Im eigenen Bett fühlen Kinder sich am wohlsten – manchmal hilft es, zur Übernachtung bei Oma oder Freunden das eigene Kissen oder den Teddybären mitzunehmen. Foto: dpa/Patrick Pleul

Irgendetwas ist immer. In unserem Elternratgeber diskutieren Mütter und Väter mit Expertinnen Probleme, die in den besten Familien vorkommen. Heute fragt Anna Schmid, was sie tun kann, um ihre sechsjährige Tochter zu ermutigen, auch mal anderswo zu übernachten.

Stuttgart - Es war eigentlich alles perfekt geplant: eine Übernachtungsparty bei der Nachbarin! Anna Schmid aus Stuttgart erzählt, wie sie sich gefreut hatte, als ihre sechsjährige Tochter Luise von der gleichaltrigen Nachbarin zur Übernachtung eingeladen wurde. Positiver Nebeneffekt: Anna Schmid und ihr Mann hätten endlich mal wieder abends ausgehen können, ohne dauernd auf die Uhr zu schauen. „Doch leider kam es ganz anders“, erinnert sich Anna Schmid und rollt mit den Augen. Luise fiel kurz vorher ein, dass sie vielleicht doch nicht bei der Nachbarin übernachten wolle. „Wir redeten ihr gut zu, wollten sie bestärken“, erzählt Anna Schmid. Eigentlich sei Luise mehrmals die Woche bei den Nachbarn zu Besuch, kenne das Mädchen und die Eltern gut, doch plötzlich wollte sie dort nicht alleine bleiben. Bei Luise flossen die Tränen. Anna Schmid war genervt, die Aktion wurde abgebrochen.

 

Dennoch wollte Schmid nicht aufgeben: „Eine Woche später haben wir es noch einmal versucht, und tolle Überraschung: Es lief wieder gleich ab!“ Als sich Anna Schmid und ihr Mann von ihrer Tochter verabschieden wollten, sagte Luise, jetzt habe sie Bauchschmerzen und wolle doch lieber daheim schlafen. Anna Schmid ist besorgt: „Ist das noch normal, mit sechs Jahren traut man sich das doch eigentlich, oder?“ Die Sozialpädagogin Dana Mundt, Koordinatorin in der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (Bke), diskutiert mit Anna Schmid, was die tun kann, um ihre Tochter zu ermuntern, sich mehr zuzutrauen. Schmid möchte wissen, wie sie die Tochter bestärken kann, solche kleinen Abenteuer zu wagen, ohne sie unter Druck zu setzen.

Was sagt die Expertin?

Dana Mundt, Sozialpädagogin bei der Bke Elternberatung aus Berlin, meint: „Es ist ein guter Ansatz, das Kind auf keinen Fall zu bedrängen.“ Sie kann Schmid beruhigen: „Man hat es schon oft gehört, muss es sich aber immer wieder sagen: Jedes Kind ist anders, manche sind mutiger, andere ängstlicher – das ist normal.“ Besonders seit der Coronapandemie seien viele Kinder vorsichtiger und anhänglicher geworden. Viele seien es auch nicht mehr gewohnt, viel bei anderen Leuten zu Hause zu sein oder Freunde zu treffen.

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Woher kommt die Angst von Luise?

Anna Schmid fürchtet, ihre Tochter habe Bindungsstörungen. Ist ihre Angst berechtigt? Dana Mundt meint: „Das kann man so nicht sagen – bei jedem Kind entsteht der Wunsch nach Autonomie unterschiedlich schnell.“ Dass er irgendwann und in verschiedenen Schritten komme, davon ist die Expertin überzeugt. „Im Idealfall macht man solche Übernachtungen also immer erst, wenn der Wunsch vom Kind selbst kommt – und begleitet es dabei dann liebevoll.“

Anna Schmid hat versucht, ihre Tochter zur Übernachtung zu überreden, war das falsch?

Dana Mundt meint: „Drängen sollte man das Kind wie gesagt auf keinen Fall, wenn dann motivieren.“ Mundt ist überzeugt: „Man muss die Angst eines Kindes sehr ernst nehmen, das ist völlig normal, da hilft nur Verständnis, Geduld und aktives Zuhören. Das Kind ,muss‘ so etwas nicht können.“

Welche Ideen gibt es, um die Situation zu lösen?

Dana Mundt schlägt vor: Die Eltern könnten fürs erste trotzdem abends essen gehen – und Luise dann nach dem Essen bei den Nachbarn wieder abholen. Trotzdem gelte: Dranbleiben! Anna Schmid soll nicht aufgeben, sondern Luise einfach immer wieder motivieren: „Man kann sagen: ,Ich trau dir das zu!‘“ Immer vorausgesetzt, Luise selbst möchte es. Und auch wenn es dann beim nächsten Versuch mit Übernachtung nicht ganz klappt und Luise nachts doch wieder bei den Nachbarn abgeholt werden muss, weiß Dana Mundt Rat: „Dann bitte nicht schimpfen, sondern das Erreichte loben, zum Beispiel sagen: ,Toll, dass du drüben eingeschlafen bist, ich kann verstehen, dass du jetzt heim wolltest, vielleicht hast du schlecht geträumt.“ Aus Erfahrung weiß die Expertin: Wenn Eltern Druck ausüben, klammern Kinder noch mehr. „Bei den meisten festgefahrenen Situationen muss man Druck rausnehmen“, gibt die Expertin zu Bedenken.

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Gibt es Tricks, die dem Kind helfen könnten?

Dana Mundt rät dazu, Anreize zu schaffen. Sie hat schon oft erlebt, dass Kinder mit Ankündigung eines besonderen Erlebnisses überzeugt werden können. „Man kann zum Beispiel in Aussicht stellen, dass bei der Nachbarin ,Anna und Elsa’ geschaut und Popcorn gegessen werden darf.“ Die Eltern der Nachbarin könnten eine Höhle im Kinderzimmer mit Zelt, Lichterkette und Schlafsäcken bauen: ein wildes Abenteuer! Eine andere Idee wäre, zu fragen, ob das Nachbarsmädchen vielleicht umgekehrt erst einmal bei Luise übernachten will. In jedem Fall müsse man mit den anderen Eltern einen Notfallplan erstellen: Was tun, wenn das Kind nachts doch heim will? Sind dann alle erreichbar?

Und wenn das alles nichts hilft?

Anna Schmid hat sich die Ratschläge von Dana Mundt zu Herzen genommen, und in Absprache mit den Nachbarn Luise noch einmal vorgeschlagen, bei den Nachbarn zu übernachten – ohne sie zu unter Druck zu setzen. Luise hat geantwortet: „Diese Woche nicht, ich mache es vielleicht später.“ Anna Schmid seufzt – Dana Mundt hingegen findet die Antwort super: „Ist doch toll, dass Luise weiß, was sie will und so entschlossen sagen kann: ,vielleicht später.‘“ Die Eltern sollten sie fürs Erste beim Wort nehmen – und nicht weiter bedrängen.

Haben Sie auch eine Frage oder ein Problem, das sie mit einer unserer Elternratgeber-Expertinnen diskutieren wollen? Dann schreiben Sie an elternratgeber@stzn.de

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Dana Mundt – Die Schulkind-Expertin







Dana Mundtbke Online Beratung
Die Diplom-Sozialpädagogin Dana Mundt hat eine Zusatzausbildung als Ehe-, Familien-, und Lebensberaterin (DAJEB). Sie arbeitet als Koordinatorin in der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke-beratung.de). Die Experten beraten Eltern und Jugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahre – online, anonym und kostenlos, rund um die Uhr.