Viele Jugendliche haben gerade keine Lust auf Schule. Foto: photophonie - stock.adobe.com

Keine Lust auf Schule: Heute fragt Stefan G. im Elternratgeber, was er tun kann, damit sein 15-jähriger Sohn wieder in die Schule geht. Eine Erziehungsexpertin gibt hilfreiche Tipps. 

Stuttgart. - Auch Familie G. hat Omikron erwischt. Erst die Eltern, dann die Söhne – fast zwei Wochen saß die Familie daheim in Quarantäne. Doch als der Weg in den Alltag wieder offenstand, bekam der 15-jährige Sohn morgens vor der Schule plötzlich Bauchweh. Seitdem ist er in seinem Zimmer verschwunden, hält mit der Familie nur noch über das Handy Kontakt und geht nicht zur Schule. Stefan G. vermutet, dass sein Sohn eigentlich gar nicht mehr in die Schule gehen will. Unsere Teenager-Expertin, die Pädagogin und Ratgeberautorin Inke Hummel, diskutiert mit Stefan G. wie es nun weitergehen kann.

 

Mein Sohn verlässt sein Zimmer kaum mehr und hat, wenn er in die Schule gehen soll, immer Bauchweh. Ich bin mir aber fast sicher, dass er gar nicht mehr in die Schule gehen will. Wie finde ich heraus, ob das stimmt?

Haben Sie Ihren Sohn schon mal direkt gefragt, was er zu Ihrer Vermutung sagt?

Nein, noch nie.

Das würde ich zunächst einmal versuchen. Fragen Sie ihn mal, ob es sein kann, dass sein Bauchweh mit der Schule zusammenhängt. Versetzen Sie sich in eine Situation, in der es Ihnen ganz ähnlich ergangen ist und erzählen Sie Ihrem Sohn davon. Manchmal können Kinder sich dann da einhaken, weil sie merken: Mein Vater oder meine Mutter hat so etwas auch schon empfunden. Vielleicht traut er sich dann zu sagen: „Es ist kein Bauchweh, sondern ein Unwohlsein, weil ich nicht weiß, wie ich in Mathe weiterkommen soll. Das habe ich zu lange schleifen lassen.“

Aber ich komme ja gar nicht mit ihm ins Gespräch. Er kommt morgens nur kurz raus, klagt über Bauchweh und verschwindet dann wieder in seinem Zimmer.

Versuchen Sie es über seine Kommunikationswege, also schicken Sie ihm eine Whatsapp oder eine Sprachnachricht. Oder schreiben Sie mal einen kleinen Zettel und schieben ihn unter der Tür durch.

Was schreibe ich denn da?

Es geht darum, Interesse zu zeigen und ein Zusammensein anzubieten. Ich würde etwa anfangen mit „Was machst du gerade?“, „Wie geht’s Dir? Was macht der Bauch?“, „Du fehlst uns, hättest du Lust auf einen Tee?“ oder „Ich habe gebacken. Ich würde mich total freuen, wenn du mit mir ein Stück Kuchen isst.“

Und wenn gar keine Antwort zurückkommt und jeder Vorschlag abgeschmettert wird?

Dranbleiben, ruhig langsam ein bisschen vehementer werden und einen Minimalkompromiss aushandeln und festlegen. Zum Beispiel eine gemeinsame Mahlzeit am Tag einfordern. Im Gegenzug könnte man vielleicht anbieten, dass das nicht unbedingt mit dem nervigen kleinen Bruder sein muss, sondern erst einmal nur zu zweit.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: „Hilfe, meine Tochter will, dass ihr Freund bei uns übernachtet!“

Wie reagiere ich, wenn ich dann definitiv weiß, dass er nicht in die Schule gehen möchte?

Werden Sie sich zunächst einmal darüber klar, was Ihnen die größte Angst macht: Fürchten Sie, Ihren Sohn ans Internet zu verlieren oder stresst Sie der Gedanke, dass er Probleme mit der Schule bekommen könnte? Überlegen Sie dann, ob es vielleicht zunächst wichtiger sein könnte, dass Sie wieder zusammenfinden und Sie danach erst schauen, wie es mit der Schule weitergeht. Wenn Sie das für sich geklärt haben, können Sie entspannter mit der Situation umgehen und müssen nicht mehr den Druck, den Sie fühlen, auf Ihren Sohn weitergeben. Bieten Sie ihrem Sohn außerdem an, dass man noch jemanden dazu holen kann, um die Situation zu besprechen. Sagen Sie ihm etwa: „Wir müssen das jetzt nicht alleine lösen, du musst auch morgen nicht in die Schule gehen, aber wir könnten mit der Lehrerin sprechen oder einen Schulpsychologen dazu holen.“

Jetzt habe ich ihm aber schon gesagt, dass er am Montag Mathe schreiben muss.

Erklären Sie ihm, dass Sie unter Stress standen, als Sie das gesagt haben, weil es nun mal eine Schulpflicht gibt und Mathe wichtig ist. Sagen Sie ihm offen, dass es aber falsch war, diesen Stress bei ihm abzuladen und ihm so Druck zu machen. Signalisieren Sie: Lass uns jetzt erst mal schauen, was Du brauchst. Die oberste Priorität sollte nicht sein, dass ihr Sohn an der Mathearbeit teilnimmt, sondern wieder zügig am Leben.

Wie lange lasse ich ihn daheim und wann übe ich wieder Druck aus, dass er doch wieder in die Schule gehen soll?

Da lässt sich kein zeitlicher Rahmen festlegen. Man muss beobachten, ob sich ein bisschen etwas tut. Zeigen Sie ihm, dass Sie ihm vertrauen, aber pochen Sie auch darauf, dass da ein Thema ist, das gelöst werden muss – und dazu muss er aus seinem Zimmer kommen. Die Erfahrung aus meiner Beratung mit ähnlichen Fällen zeigt, dass die Jugendlichen gar nicht so lange dichtmachen, wenn sie spüren, dass der Druck erst einmal weg ist. Wenn man also erst einmal weglassen kann, dass am Montag die Mathearbeit ansteht, und man sich stattdessen die Zeit nimmt, sich auf das Kind einzulassen, dann kommen die meisten auch aus ihrem Schneckenhaus. Versuchen Sie zuallererst mit minimalen Schritten wieder in den Alltag zu kommen und auf die gemeinsame Beziehung zu schauen.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: „Hilfe, mein Sohn hat einen Tic!“

Aber ich kann doch nicht ständig Entschuldigungen für die Schule schreiben.

Es ist wichtig, die Schule mit ins Boot zu holen. Agieren Sie offen und nehmen Sie die Schule mit in die Pflicht. Erzählen Sie, wie Sie ihr Kind daheim erleben und was es sagt. Fragen Sie auch, was in der Klasse los ist und hören Sie sich die Sicht der Lehrkräfte an. Meiner Erfahrung nach funktioniert es meistens ganz gut, wenn man zu dritt spricht: Lehrer, Eltern und Kind. Es gibt auch viele Lehrer, die dem Kind erst einmal anbieten, zu zweit zu sprechen, online, ohne dass jemand etwas mitbekommt. Auch da merken die Kinder dann, dass es um das Interesse an ihnen geht und nicht darum, dass sie pünktlich zur Mathearbeit im Klassenzimmer sitzen.

Wenn sich das Kind aber weigert, mit einem Lehrer zu sprechen?

Dann wird es schwierig. Erklären Sie Ihrem Sohn, dass es eine Schulpflicht gibt und Sie die Schule informieren müssen. Sagen Sie ihm, dass Sie nicht über seinen Kopf hinweg entscheiden wollen, dass es aber irgendwie vorangehen muss. Fragen Sie ihn, mit wem er stattdessen reden würde – neutral ist zum Beispiel immer der Schulpsychologe. Machen Sie ihm klar: Wir halten Kontakt zur Schule, dann hast du auch erst einmal deine Ruhe und kannst in dein Handy schauen, aber dafür essen wir einmal am Tag zusammen.

Warum hat er so große Angst, in die Schule zu gehen?

In der Pubertät ist es oft eher Schulunlust als Schulangst. Die Teenager sehen nicht immer so richtig die Notwendigkeit, in die Schule zu gehen. Manche fragen sich, warum sie da hingehen sollen, wo sie doch dort eh die ganze Zeit nur blöde Erfahrungen machen. Und die Jugendlichen haben auch oft noch kein Ziel vor Augen, das sie motivieren könnte. Schulangst gab es vor allem nach den Corona-Lockdowns. Da waren sich viele Jugendliche unsicher, wie man sich jetzt wieder begegnen darf. Bei manchen hatte sich der Körper in den Wochen daheim auch so verändert, dass sie nicht mehr rausgehen wollten, weil sie das niemanden zeigen wollten und auch mit niemanden darüber reden wollten.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: „Mama, was ist Krieg?“

Was kann noch hinter der Schulunlust stecken?

Es kann an den anderen Mitschülern liegen, aber auch an der eigenen Unsicherheit. In der Pubertät muss man oft vieles erst einmal sortieren und zu sich selber finden. Auch eine Über- oder Unterforderung ist denkbar. Vielleicht hat ihr Sohn aber gerade auch lauter Fächer, die ihn nicht so richtig interessieren und in denen er nur schlechte Noten schreibt. Und vielleicht ist da auch keine Lehrkraft, die ihn ermutigt. Wenn man die ganze Zeit nur schlechte Erfahrungen macht, ist Flucht eine natürliche Strategie!

Seine Noten sprechen für diese Theorie. Wenn wir uns wieder angenähert haben, wie bringen wir ihn dann zurück ins Klassenzimmer?

Auch in kleinen Schritten. Druck rausnehmen und signalisieren: Ich erwarte nicht, dass du dieses Schuljahr schaffst und ich erwarte keine Drei in der nächsten Mathearbeit. Suchen Sie auch für die Schule – genau wie für Ihr Familienleben – einen Minimalkonsens. Überlegen Sie gemeinsam, was ein Fach sein könnte, in dem er sich ein bisschen reinhängt oder mit welchem Lehrer man mal darüber sprechen könnte, wie er wieder in den Stoff reinkommen kann. Und fragen Sie die Schule, wie sie dazu beitragen kann, dass Ihr Sohn ohne zu großen Druck am Ball bleibt. Vielleicht könnte es ja eine Aufgabe pro Woche in seinem Lieblingsfach sein. Dann spürt Ihr Sohn, dass noch jemand auf ihn blickt, Interesse an ihm da ist und man ihm entgegenkommt.

Und wenn er mit 15 die Schule abbrechen will?

Dann würde ich ihn mit in die Pflicht nehmen. Frage Sie ihn, was er vorhat, ob er sich schon mal informiert hat, was die Alternative sein könnte oder ob Sie jemanden anrufen sollen? Machen Sie aber auch klar, dass die Alternative nicht sein wird, auf dem Bett zu sitzen und den ganzen Tag am Handy zu spielen. Fordern Sie ihn, ohne zu sehr Druck zu machen. Und schauen Sie auch, ob Sie vielleicht eine Beratung brauchen, damit Sie ihm bestimmte Wege aufzeigen können. Die schulpsychologische Beratungsstelle wäre da mein erster Weg.

Wie bekomme ich ihn wieder unter Menschen?

Es hilft oft, wenn jemand vor Tür steht und sagt: „Ich freu mich, wenn du rauskommst.“ Das kann vielleicht der coole Patenonkel, ein Kumpel oder vielleicht sogar auch eine Lehrkraft sein. Ich kenne Lehrer, die haben das sehr erfolgreich gemacht.

Landen wir am Ende wieder beim sonntäglichen Familienausflug?

Anbieten würde ich das. Fragen Sie Ihren Sohn doch mal, wozu er denn Lust hätte. Ich erlebe oft, dass die Jugendlichen da gar nicht immer total abgeneigt sind. Im Gegenteil, die haben oft auch Ideen, wohin sie einen gerne mal mitnehmen würden. Gute gemeinsame Erfahrungen tragen einen so, dass man dann auch gemeinsam unangenehme Themen angehen kann – zum Beispiel ins Mathebuch zu schauen.

Haben Sie auch eine Frage oder ein Problem, das Sie mit einer unserer Elternratgeber-Expertinnen diskutieren wollen? Dann schreiben Sie an elternratgeber@stzn.de

Lesen Sie aus unserem Angebot: „Hilfe, schnell mal einen Rat bitte!“

Inke Hummel - die Teenager-Expertin

Inke Hummel Foto: Veto Magazin

Pädagogin
Inke Hummel ist Pädagogin M.A. aus Bonn und berät Eltern und Institutionen – immer mit dem Fokus auf Bindung und Beziehung. Ihre Stärke ist es, eine offene Atmosphäre zu schaffen, in der alles erzählt werden kann und ihrem Gegenüber dann alltagsnah Impulse und neue Blickwinkel mitzugeben.

Ratgeber zur Pubertät Foto: Humboldt-Verlag

Autorin
Die 44-Jährige ist auch als Bloggerin und Kinderbuchautorin aktiv. Im Humboldt-Verlag bringt sie ihr Wissen in Ratgeberform in die Familien. Das Jugendalter ist einer ihrer Beratungsschwerpunkte und Pubertät hat sie zurzeit gleich dreifach im eigenen Haus.