„Jay Mo (vorne, mit Brille) und seine Kumpels hoffen, dass sie auch heute am späten Abend jubelnd durch den Stadttunnel ziehen können. Foto: Nicklas Santelli

Sollten „Jogis Jungs“ heute gewinnen, droht erneut der nächtliche Verkehrsinfarkt am Stuttgarter Platz in Fellbach.

Fellbach - Jetzt geht’s los! Zehntausende Fellbacher und Kernener werden heute Abend wieder auf dem heimischen Sofa, in der Clique oder beim öffentlichen Rudelgucken die Daumen drücken – auf dass „Jogis Jungs“ den nächsten Gegner, die Franzosen, aus dem Weg räumen und ins Finale einziehen. Und gegen Mitternacht verwandeln sich Stuttgarter Platz und Stadttunnel wieder zur Partyzone.

Was für Leute sind das eigentlich, die vor lauter Begeisterung kein Halten mehr kennen?

Was für Leute sind das eigentlich, die vor lauter Begeisterung kein Halten mehr kennen und sämtliche Verkehrsregeln missachten? Mitten hinein in solche Überlegungen klingelt's an der Tür der Fellbacher Zeitung. Hereinspaziert! Ein junger Mann tappt zögernd in den Flur. Er habe schon immer mal wissen wollen, wie es in einer Redaktion so aussieht, sagt er. Und da er doch als Rap-Künstler aktiv sei, habe er öfter mal eine Mail an unsere Zeitung geschickt (an die falsche Adresse, wie sich herausstellt).

Mit dem Tippen auf Tastaturen oder Handys hat der 21-jährige junge Mann derzeit allerdings offenkundig Probleme, was man nicht nur daran merkt, dass er einen mit der linken Hand begrüßt. Denn die andere Hand ist von einem Gipsverband umhüllt. Ja, wie ist das denn passiert? „Das ging ganz schnell: Als Özil das 1:0 gegen Italien geschossen hat, hab’ ich vor Freude mit der Faust auf den Boden getrommelt, da hab ich mir einen Bruch zugezogen.“

Eisenharte Fußballfans feiern beim nächtlichen Siegestaumel

Oha, ein eisenharter Fußballfan also. Außerdem, schiebt er noch nach, sei er trotz Schmerzen in der Hand dabeigewesen beim nächtlichen Siegestaumel rund um den Stuttgarter Platz.

Das lässt aufhorchen. Mitten drin statt nur dabei – vielleicht sogar ein Animateur der Massen? Volltreffer! „Stimmt!“, sagt Jay Mo („das ist mein Spitzname, den können Sie schreiben“): Er sei quasi der Erste gewesen, der zum Gang auf die Straße motiviert habe – mit der Parole „Hin-setz-en!!!“

Aber das ist doch illegal! „Ach, die Polizei war ganz gechillt und hat uns laufen lassen.“ In diesem Zusammenhang hat er aber auch noch eine Beschwerde an uns zu richten: „Euer Fotograf hat uns ja auch von vorne fotografiert, aber ihr habt nur die Aufnahme von hinten gezeigt, wie alle in den Tunnel marschieren.“

Keineswegs rein zufällig liegt gerade der Packen mit allen Fotos unseres Knipsers (fußballerisch doppeldeutig gemeint) auf dem Schreibtisch. Und tatsächlich, auf einem ist der sangesfreudige Jay Mo mit seinen Kumpels deutlich zu erkennen. „Genau das Bild hättet ihr bringen sollen“, sagt er. Nun, das lässt sich ja nachholen. „In dieser Szene“, erklärt er, „lästern wir mit unserem Tanz über die Italiener, so wie es vor zwei Jahren nach dem WM-Finale gegen die Argentinier die Nationalspieler in Berlin tun: Wie gehen die Gauchos? Die Gauchos gehen so!“ Spaß muss sein.

Kein Spaß: Die Randale mit Böllern, Feuerwerkskörpern und Angriffen gegen Polizisten

Doch die kurzzeitige Randale in jener Nacht auf dem Stuttgarter Platz, die Böller, Feuerwerkskörper und Angriffe gegen Polizisten – auch nur Spaß? „Damit haben wir überhaupt nichts zu tun“, entgegnet Jay Mo. Die anderen hätten erst mit italienischen Schimpfwörtern provoziert, einer habe die deutsche Flagge angezündet, er selbst habe genau gesehen, wie ein Polizist angegriffen wurde. „Für uns alle ist klar: Wir wollen keine Randale.“

Es sei ohnehin nur eine lose Gruppe von Kumpels vom Kappelberg „eher so aus dem Untergrund“, scherzt er, die zuhause die Spiele angucken und sich dann zum gemeinsamen Feiern treffen. Hoffentlich auch an diesem Donnerstagabend: „Ich tippe auf ein schweres 3:2, das geht bis in die Verlängerung, aber ja kein Elfmeterschießen.“ Und danach, falls sein Lieblingsspieler Leroy Sané eingewechselt werden und treffen sollte? Dann steht wohl wieder der Marsch durch den Stadttunnel an: „Wir haben uns schon eine noch bessere Choreografie überlegt“, sagt Jay Mo, „aber die verrate ich jetzt noch nicht.“ Damit dürfte feststehen: Richtig chillig wird es für die Polizei auch in dieser Nacht nicht werden.