 

Binnen weniger Minuten hatte der VfB Stuttgart kurz vor der Pause also von 0:3 auf 2:3 verkürzt. Mislintat dagegen verlängerte da seine Strecke unten vor der VfB-Bank. Er rannte jubelnd, schreiend und wild fuchtelnd durch in Richtung der Position auf Linksaußen, wo er irgendwann beim nicht minder ekstatischen Teammanager Günther Schäfer ankam – und den Meisterverteidiger von 1992 auch noch drückte und packte.

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Es hätte dann vielleicht nicht mehr viel gefehlt und Mislintat wäre direkt in die Cannstatter Kurve durchgesprintet, vielleicht hätte er bei diesem wilden Punkkonzert der Emotionen kurz vor der Pause sogar den Diver in die Kurve gemacht – aber es war dann ja schnell Halbzeit. Weshalb Mislinat sofort wieder am Spielfeldrand auf Höhe der Mittellinie gefordert war – wo er noch jeden VfB-Profi mit mutmachenden Kommandos und wilden Gesten in die Kabine schickte und so den Takt für die zweite Hälfte vorgab.

Keine Frage: Der emotionale Leader, der emotionale Anführer also, der stand am Samstag aufseiten des VfB nicht auf dem Platz, er saß auf der Bank. Oder besser: Er sprang regelmäßig von dieser Bank auf. Etwa dann, als es darum ging, dem vierten Offiziellen klarzumachen, wenn der Schiedsrichter aus Stuttgarter Sicht einen schönen Mist zusammengepfiffen hat (was übrigens nicht oft vorkam). Oder als sich der VfB eine Torchance erspielt hatte, was der Mann mit der langen blonden Mähne oft so abfeierte wie einen Torerfolg: Mit geballter Faust oder der Säge – ein gewisser Stefan Kuntz hätte das früher nicht besser aufführen können.

Große Ähnlichkeit zum Dortmunder Meistertrainer

Mislintat war auch auf 180 (oder eher: auf 190), als der SC-Stürmer Lucas Höler in der Nachspielzeit mit einem Krampf am Boden lag, von dem nicht viele Stuttgarter glaubten, dass der ganz echt war. Mislintat also sprang auf und klatschte höhnischen Beifall in Richtung der Bank des Sportclubs. Es ging nicht lange, da beschwerte sich der Freiburger Co-Trainer Florian Bruns beim vierten Offiziellen über den Gruß zum Schluss.

Ein bisschen erinnerte Mislintat am Samstag an einen früheren Weggefährten zu seinen Zeiten bei Borussia Dortmund. Mislintat gab an der Linie den Jürgen Klopp in Reinform: optisch zumindest ein bisschen (Drei-bis-Fünftagebart, legere sportliche Klamotten, Turnschuhe, blonde Haare). Und emotional komplett, siehe oben. Vielleicht ist Sven Mislintat ja während der 90 Minuten so etwas wie der Jürgen Klopp der Bundesliga-Sportdirektoren, man würde ihn da selbst womöglich nicht widersprechen hören.

Emotionale Geisterspiele

Eine Stunde nach dem Schlusspfiff dann kam Mislintat aus den Katakomben der Arena. Krach machten da nur noch die Kehrmaschinen unter den Tribünen, die die Bierbecher, Pommestüten und den anderen Müll der Zuschauer vom Asphalt fegten, auch das ist jetzt wieder so ein neues, altes Geräusch nach der Zeit ohne Fans. Mislintat jedenfalls war da wieder auf Normaltemperatur – und sprach bei seinem Kehraus des Tages offen über seinen emotionalen Auftritt.

Auf die Frage, ob er sich denn ein bisschen habe mitreißen lassen vom neuen, alten Krach von den Rängen, da musste der Sportdirektor erst mal herzhaft lachen. „Also wer mich letztes Jahr bei den Geisterspielen auf der Tribüne erlebt hat, der weiß, dass ich auch da schon emotional war – mit dem Riesennachteil für mich, dass man da auch immer noch alles gehört hat“, sagte er.

„Im Ruhrgebiet wird der Fußball so gelebt“

Jetzt darf Mislintat wieder unten auf der Bank sitzen, weshalb er im Wortsinn wieder mittendrin ist statt nur oben auf der Tribüne dabei. „Ich muss sagen, dass meine Emotionen gegen Freiburg auch dem Spielverlauf geschuldet waren“, sagte er noch am Samstag. Nach dem frühen 0:3 und dem Comeback mit dem 2:3 kurz vor der Pause, da sei es extrem wichtig gewesen, viel Energie zu geben und reinzustecken, sagte Mislintat – und ergänzte mit Blick auf seine Vita dies: „Das ist aber allgemein auch meine Art, ich bin im Ruhrgebiet groß geworden, mit gefühlt 43 Traditionsclubs im näheren Umkreis – da wird der Fußball so gelebt.“

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Und da der gebürtige Dortmunder nicht nur emotional, sondern auch clever ist, spannte er den Bogen zum VfB – und wählte Worte, die ankommen dürften in der Gefühlswelt der rot-weißen Gemeinde. „Diese Emotionen gehören auch in diesen Club“ sagte Mislintat: „Ich habe unseren Teammanagern Günther Schäfer und Peter Reichert nach dem Tor zum 2:3 gegen Freiburg gesagt, dass das so war wie bei ihnen früher.“