Soll die Ganztagsbetreuung für Grundschüler verpflichtend sein? Nein, sagen viele Eltern in Wendlingen und haben mehrere hundert Unterschriften gegen Pläne der Stadt gesammelt. So reagiert das Rathaus auf die Kritik.
In Wendlingen gehen Eltern gegen die Pläne der Stadt für eine verpflichtende Ganztagsgrundschule auf die Barrikaden. Sie fühlen sich von der Verwaltung gegängelt und haben mehr als 400 Unterschriften gesammelt, die sie an diesem Donnerstag an den Bürgermeister Steffen Weigel übergeben wollen. Am selben Tag wollen sie sich um 17.30 Uhr auf dem Marktplatz versammeln, um für ein freiwilliges Ganztagsangebot zu demonstrieren.
Der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung in Grundschulen stellt die Kommunalpolitiker vielerorts vor große Herausforderungen. Im Land soll er in zwei Jahren greifen. Praktisch überall hapert es jedoch an den räumlichen Voraussetzungen. So wird etwa an einer der beiden Grundschulen in Wendlingen ein Gymnastikraum zur Mensa umfunktioniert und in Köngen hat der Gemeinderat jüngst beschlossen, mehr als 3,8 Millionen Euro in die Hand zu nehmen, um ein neues Gebäude inklusive Mensa und Mehrzweckräumen für die Schulkindbetreuung zu bauen. Für Unruhe in der Elternschaft sorgt vielerorts die Frage, ob die künftigen Grundschüler in einem Wahl- oder Pflichtmodell ganztägig betreut werden sollen.
Ganztagsbetreuung: Umfrage unter Eltern bringt keine Klarheit
Auch in Wendlingen sind die Eltern keineswegs grundsätzlich gegen die Ganztagsgrundschule, sie stören sich jedoch massiv am verpflichtenden Charakter. „Selbstverständlich sollten die Familien, die eine erweiterte Betreuung benötigen, diese auch bekommen. Dennoch gibt es bei einer Verpflichtung der Ganztagsgrundschule erhebliche Nachteile, die auf keinen Fall ignoriert werden dürfen“, heißt es in einem offenen Brief der Elterninitiative an die Stadtverwaltung, den Gemeinderat und die beiden Schulleitungen. Vorausgegangen war eine Informationsveranstaltung der Verwaltung, die zusammen mit den Schulleiterinnen der beiden örtlichen Grundschulen ein Modell in verbindlicher Form vorstellte. Viele Eltern wurden davon offenbar kalt erwischt: Kurz vor den diesjährigen Sommerferien hatte die Stadtverwaltung noch öffentlich den geringen Rücklauf bei einer von ihr initiierten Umfrage unter den Eltern der schätzungsweise 205 Kinder, die zum Schuljahr 2026/27 eingeschult werden, beklagt. Diese hatte keine erhellenden Erkenntnisse hinsichtlich des Bedarfs erbracht.
Das nun auf der Informationsveranstaltung vorgestellte Modell der Stadt sieht eine verbindliche Ganztagesbetreuung an drei Tagen in der Woche à sieben Stunden vor. Die Eltern berufen sich auf das Grundgesetz: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Die verpflichtende Ganztagsschule stellt einen nicht unerheblichen Eingriff in dieses natürliche Recht der Eltern dar.“ Sie verweisen zudem auf das Kindeswohl: „Gerade im Umbruch vom gewohnten Kindergartenalltag in den neuen Lebensabschnitt Schule benötigen viele Kinder nochmals vermehrt den Rückhalt und die Geborgenheit der Familie sowie einen Ort, um das Neuerlebte in Ruhe zu verarbeiten. Dies geht für unsere Kinder am besten in ihrem Zuhause“, so die Initiative. Hinzu komme, dass viele Eltern auf flexiblere Betreuungszeiten angewiesen seien, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Eine verpflichtende Ganztagsschule könne die individuelle Gestaltung von Arbeits- und Familienleben stark einschränken. Obendrein bleibe zu wenig Zeit für Hobbys, Sport und andere Aktivitäten außerhalb der Schule.
Ganztagsbetreuung mit Zeit für Musik, Sport und Hausaufgaben
Was meint die Stadtverwaltung dazu? „Bei dem von uns auf der Informationsveranstaltung vorgestellten Modell werden die Kinder nicht sieben Stunden lang durchunterrichtet“, sagt Joachim Vöhringer, der Leiter des Wendlinger Amtes für Familie, Bildung und Soziales. Das Konzept sehe vor, die Zeit mit Angeboten wie etwa Musik, Sport oder auch Hausaufgabenbetreuung aufzulockern. Der Vorteil laut Vöhringer: Mit einem verbindlichen Ganztagsbetrieb könne man auch Kinder erreichen, die sonst durchs Raster fielen. Der Stadt geht es dabei vor allem um Bildungs- und Chancengleichheit.
Betreuung soll an drei Tagen kostenlos sein
Beim derzeit vorhandenen – kostenpflichtigen – Ganztagesangebot in Wendlingen können einzelne Module gebucht werden, die Betreuung erfolgt aber in den meisten Fällen nicht durch ausgebildete Pädagogen. Gäbe es ein verpflichtendes Modell, das im übrigen kostenlos wäre, würde sich das automatisch auf die Lehrerdeputate auswirken, die Kinder würden zum Beispiel ihre Hausaufgaben unter der Aufsicht von Lehrern machen. „Damit hätte man bildungsmäßig alle Kinder auf dem gleichen Stand und ab 15 Uhr haben die Kinder Freizeit“, so Vöhringer.
Zudem könne man den Kindern während der Betreuungszeit besondere Angebote wie etwa Musikunterricht machen, die sie sich sonst vielleicht nicht leisten könnten. Falle die Entscheidung zugunsten des Drei-Tages-Modells à sieben Stunden, gäbe es zudem ja immer noch zwei Tage pro Woche, die klassisch gefahren werden müssten. Die Stadt als Schulträger müsste hier ein zusätzliches Betreuungsangebot machen – wie im übrigen auch an den drei verpflichtenden Tagen, denn eines ist laut Vöhringer klar: „Eine Betreuung bis 15 Uhr ist für viele Eltern nicht ausreichend, wir müssen eine Stunde extra bis 16 Uhr anbieten.“
Der Gemeinderat will am 26. November über das Ganztagsmodell entscheiden.
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung
Gesetzliche Regelung
Bereits 2021 ist das Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter in Kraft getreten. Damit wird ein Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung für Kinder im Grundschulalter festgelegt. Die stufenweise Einführung beginnt mit den Erstklässern, die 2026/27 eingeschult werden. Stufenweise bedeutet, dass von August 2026 an zunächst alle Kinder der ersten Klasse einen Anspruch auf eine ganztägige Betreuung haben. Der Anspruch wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe erweitert. Vom Schuljahr 2029/30 an soll jedes Grundschulkind den Anspruch haben.
Betreuungszeit
Der Rechtsanspruch beinhaltet acht Stunden an fünf Tagen in der Woche, auch in den Ferien. Lediglich Schließzeiten von vier Ferienwochen sind möglich.
Konzept
Im Primarbereich sind zwei Formen vorgesehen: Bei der verbindlichen Form nehmen alle Schüler am Ganztagsbetrieb teil, bei der Wahlform entscheiden die Erziehungsberechtigten, ob ihr Kind am Ganztagsbetrieb teilnimmt.
Entscheidungsträger
Der Schulträger, in den meisten Fällen die Kommune, entscheidet, welche Form der Betreuung an einer Schule angeboten wird.
Wahlrecht
Eltern haben immer die Wahl, ob sie ihr Kind an einer Ganztagsschule anmelden wollen oder nicht. Ist die Schule eine verbindliche Ganztagsschule und die Eltern wollen das nicht, können sie einen Schulbezirkswechsel beantragen. Ebenso besteht für Eltern, in deren Schulbezirk keine Ganztagsgrundschule vorhanden ist, die Möglichkeit, dass ihr Kind an eine Grundschule mit Ganztagsbetrieb in einen anderen Schulbezirk wechselt.