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Wie sich Politik und ­Fußball im Fernsehen ver­mischen: als Glücksbringer für die Partys.

Stuttgart - Der eigentliche Grund, sich über das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu ärgern, ist nicht die Gebührenpflicht. Schlimm ist, was man dem Kunden für sein Geld vorsetzt. Der Kunde von ARD und ZDF kann den medialen Fast-Food-Buden ja nicht einfach entfliehen wie dem Goldenen Lamm oder dem Schwarzen Adler, wenn ihm beim Verzehr der Ware schlecht wird. Das Schweizer Fernsehen böte sich als Alternative an, aber so versnobt will man als Nichtschwarzgeldbesitzer dann doch nicht sein.

Übers Fernsehen zu schimpfen ist ein alter Sport. Inzwischen aber geht es nicht mehr um den Esprit der „Guten Abend allerseits“-Nachtwächter vom Schlag der Faßbenders und Hubertys. Die heutige Fußballberichterstattung hat eine politische Dimension. Die Fußballbericht-Bestattung, wie sie die Kalauerfraktion nennt, hat sich der politischen angeglichen. Die Kommentierungen haben jede journalistische Pflicht nach der Devise aufgegeben: „Herr Löw, äh, eine kritische Frage, besser als Ihre Mannschaft kann man nicht spielen . . .“

Gelingt dies einer anderen Mannschaft doch, hört es sich an wie bei Xabi Alonsos Kopfballtreffer zum 1:0 von Spanien gegen Frankreich: „Das hätte Mario Gomez nicht schöner machen können“ (ARD-Kommentator Tom Bartels). Bartels war im Viertelfinale ständig damit beschäftigt, die Spanier mit den Deutschen zu vergleichen. Als hätte dies einen Sinn, solange sie nicht gegeneinander spielen. Spürbar ist die Gier der Kommentatoren, sich an Erfolge ranzuschleimen, das „eigene“ Team zu hofieren. Deshalb hört das Publikum in Fußball- und Politiksendungen kaum noch etwas anderes als populistische Parolen nach dem Motto: Wir sind Europameister in allen Disziplinen. In der Wirtschaft sowieso.

Im Plattdeutsch der neuen TV-Sprache ist es mindestens „überragend“ oder „sehr, sehr gut“, wenn irgendwo ein Ball „durchgesteckt“ wird. Wie gedankenlos Politik und Fußball verquickt werden, zeigen die „Tagesthemen“ der ARD. Dem Moderator Ingo Zamperoni gelang in der Halbzeitpause des Spiels Spanien gegen Frankreich eine assoziative Meisterleistung, als er die Sendung mit dem Satz startete: „Der Treffer soll keine Absicht gewesen sein.“ Gemeint war der Abschuss eines türkischen Flugzeugs durch syrische Militärs. Wäre im Anschluss ein jubelnder Hosenanzug namens Angela Merkel von der Stadiontribüne eingeblendet worden, hätte sich keiner gewundert.

Für den Fußballliebhaber ist es schwer, bei dieser Art Berichterstattung am Ball zu bleiben. Das Problem in erster Linie sind nicht Katrin Müller-Hohensteins Kinderspäße mit Olli Kahn am Strand von Usedom. Wenn eine Moderatorin glaubt, sie müsse mit einem aufblasbaren Gummi-Baseballschläger herumspielen, hat das nichts mit dem Sexismus in „Waldis Studio“ zu tun. Dennoch erträgt der TV-Kunde aus fußballerischen Kompetenzgründen sogar Waldemar Hartmanns Herrenwitze leichter.

Ohnehin kann man auf die ganze Begleitmusik verzichten, etwa wenn Reinhold Beckmann im Duett mit Mehmet Scholl ein neues Stadion der Ukraine den Orden „Schmuckkästchen“ umhängt, als verdiene er sein Geld beim Buxtehuder Kleintierzüchterradio. Wie gesagt, solche Szenen im „Analyse“-Block der unablässig um Party- und Bierzeltstimmung bemühten Seichtheitsanstalten lassen sich ausblenden. Dank Fernbedienung muss sich sehenden Auges, egal ob Erstes oder Zweites, keiner pausenlos fragen lassen: Wollt ihr das totale Glück?

Eine Beleidigung für den wachen Fußballliebhaber sind viel mehr die Fehlleistungen, Unterlassungen und Manipulationen während der Spiele. An Zensur – nicht gezeigte politische Botschaften oder Flitzer im Stadion – haben wir uns anscheinend schon klaglos-deutsch gewöhnt, und getürkte Live-Bilder wie bei Jogi Löws Balljungen-Schubser zur Steigerung des Wohlgefühls sind wohl die Zukunft. Vollends peinlich aber wird es, wenn der ARD-Kommentator Steffen Simon lange nicht merkt, dass Italien das bessere Team im Spiel gegen England ist. Da ist einem die Londoner Zeitung „The Sun“ nach dem Aus der Engländer ein Trost: „. . . niemand kann bestreiten, dass am Ende das richtige Team gewonnen hat. Lasst uns Tennis gucken.“