Ein Neuling mit viel Durchschlagskraft: Der abwehrstarke Leipziger Rückraumspieler Maximilian Janke. Foto: dpa

Christian Prokop hat bei der umstrittenen Kadernominierung für die Handball-EM Mut und Konsequenz bewiesen. Jetzt muss der neue Bundestrainer mit seinem Team liefern. Die Aussichten sind durchaus gut.

Stuttgart - An diesem Donnerstag fliegt die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) zur EM nach Kroatien. Vor allem die Diskussion über die Nicht-Berücksichtigung von Europameister Finn Lemke begleitet Christian Prokop auf der Reise. Was nichts daran ändert: Der Bundestrainer hält vor dem Start an diesem Samstag (17.15 Uhr/ZDF) gegen Montenegro fünf Trümpfe in der Hand. Abwehr Die Deckung war bärenstark beim EM-Triumph 2016. Und der Turm in der Schlacht war Finn Lemke. Kein Wunder, dass die Streichung des 2,10-Meter-Mannes bei einem Teil der Öffentlichkeit einen Aufschrei der Empörung auslöste. Der frühere Welthandballer Daniel Stephan hält Prokops Maßnahme für riskant: „Das kann für ihn zum Bumerang werden.“ Auch Ex-Weltmeister-Coach Heiner Brand zeigte sich verblüfft: „Das ist sehr, sehr mutig.“

Doch hinter der Entscheidung steckt ein klarer Plan: Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Dagur Sigurdsson lässt der 39-Jährige seine 6:0-Abwehrformation deutlich aggressiver und offensiver decken. Statt Blockqualitäten sind schnelle Beine und Beweglichkeit gefragt. Deshalb hat sich Prokop für Bastian Roscheck und Maximilian Janke entschieden. Mit dem Duo lief es in den Testspielen gegen Island besser als mit Lemke. Die Abwehr stand einiges kompakter, und sie wird auch bei den Titelkämpfen in Kroatien ein großes Plus der deutschen Mannschaft sein. Dass Roscheck und Janke für Prokops ehemaligen Club SC DHfK Leipzig spielen, befeuerte die Debatte über die Nominierung. „Dem Bundestrainer jetzt vorzuwerfen, er bevorzuge Spieler aus Leipzig, ist typisch deutsch“, ärgerte sich DHB-Vizepräsident Bob Hanning. „Der Bundestrainer trifft Entscheidungen für den deutschen Handball.“ Torhüter Keine andere Nation ist auf dieser Position besser besetzt als Deutschland. Andreas Wolff und Silvio Heinevetter sind beides emotionale Alphatiere, die den Anspruch haben, die Nummer eins zu sein. Konfliktpotenzial birgt das bislang nicht. Im Gegenteil: Sie treiben sich gegenseitig zu Höchstleistungen an. Der 1,98-Meter-Koloss Wolf vernagelt sein Gehäuse durch sein überragendes Stellungsspiel, Heinevetter liegt bei seinen Paraden oft im Stile eines unerschrockenen Kung-Fu-Kämpfers quer in der Luft. Der extrovertierte Keeper von den Füchsen Berlin hat aus der Nichtnominierung bei der EM 2016 die richtigen Schlüsse gezogen, zeigt sich nach dem Denkzettel demütiger – und arbeitete noch härter an sich.

Variationsmöglichkeiten Kapitän Uwe Gensheimer spielt auf Linksaußen den Alleinunterhalter. Ansonsten kann Christian Prokop auf allen Positionen munter durchwechseln, ohne dass ein Leistungsabfall entsteht. Am Kreis hat er in Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek, Jannik Kohlbacher und Roschek die größte Auswahl. Im Rückraum gibt es keinen Superstar wie Nikola Karabatic (Frankreich), Mikkel Hansen (Dänemark), Sander Sagosen (Norwegen) oder Vuko Borozan (Montenegro). Beim deutschen Team ist der Rückraum auf hohem Niveau ausgeglichen und mit unterschiedlichen Spielertypen besetzt. Die Wechselmöglichkeiten können bei einem kräftezehrendem Turnier wie der EM vor allem in der Endphase entscheidend sein. Mentalität
Auch ohne Lemke muss sich keiner Sorgen machen: Die Bad Boys werden wieder mit heißem Herzen alles geben. An Wille, Einstellung, Aggressivität und Disziplin wird das Unternehmen Titelverteidigung nicht scheitern. Erfahrung Spieler wie Uwe Gensheimer, Patrick Groetzki, Patrick Wiencek und in den letzten drei Spielen auch Steffen Weinhold fehlten beim Titelgewinn 2016 verletzungsbedingt. Diesmal sind die vier Routiniers dabei. Andere Stammkräfte haben sich weiterentwickelt und sind reifer geworden. Paradebeispiel ist Julius Kühn. Das Rückraum-Ass von der MT Melsungen ist längst kein reiner Shooter mehr. Er sucht Eins-gegen-eins-Situationen und zeigt gute Kreisanspiele. Die ganze Mannschaft hat die Erfahrung, auch unter Druck enge Spiele gewinnen zu können. Das gibt Selbstvertrauen und ein gutes Gefühl für die EM – trotz der heißen Diskussionen über die Kadernominierung.