Irgendetwas ist immer. In unserem Elternratgeber diskutieren Mütter und Väter mit Expertinnen Probleme, die in den besten Familien vorkommen. Heute fragt sich Claudia M., warum es bei Hausaufgaben immer Zoff gibt.
Stuttgart - Innerlich fürchtet sie den Moment schon beinahe: Der Moment, in dem das Mittagessen vorbei ist und sich Claudia M.s (Name geändert) Tochter Lotta (9) an die Hausaufgaben setzen soll. Denn dann beginnt das, was die Mutter als „nachmittäglichen Kleinkrieg“ beschreibt: Erst dauert es ewig, bis Lotta überhaupt anfängt, sich mit den Plusaufgaben im Hunderterraum oder dem Präteritum zu beschäftigen. Dann wird gejammert, gestreikt und wenn es ganz schlecht läuft, brüllen am Ende Mutter und Tochter. „Manchmal sind schon Stifte geflogen oder Lotta hat das Mathebuch an die Wand gepfeffert.“
Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: „Hilfe, mein Sohn (15) will nicht mehr zur Schule gehen!“
In der ersten Klasse habe Lotta ihre Hausaufgaben eigentlich ganz gern gemacht, erinnert sich ihre Mutter: „Da war sie noch hoch motiviert.“ Aber dann kam Corona – und aus Claudia M. und ihrem Mann Peter wurden über Monate Ersatzlehrer. „Das war echt anstrengend“, erzählt Frau M. „Lotta und ich sind beim Homeschooling so oft aneinandergeraten. Und ich habe das Gefühl, seither läuft es unrund, wenn Lotta daheim nur ein Heft aufschlagen soll.“
Ist das nur bei uns so ein Drama mit den Hausis?
Dass Eltern wegen Problemen mit den Hausaufgaben bei ihm sitzen, erlebt der Erziehungsexperte Ulric Ritzer-Sachs immer wieder. „Wenn die Hausaufgaben ständig zu Streit führen, sollten Familien lieber früher als später kommen“, sagt der Sozialpädagoge, der in der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE) arbeitet. „Wenn früh eine gute Basis gelegt wird, hat man später weniger Stress.“
Was kann man tun, dass es bei den Hausaufgaben nicht immer Hickhack gibt?
„Die Basis wird praktisch ab den allerersten Hausaufgaben gelegt“, sagt Ritzer-Sachs. „Den Kindern sollte klar sein: Es sind ihre Hausaufgaben – nicht die der Eltern.“ Das bedeutet: Die Kinder machen ihre Aufgaben allein. Wenn sie Fragen haben, sind Vater oder Mutter da, um diese zu beantworten.
Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: „Hilfe, mein Sohn hat einen Tic!“
„Aber bitte nicht wie ein Helikopter über den Heften kreisen! Machen Sie ruhig ihr eigenes Ding.“ Während das Kind die Hausaufgaben macht, können die Eltern in der Küche klar Schiff machen oder ein paar E-Mails beantworten.
Hat das Kind eine Frage, kommt es zu Mutter oder Vater. „Dann aber bitte nicht gleich die richtige Lösung parat haben.“ Vielmehr sollten Eltern ihrem Kind helfen, sich selbst zu helfen. „Oft reicht es ja schon, wenn man mal zusammen die Aufgabenstellung richtig durchliest.“
Kleine Pause oder gleich anfangen – was ist besser?
Claudia M.s Tochter Lotta will mit den Hausaufgaben nicht sofort nach dem Mittagessen anfangen – andere Kinder wollen die lästige Aufgabe möglichst schnell hinter sich bringen, um dann Spielen zu gehen. Beides ist okay, findet der Experte. „Manche Kinder brauchen eine kurze Zeit, um auszuruhen oder sich an der frischen Luft auszutoben.“
Wichtig sei, dass diese Pause ohne Handy, Tablet oder Fernseher gestaltet werde – und dass sie nicht zu lange dauert, schließlich sollen die Hausaufgaben auch irgendwann mal fertig sein und sich nicht bis in den Abend ziehen.
Braucht mein Kind einen eigenen Schreibtisch?
Lotta macht ihre Hausaufgaben am Esstisch – obwohl sie einen Schreibtisch im Zimmer hat. Ulric Ritzer-Sachs findet das in Ordnung: „Nicht in allen Wohnungen ist überhaupt der Platz, dass Kinder einen eigenen Schreibtisch haben können.“
Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: „Hilfe, unsere Tochter isst nur Nudeln ohne alles!“
Wichtig sei aber, dass es einen festen Platz für die Hausaufgaben gebe. „Und da muss es ruhig und ohne Ablenkungen sein“, sagt der Erziehungsexperte. Wenn die kleinen Geschwister um das Schulkind herumtobten, die Mutter telefoniert oder der Fernseher läuft, ist es von dem Schüler oder der Schülerin viel verlangt, in dem ganzen Durcheinander anständig die Hausaufgaben zu machen.
Manchmal sitzt mein Kind den halben Nachmittag vor den Heften – wie lange sollten die Hausaufgaben in der Grundschule eigentlich dauern?
Claudia M. seufzt: „Wenn Lotta keine Lust hat – und das ist gerade ja meistens so – , ziehen sich die Hausaufgaben ewig.“ Ulric Ritzer-Sachs rät dann, das Drama nicht in die Länge zu ziehen. „In der Grundschule sollten Hausaufgaben meiner Meinung nach nicht länger als eine halbe Stunde dauern.“ Nach einer Viertelstunde sollten die Kinder eine kurze Zwischenpause machen – ein paar Mal um den Tisch laufen oder sich in der Küche einen Apfel holen. „Bei Grundschulkindern ist die Konzentrationsfähigkeit kürzer als viele Eltern denken.“
Wenn die Hausaufgaben oft viel länger dauern, lohnt es sich, mit der Lehrerin oder dem Lehrer zu sprechen: Die meisten Lehrkräfte, so Ritzer-Sachs’ Erfahrung, sind dankbar über eine Rückmeldung, wenn die Aufgaben zu viel sind.
Und plötzlich fliegen Stifte oder das Heft landet in der Ecke – wie kann man verhindern, dass die Hausaufgaben im Streit münden?
„Wenn die Hausaufgaben nicht klappen, ist Lotta schnell total frustriert. Dann motzt sie mich an, ich schnauze zurück und schon rutschen wir in einen Kleinkrieg. Ich will das gar nicht – aber wie kommen wir da raus?“, fragt Claudia M.
Eskaliert die Lage, sollte man früh genug die Handbremse ziehen, rät der Erziehungsberater. „Stop! Aufhören! Verlassen Sie die Situation.“ Die Initiative dazu muss laut dem Sozialpädagogen aber von den Eltern kommen – Kinder kommen aus solchen emotionalen Momenten ohne Hilfe nicht raus. „Gehen Sie vielleicht mit Ihrem Kind nach draußen, bis die schlechte Laune verpufft ist“, schlägt Ritzer-Sachs vor. Dann könne man einen zweiten Versuch wagen.
„Dass Kinder nicht immer mit voller Begeisterung Hausaufgaben machen, ist ja logisch. Eltern sollten da auch Verständnis zeigen“, findet der BKE-Experte. „Schule ist eben nicht nur toll.“
In der Nachmittagsbetreuung, in die Lotta an den Tagen geht, an denen ihre Mutter arbeitet, läuft es mit den Hausaufgaben besser. Ulric Ritzer-Sachs wundert das nicht. „Bei Eltern und Kindern spielt immer die Beziehungsebene mit – da wird es schneller emotional als mit Außenstehenden.“
Die Coronalage und das monatelange Homeschooling in den zwei vergangenen Jahren hat die Gemengelage in vielen Familien noch verschärft. Auch Claudia M. schildert, dass Lotta im Homeschooling die Lust an den Hausis verlor. „Corona war purer Dauerstress für Familien“, stimmt Ritzer-Sachs zu. „Eltern sind eben keine Lehrer, die das pädagogisch und didaktisch gelernt haben. Viele Mütter und Väter sind in der Zeit in die Rolle des Hilfslehrers gerutscht – da müssen sie jetzt schleunigst wieder rauskommen.“
Eigentlich klappen die Hausaufgaben nur, wenn ich daneben sitze. . .
Da ist der Erziehungsexperte kategorisch: „Nein! So was darf sich gar nicht erst einschleifen.“ In seine Beratung kommen Eltern, die noch bei Acht- oder Neuntklässlern daneben sitzen – „will man das wirklich die ganze Schulkarriere über machen?“
Ritzer-Sachs rät Eltern, sich rauszuhalten. „Meine Erfahrung ist, dass Eltern sich oft viel zu stark in die Schule involvieren. Kinder müssen merken: Schule ist meine Aufgabe. Das heißt aber nicht, dass man seine Tochter oder seinen Sohn damit allein lässt. Man ist ja da, wenn Fragen oder Probleme auftauchen.“
Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: „Nee, nicht du – Papa soll das machen!“
Wenn sich Eltern dabei ertappen, dass sie jeden Nachmittag zusammen mit ihrem Kind Gleichungen nach x auflösen oder über Lückentexten hängen, hilft es, ein Experiment zu wagen. „Sprechen Sie mit Ihrem Kind: ‚Wir wollen doch nicht immer Stress miteinander haben, oder? Lass uns doch mal vier Wochen ausprobieren, wie es wäre, wenn ich mich aus den Hausaufgaben mehr raushalte? Wenn du Fragen hast, bin ich ja trotzdem da.’“
Es komme darauf an, die Verantwortung für die Hausaufgaben wieder in die Hände des Kindes zu legen. Und wenn das Kind zweimal ohne Hausaufgaben in die Schule gegangen ist, werde es sich auch fragen, ob es bei einem dritten Mal den Ärger mit der Lehrerin oder die drohende Strafarbeit in Kauf nehmen will. „Es geht dabei nicht darum, sein Kind zu bestrafen, sondern um Eigenverantwortung.“
Was kann externe Hilfe bewirken?
„Bevor Schule zum Stress wird, sollte man sich schnell Hilfe holen“, sagt Ulric Ritzer-Sachs. Die Expertinnen und Experten von Erziehungsberatungsstellen wissen, dass Schulprobleme die Eltern-Kind-Beziehung extrem belasten können und haben viele praktische Lösungsideen parat.
„Es lohnt sich genau hinzuschauen: Wo ist der Knackpunkt?“, sagt der Experte. „Manchmal liegt auch eine Lese-Rechtschreibschwäche oder eine Dyskalkulie vor.“ Dann braucht ein Kind spezielle Unterstützung, beispielsweise eine Lerntherapie.
Generell sollte sich zwischen Eltern und Kind nicht alles um die Schule drehen, sagt Ritzer-Sachs. „Wichtig ist es, dass man mit seinem Kind auch viele schöne Momente hat. Brüten Sie mit Ihrem Kind nicht nur über den Hausaufgaben – gehen Sie lieber mal zusammen ein Eis essen.“
Haben Sie auch eine Frage oder ein Problem, das sie mit einer unserer Elternratgeber-Expertinnen und Experten diskutieren wollen? Dann schreiben Sie an elternratgeber@stzn.de
Lesen Sie aus unserem Angebot: Unsere Elternratgeber im Überblick
Unser Experte
Ulric Ritzer-Sachs ist Diplom-Sozialpädagoge. Er arbeitet als Koordinator in der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE).
Die Experten beraten Eltern und Jugendliche – online, anonym und kostenlos, rund um die Uhr.