Emeli Sandé sprang kurzfristig für den erkrankten Sting ein. Foto: Lichtgut

Beim Stuttgarter Festival Jazz Open ist die Schottin Emeli Sandé open air für den erkrankten Sting eingesprungen – und hat den Abend zu einem Ereignis gemacht.

Stuttgart - Auch an diesem Samstagabend wird Aloe Blacc wieder auf der Schlossplatzbühne stehen, im Vorprogramm von Christina Aguilera spielen. Wird sein Konzert dann jenem gleichen, das er zwei Tage zuvor dort gab, bevor Emeli Sandé die Bühne betrat? In einem Punkt mit großer Wahrscheinlichkeit nicht: Am Donnerstagabend stimmt Aloe Blacc, der Soulman, Rapper und Jazzer aus Kalifornien, kurz das Stück eines anderen Künstlers an, singt einige Takte lang „Walking on the Moon“, einen Hit der britischen Band The Police, eine Referenz an deren Sänger. Gordon Sumner, Sting, ist es, der eigentlich an diesem Abend auf der größten Bühne des Jazz Open stehen sollte.

Sting erkrankte, sagte sein Konzert erst einen Tag zuvor ab. Die Enttäuschung über das Ausbleiben des Weltstars ist groß, schlägt sich in der Anzahl der Besucher dieses Abends nieder. Früh am Abend sind es nur wenige hundert Menschen, die sich vor der Open-Air-Bühne drängen, die Tribünen bleiben nahezu leer. Später dann, als Emeli Sandé auftritt, haben sich doch deutlich mehr als 1000 Zuschauer dort versammelt, haben sich auch die Stuhlreihen etwas gefüllt. Wie viele Besucher faktisch gekommen sind, wie viele Karten nach Stings Absage zurückgegeben wurden, ob nach der Absage weitere Karten verkauft wurden – all das ist am Donnerstagabend noch nicht bekannt. Fest steht nur: Jene, die fort blieben, versäumen etwas. José James, Aloe Blacc und Emeli Sandé sind Künstler, die auf dieser Bühne bestehen können, deren Auftritte, unter günstigeren Umständen, vielleicht sogar zu den Höhepunkten des Festivals gezählt hätten.

Emeli Sandé verwandelt die Bühne

José James alleine schon, der am frühen Abend ruft: „The Sun ist coming out“ – und Recht damit hat. Bei James, geboren 1978 in Minneapolis, scheint der Soul der 1970er seine Wiederauferstehung zu feiern, musikalisch, habituell: ein Mann mit Afrofrisur, Flickenjeans und weitem Hemd, der über das ganze Gesicht lacht und Bill Withers covert – mehrmals, mit grandios dunkler, kräftiger Stimme, der „Ain’t no Sunshine“ singt und „Use me“, sich von einer Band begleiten lässt, die seinen Gesang mit schnellen Funk-Riffs alter Schule unterlegt.

Aloe Blacc dann, der lässig-elegant über die Bühne gleitet, in seinem Rücken eine reduzierte Band, besetzt nur mit Schlagzeug, Keyboard, Bass. Blacc sang für Avicii, den schwedischen DJ, der im April 2018 jung verstarb, den Hit „Wake me up“ ein, singt ihn nun nachdenklich in Stuttgart, singt auch Songs von Marvin Gaye, singt Otis Reddings „Sitting at the Dock of the Bay“ - eine stilsichere, smarte Wanderung durch die Vergangenheit.

Und schließlich Emeli Sandé, die Schottin, die vor sechs Jahren mit ihrem Debüt-Album „Our Version of the Events“ in ihrer Heimat einen sensationellen Erfolg erzielte, die nun die Veröffentlichung ihres dritten Albums „Real Life“ vorbereitet und einige Stücke aus ihm in Stuttgart vorstellt. Sandé, seit März 32 Jahre alt, erweist sich als eine Meisterin des großen Dramas, singt mit nuancenreich tremolierender Stimme, verwandelt die Bühne augenblicklich. Sie beginnt ihr Konzert mit kraftvollem R’n’B, wird begleitet von einer vorzüglichen Band: eine schmale und doch imposante Frau, die übergroß singt, im Stakkato, mit fiebernder Gestik. Nach einigen schnellen Stücken setzt Emeli Sandé sich schließlich ans Piano, erzählt mit weicherer Stimme von besonderen Gefühlen, singt Refrains, die ihren Fans Gänsehäute bringen. Dann klatscht das Publikum am Schlossplatz den Takt, während auf der Bühne die Gitarre sirrt, die Sängerin eintaucht in den tiefen Soul, die Fäden der Vergangenheit, die José James und Aloe Blacc zuvor aufgriffen, in der Gegenwart verknüpft. Ganz sicher gibt es irgendwo in Stuttgart Fans von Sting, die diesen Abend betrauern – aber für jene, die sich dem Neuen öffnen konnten, hat der Soul ihn doch gerettet.